Letzten Freitag veröffentlichte LUI HILL seine neue EP Creatures – ein sechsteiliges Werk, das sein Inneres während der Lockdownzeit widerspiegelt. Im gleichen Atemzug hat er auch eine Tour für April 2022 angekündigt. Picky Elsa hat sich mit ihm diesbezüglich virtuell getroffen und ihn ein bisschen ausgefragt. Wie aufgeregt er wegen der Live-Shows ist, wie der Schreibprozess der Platte in Isolation aussah und was Wes Anderson damit zu tun hat, lest ihr nun hier:
Jetzt ist es soweit: Creatures erscheint, der erste größere Release nach deinem Debutalbum. Wie fühlst du dich gerade?
Eine EP ist zwar etwas anderes als ein Album, aber nicht weniger aufregend. So ein kleines Format ist sehr verdichtet; es sind nur sechs Songs, die alle etwas ausdrücken müssen. Jeder einzelne hat für mich Wichtigkeit und ich bin froh, dass sie dort gelandet sind, meine „Creatures“.
Mir gefällt’s total. Jedes der Lieder klingt auf eigene Weise sehr erfrischend und nach Sommeranfang. Und wie du schon erwähnt hast, sie sind deine „Creatures“, Stimmen die aufgekommen sind in der Zeit, als die Welt zum Stillstand gekommen ist. Wie sah die Entwicklung dieser zur fertigen Musik aus?
Es fing im ersten Lockdown an. Das klingt jetzt so bisschen schizophren, als hätten dort ständig Stimmen zu mir gesprochen. (lacht) Aber eine Tendenz dessen war schon zu spüren, da man auf einmal besser in sich hineinhören konnte. Es wurde ruhig, der ganze Stress war weg und die Madness, mit der man durch den Alltag gerannt ist, verschwand. Das war bei mir besonders krass, da ich eine Woche vorher viel auf Tournee gewesen bin. Keiner war mehr da, kein Tourbus, kein von A nach B reisen – Stress, den man als cool empfunden hat, stellt man jetzt in Frage. Ich habe mich erstmal gesammelt und in diesem Prozess entstand How Many Moons, der das Grundgefühls der EP spiegelt: Runterkommen, sich neu erfahren, mit sich und seinen Dämonen mehr in Kontakt kommen. Creatures war tatsächlich der letzte Song, den ich geschrieben habe, aber er ist schlussendlich Opener und Namensgeber geworden, da damit erst am Ende alles für mich Sinn ergeben hat. Die restlichen Songs dazwischen sind Facetten des Ganzen.
Gerade Talk To You finde ich eine spannende Facette, darin singst du „Manmade madness is bleeding on young life“. Was sagst du uns mit diesem Song?
Das Lied ist Gesellschaftskritik an dem, was man selbst oft an sich erfährt – Die Sucht nach Social Media, Ruhm und schnellem Geld beispielsweise. Auch Rassismus, ein wichtiges Thema, welches im letzten Jahr besonders viel Aufmerksamkeit bekommen hat, hat mich mitgenommen. Es geht um den absurden Blickwinkel, in welchem wir alles so weiterführen wie es ist. Aber hey, ich kann nicht einfach nur dagegen sein und sagen „Das ist blöd“, denn ich bin auch ein Teil davon. Gerade im Lockdown hat man begonnen sich den Sinn des Lebens aus Social Media herauszusaugen, weil die ganze Welt nur durch das kleine Smartphone funktioniert, selbst wenn es nicht die ganze Wahrheit zeigt. Viele verlieren sich darin, ich auch. Talk To You ist eine Fortführung von dem Song Ancient Dust aus meinem Debutalbum, da das Thema mich stetig umtreibt. Da musste ich nochmal ran.
Das verstehe ich komplett. In der Zeit, in der wir viel mehr abhängig vom Internet sind, um noch irgendwie Verbindungen mit anderen herzustellen, kann ich mir gut vorstellen, dass dieses Thema noch mehr behandelt werden musste.
Total, es beherrscht uns gerade sehr.
Du hast auch mal erwähnt, dass es dir leichter fällt Inspiration im Ausland zu finden. Hat dir da das Reisen bei der Aufnahme der EP gefehlt?
Reisen vermisse ich immer. Ich bin ein bisschen ein rastloser Charakter, gerade im Tournee-Dasein entdeckt man neue Orte und spricht mit Menschen, mit denen man sonst nie in Kontakt getreten wäre. Man hört ihre Visionen und ist schnell inspiriert. Jetzt hat man natürlich auch mit Leuten geredet, aber das war eher der Freundeskreis und dort kennt man schon ihre Geschichten, da hat etwas Input gefehlt. Ich würde aber nicht sagen, dass ich für neue Songs in fremde Länder reisen muss. Das war zum ersten Album einfach Phase, dort habe ich länger in Südafrika sein dürfen und natürlich kann man super easy über die Eindrücke da schreiben. Aber im Lockdown hat es auch funktioniert. Am Ende geht es auch primär um diese Gegebenheit der Pandemie, in der ich das Gefühl bekam, dass ein kollektives Problem, mit dem wir weltweit umgehen mussten, uns zusammengebracht hat. Das war schon anfangs inspirierend; manche haben Songs, andere in ihr Tagebuch geschrieben. Jetzt, ein Jahr später, sind wir eher alle müde davon. Noch einen Song darüber könnte nicht machen. (lacht)
In deiner Musik verschmelzen ja verschiedene Stile miteinander, aber deine allererste Band war eine Punkband. Beeinflusst dich dieses Genre noch?
