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Zwischen Wandel, Genregrenzen und allem was gut groovt: Gigi Blow im Portrait

Gigi Blow (Alle Bilder im Beitag: Marleen @amfotografieren)

In der modernen Musiklandschaft, in welcher Künstler*innen sich von Single zu Single hangeln und nicht immer direkt Bühnen betreten (können), scheint sich jene Berliner Band anders durch sie hindurch zu bewegen. Gigi Blow blickt trotz einem Jahr ohne Releases auf einen vollen Festivalsommer. Wir haben einen Sonntag im Juni mit der fünfköpfigen Gruppe verbracht – das Gespräch dreht sich um die Schwierigkeit des sich Einordnens, die Wichtigkeit von Livemusik und kulturellen Räumen sowie neuen Wegen für die Zukunft.

Manche Musik begegnet einem so zufällig, so abrupt, dass man kurz innehält. Zum Beispiel während eines Konzertes, bei dem man, gerade noch in ein Gespräch vertieft, mit den ersten Akkorden still wird. Vielleicht hatte man vorher wenig Ahnung, was auf der Bühne passieren würde, und so werden plötzlich Nerven getroffen, von denen man noch gar nichts wusste. So ähnlich erging es mir mit der Band, die sich jetzt an einem der ersten warmen Sommertage gegenüber von mir auf Spätibänken niedergelassen hat. Gigi Blow entstand im regen Treiben der Hauptstadt und hat sich vor einem knappen Jahr in der jetzigen Konstellation zusammengefunden – Franz singt, Mali sitzt an den Keys, Dario am Schlagzeug, Leo spielt Bass und Leon Gitarre. Fusioniert klingen sie diffus, nie ganz berechenbar, aber immer auf der Suche nach neuen Sounds.

Das spiegelt sich auch in unserem Gespräch, das mit der durchgekauten Frage nach der Namensgebung beginnt. “Wir haben es uns ausgedacht, einfach damit es gut klingt”, erzählt Franz. “Unseren ersten großen Auftritt hatten wir unter einem ganz schlimmen Bandnamen und dann mussten Leo und ich uns unter Zeitdruck etwas anderes überlegen.” Einfach gut klingen ist auch ein guter Ansatz, wenn Genrezuschreibungen ins Leere greifen – denn dabei geht immer irgendeine Ebene verloren, die die Musik vielleicht gerade besonders macht. Wie ordnet die Gruppe sich selbst ein? Leon wirft spontan den Begriff ‘Action Rock’ in den Raum, an sich haben sie darauf keine klare Antwort, probieren sich stetig aus. “Wir sind gerade dabei, uns neu zu justieren und wissen selbst noch nicht ganz, was als Nächstes passiert.” Mali merkt an, dass der eigene Weg auch innerhalb des Prozesses vom Cover spielen bis hin zu selbst geschriebenen Songs meist erst ersichtlicher wird.

“Es ist wichtig, eben genau diese subkulturellen Freiräume zu erhalten und sie auch mit der Kunst, die man macht, zu unterstützen. Das spielt zunehmend eine größere Rolle und hat es auch immer schon gespielt.”

Das letzte veröffentlichte Lied, das man von Gigi Blow findet, ist über ein Jahr alt, aber seitdem spielten sie immer wieder live. Es scheint eine Priorisierung zu sein, wie Musik an Menschen gerät, die sich vom regelmäßigen Single Output unterscheidet. “Das wollen wir in Zukunft ändern. Die vielen Shows haben sich irgendwie ergeben, aber eigentlich merken wir, dass wir zu wenig Zeit für uns selbst haben”, beginnt Leo zu erzählen. Mali nickt und ergänzt: “Wir hatten ein bisschen damit zu kämpfen, mit der Gleichzeitigkeit von Ausbildung, Uni, Lohnarbeit, weit entferntem Proberaum. Dazu kommen hohe Ansprüche, wie die fertige Sache am Ende klingen soll. Aber wir haben angefangen wieder Songs aufzunehmen.” Die Band erklärt, dass sie das Konzept des Entwickelns von Musik für sich gerade neu verstehen lernt, dass sie andere Ansätze findet. Man müsse nicht immer alles kollektiv mit begrenzter Zeit im Studio ausdiskutieren, sondern könne auch Bruchteile für sich Zuhause produzieren. Franz führt die zeitliche Dimension weiter aus. “Sich mehr Zeit nehmen heißt in dem Kontext nicht sich mehr Zeit zu lassen, sondern dass wir uns diese Zeit dafür wortwörtlich nehmen. Die meisten Proben sind Konzertvorbereitung, zum Perfektionieren der Shows, und dabei fällt das eigentliche Ding des Musikmachens hinten runter.”

Wir sprechen daraufhin über den Unterschied die Lieder im Vakuum unter sich und dann irgendwann auf einer Bühne zu spielen. “Der Proberaum ist nur wie ein Labor, in dem man etwas zusammenbaut. Man merkt immer erst, wenn man einen Song vor einer Crowd spielt, ob er überhaupt Sinn ergibt”, meint Leon. Ältere Musik vermittelt ein Gefühl von Sicherheit, meist weiß man, wie die Menschenmenge reagieren wird. Aber das Präsentieren von Neuem macht verletzlicher. Tendenziell werden sich bei ihren Shows jedoch durchweg die Füße zertanzt. Mali erinnert sich dabei auch daran zurück, als Mali selbst noch auf der Publikumsseite stand und nun die Erfahrung gemacht hat, die andere Perspektive einnehmen zu können. “Es war beeindruckend zu sehen, wie die eigenen Freund*innen in der ersten Reihe stehen und Spaß mit der Musik haben.” Ein ihnen sehr vertrauter Spielort ist dabei das Feel Festival, dessen Bestandteil sie dieses Jahr zum vierten Mal sind. Anfangs noch gefühlt in einem Geräteschuppen auftretend, kuratieren sie nun mittlerweile selbst eine Stage.

Gerade sitzen wir in einer ruhigen Nebenstraße in Kreuzberg, davor sind wir gemeinsam mit Fotografin Marleen durch die Umgebung geschlendert, um Gigi Blow in der Stadt festzuhalten, durch die sie sich am meisten bewegen. Alle Mitglieder sind hier aufgewachsen, abgesehen von Dario. “Ich bin vor knapp vier Jahren nach Berlin und sehe den Ort immer noch als Spielplatz. Wenn man sich in dieser Szene bewegt, ist es krass wie viel neue Sachen man ständig hört und sieht.” Die Band beschreibt es als eine Stelle, an der sich diverseste Kunst ballt und das macht es einfacher selbst damit anzufangen. “Die Bandbreite von musikalischen Stilen und Einflüssen, die hier zusammenkommen, merkt man vielleicht auch in dem genreübergreifenden Wirrwarr, in dem wir uns befinden”, fügt Mali hinzu. Auch wenn der ständige Zuwachs zur Szene etwas Schönes und Bereicherndes hat, falle auch auf, dass es schwieriger geworden ist, herauszustechen. Pessimistisch betrachtet die Gruppe das aber nicht unbedingt – Franz sieht die Monopolstellung von Städten wie London oder Los Angeles hinterfragt, wenn immer mehr Musik und neue Bewegungen aus anderen Ecken der Erde Wellen schlagen.

“Dass viele coole Orte nach und nach schließen, macht schon besorgt”, merkt Leon an, als wir über politische Veränderungen und Kürzungen in Berlin sprechen. Das Verschwinden von Plätzen kultureller Relevanz geht auch an ihnen nicht vorbei. Mali fasst es passend zusammen: “Es ist wichtig, eben genau diese subkulturellen Freiräume zu erhalten und sie auch mit der Kunst, die man macht, zu unterstützen. Das spielt zunehmend eine größere Rolle und hat es auch immer schon gespielt.” Musik ist und bleibt eine Symbiose, aus den Künstler*innen, den Spielstätten und den Zuhörenden. Ein Medium dazwischen, welches immer mehr Bedeutung gewinnt, stellt dabei die Onlinewelt dar. Dort eine Präsenz zu haben, scheint mittlerweile dazuzugehören – fast wie ein zweiter Nebenjob. Gigi Blow fühlt sich davon nicht unberührt, aber sie stimmen überein, dass der Grund für Resonanz das Werk der Musiker*innen bleibt, abseits aller digitalen Bemühungen. Leon fallen direkt Beispiele ein. “Es gibt auch Gruppen wie Die Verlierer oder Pisse, die kaum auf Social Media vertreten sind und bei denen läuft es auch gerade total gut. Ich denke, die Präsenz muss auch zur Band selbst passen.”

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Und welche Musik schätzen sie selbst am meisten? Bei ihrer fünfköpfigen Konstellation müssen sie überlegen, ob es Dinge gibt, bei denen alle überhaupt übereinstimmen. “Alles was gut groovt” ist Leons erste Einschätzung. “Wir kommen alle aus sehr unterschiedlichen Ecken, was es vielleicht auch gerade ausmacht.” Wir begeben uns ein bisschen in die jeweiligen Ecken und persönliche Empfehlungen werden ausgesprochen. Franz’ absoluter Top-Song ist gerade Lordes “What Was That”, Dario hört, was immer er im Internet findet, momentan viel rusowsky. Leon gibt zu, wieder in der Country-Schiene gelandet zu sein und Leo nennt Död Mark, ein Projekt von Yung Lean und Gud, als größte Entdeckung. Alles klingt sehr anders, als das, was Gigi Blow über die Jahre veröffentlicht hat. “Ich höre immer noch den Soul, den ich mochte, als die ersten Songs entstanden sind, aber man findet ja immer Neues, was einen begeistert”, sagt Leo dazu. “Wir haben das damals sehr überstürzt aufgenommen und es ist ein schönes Zeitdokument für sich selbst, aber so langsam wissen wir auch immer besser, was wir wollen.” Wenn der schwitzige Festivalsommer vorbei ist und der Winter kommt, wird hörbar werden, wohin der Weg von Gigi Blow führt. Ein Lichtblick für die kalte Jahreszeit, die hier beim Sitzen vor’m Späti noch eine Ewigkeit weit weg wirkt.

Hier könnt ihr Gigi Blow demnächst live sehen:

18.07. – Localice Festival (Potsdam)

26.07. – Feel Festival (Bergheider See)

08.08. – WeGoApart with ART (Löbau)

22.08. – Lost and Sound Festival (Brodowin)

28.08. – Sägewerk Festival (Cottbus)

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