Also es ist nicht so, dass ich jetzt neue Veröffentlichungen von Punkmusiker*innen stalke. Tatsächlich war der Grund, warum wir damals in der Schulzeit Punk gemacht haben, nur weil wir nicht besser Instrumente spielen konnten. Drei Akkorde und jemand schreit ins Mikrofon ist schlussendlich auch Musik. Es war einfach die richtige Ausdrucksform für wenn man zwölf Jahre alt und wütend ist, da will man seinen Eltern nicht gefallen. Dort macht Punk mehr Sinn als alles andere. Aber der wahrscheinlich punkigste Song ist Creatures geworden, der wie ein Exot auf der Platte für mich gar nicht greifbar war. Wenn man einem Kind keinen Namen geben kann, dann bleibt es so ein Paradiesvogel. Da habe ich mich möglicherweise wieder daran erinnert, was ich mit zwölf gemacht habe. (lacht)
Ich glaube, das wäre sogar mein Lieblingslied der EP. Auch das Video dazu ist sehr cool geworden, irgendwie habe ich gleich Wes Anderson Vibes bekommen.
Ja, sehr gut! Das war tatsächlich der Blueprint. Fotograf und Videographer Nicholas Blanchadell, mit dem ich das zusammen gemacht habe, kam mit der Ästhetik an. Diese zentrierten Shots und Farbzusammenstellungen, sowie diese weirden Momente, in den man sich nicht ganz ernst nimmt, sind ja bei Wes Anderson gängig. Nicholas ist großer Fan und ich mag seine Filme auch sehr, da haben wir uns bisschen was abgeguckt.
Du machst im Frühjahr 2022 wieder eine Tour, die wir auch hier bei Picky präsentieren. Was können sich die Zuschauer*innen erwarten? Und wie aufgeregt bist du? Es ist noch ein bisschen hin, aber trotzdem…
Ja, die Aufregung ist noch bei null, aber ich merke, dass sie wächst. Mit jeder Tour versuche ich etwas Neues zu machen und auch uns als Band weiterzuentwickeln. Die Songs der EP haben wir schon bei einem Streaming-Konzert gespielt und das hat schon ganz gut funktioniert. Wir waren sehr aufgeregt, einfach weil es sich ganz absurd und entkoppelt anfühlt für uns Musiker*innen. Du hast keinen Applaus, kein Feedback, keine Zwischenrufe – alles Momente, mit denen wir auf einmal umgehen mussten. Deswegen freue ich mich umso mehr darauf in einem Jahr auf Tournee zu gehen und wieder vor Menschen zu spielen, die nah aneinander stehen, tanzen, schwitzen, schreien – wo es ein Gefühl von Gemeinsamkeit und Euphorie gibt. Man gibt Energie in den Raum und sie kommt zurück, so multipliziert sie sich nach oben. Das vermisse ich schon sehr.
Hast du denn schon Konzerte in Aussicht, auf die du gehen willst? How Does it Feel ist ja auch eine kleine Hymne an einen Festivalbesuch.
Genau, da habe ich über den Augenblick geschrieben, der mich am meisten mit Glück erfüllt. „Dream yourself away to your happy place“ sozusagen, wenn man gerade nicht weiß, wie man sich fühlt und einem Zuhause die Decke auf den Kopf fällt. Das war für mich vor zwei Jahren in Barcelona beim Primavera Sound, für das ich mir auch gerade wieder Tickets gekauft habe. Das Line-Up für 2022 kam raus und ich war nur so: „Okay tschau.“ (lacht) Ich kann es kaum erwarten und ich hoffe, dass davor noch mehr Sachen Open-Air stattfinden.
Absolut. Gerade jetzt, wo man das Gefühl bekommt, dass es wieder irgendeine Art von Normalität gibt: Was würdest du sagen hast du über dich, auch musikalisch, in diesem ewigen Lockdown gelernt?
Was ich auf jeden Fall gelernt habe, ist mich mit anderen Menschen zu treffen, um Musik zu machen. Beim ersten Album habe ich fast alle Songs allein geschrieben, produziert und aufgenommen – keine Ahnung, wem ich dort etwas beweisen wollte – aber dem Prinzip bin ich da gefolgt. Jetzt hatte ich in letzter Zeit gemerkt, dass mit anderen zusammen viel mehr passiert und man sich gegenseitig viel mehr musikalisch überrascht. Es ist wie ein Ping-Pong-Spiel, in dem du auf den Schlag des Gegenübers reagieren musst. Und es macht auch einfach viel mehr Spaß. Gerade im Lockdown verbringt man schon genügend Zeit alleine und das wollte ich bei der EP etwas aufbrechen, wenn auch über Zoom.
Am Ende von jedem unserer Picky-Interviews gibt es noch eine Art Blank Space, wo die Künstler*innen noch loswerden können, was ihnen am Herzen liegt. Irgendein Statement, irgendwas, das dir gerade einfällt.
Mir wäre es wichtig, dass Leute sich die EP in Gänze von vorne bis hinten anhören. Ich weiß, das ist ziemlich oldschool, aber Künstler*innen denken sich dabei etwas. Man sollte wieder mehr Alben anmachen und weniger Single-Hopping. Ich merke selber, wie ich gerade sehr single-basiert Musik höre. Der Algorithmus und die Art, wie Streaming Plattformen uns Musik präsentieren, funktioniert momentan so, aber so erfährt man den ganzen Vibe von Musiker*innen und ihr Gesamtkunstwerk nicht. Also fangt bei eins an, hört bei sechs auf – und dann schreibt mir bitte, was ihr davon haltet.