Zum feministischen Kampftag: Sechs Pionier*innen, die ihr kennen solltet

Bikini Kill zählen zu einen der wichtigsten Bands der Riot-Grrrl-Bewegung in den 1990er Jahren (Foto: Pat Graham)

Anlässlich des feministischen Kampftages wollen wir die Gelegenheit nutzen, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen: Welche FLINTA*-Pionier*innen haben Musikgeschichte bis heute geprägt?

Es gibt eine Menge nennenswerte FLINTA*-Artists, die gerade dabei sind, die Musikindustrie auf den Kopf zu stellen, aber zum heutigen Datum lohnt es sich auch einen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen – denn ohne so manche der unten genannten Künstler*innen wären wir nicht da, wo wir heute sind. 

Wir präsentieren euch daher im Folgenden sechs Wegbereiter*innen und Bands, welche von den 30ern bis heute maßgeblich den Feminismus geprägt haben. Die mit ihnen verbundenen musikalischen sowie politischen Bewegungen werden in diesem Zuge ebenfalls thematisiert. Auch, wenn dies nur einen Bruchteil der Vorkämpfer*innen darstellt, hoffen wir, ihr findet euch beim Lesen in ihren Songs und Werdegängen wieder. 

Disclaimer: Im Folgenden wird an manchen Stellen von einer historisch basierten binären Geschlechtertrennung gesprochen. Dennoch wollen wir hiermit alle FLINTA*-Personen ansprechen, für die es zu anderen Zeitpunkten in der Geschichte vielleicht noch keine Bezeichnung gab. 

Billie Holiday: Die Jazz-Stimme der Bürgerrechtsbewegung 

Vielleicht denken einige bei dem Namen Billie Holiday an diesen einen Song von Trettmann aus dem Jahr 2017 – darin singt er: “Fühl mich so wie Billie Holiday”. Wie fühlte sich die US-amerikanische Jazz-Sängerin und Musikproduzentin? Holiday wurde als junge Sängerin Teil der Harlem Renaissance-Szene und trat in den Nacht- und Jazzclubs New York Citys auf.

Die Harlem Renaissance-Szene war eine bedeutende kulturelle sowie künstlerische Bewegung afroamerikanischer Künstler*innen in den 1920er-Jahren. Die Sängerin nahm bereits mit 18 Jahren ihre erste Platte auf. In ihrem Song “Strange Fruit” von 1939 singt sie über einen grausamen Lynchmord: “Black bodies swinging in the southern breeze, strange fruit hanging from the popular trees.” Einige Wissenschaftler*innen bezeichnen “Strange Fruit” heute als eines der ersten Protestlieder der Bürgerrechtsbewegung. Das weiße, konservative Establishment reagierte damals alles andere als erfreut über den Song. Doch Billie Holiday ließ sich nicht beirren, die damals erst 24-Jährige kämpfte mit ihrer Musik gegen Rassismus, Menschenrechtsverletzungen und das Wegschauen eines Großteils der Gesellschaft.

1937 tourte Billie Holiday als erste schwarze Sängerin in einem weißen Orchester mit der Band von Artie Shaw. Doch im Umfeld einer Bigband fühlte sie sich nicht wohl – zu wenig Freiraum, zu viel Vorgegebenes. Einmal sagte sie: “Ich glaube nicht, dass ich singe, ich improvisiere mit meiner Stimme wie auf einem Instrument, wie Lester Young, Louis Armstrong oder sonst jemand, den ich bewundere. Es kommt alles, wie ich’s fühle. Ich hasse es, ein Lied so zu singen, wie es auf dem Papier steht. Ich muss eine Melodie so ändern, dass sie zu mir passt. Das ist alles, was ich weiß.” Anfang der 50er begann sie, mit dem Produzenten Norman Granz zusammenzuarbeiten – und endlich konnte sie mit Musiker*innen zusammenarbeiten, die das sahen, was auch sie in Musik sah und fühlte.

Billie Holiday ist eine wahre Ikone der Jazzszene und zeigte, dass es sich lohnt, für sich selbst einzustehen und die eigenen Werte nie aus den Augen zu verlieren – egal, was irgendwelche alten, weißen Männer davon halten.

 

Jayne County: Bruch von Binaritäten

Obwohl Berühmtheiten wie Andy Warhol und David Bowie maßgeblich von ihr inspiriert wurden und sie als die erste geoutete trans* Rockmusikerin gilt, fällt der Name Jayne County relativ selten. Nachdem sie sich als Dragqueen in ihrem Heimatstaat Georgia in queeren Kreisen bewegte und dort mit Gewalt auf der Straße konfrontiert war, zog es sie Ende der Sechziger nach New York. Dort war sie Teil der Stonewall-Auftstandes und begann ihre Musikkarriere – mit ihren Auftritten (wie in einem Kleid aus aufgeblasenen Kondomen) stieß sie sogar teilweise den Punk vor den Kopf.

Dabei verkörperte sie gerade dessen Attitüde durch ein aktives Brechen von gesellschaftlichen Normen und fand darin die Möglichkeit, ihre Identität auszuleben. Doch sie spürte, dass dies mehr war als Performance, dass sie sich mit der Bezeichnung als Drag Queen nicht komplett wohlfühlte. Ihre Entscheidung offen als transsexuell (Anm. von ihr genutzte Bezeichnung) zu leben spiegelte sie in ihre m Song “Man Enough To Be A Woman” aus dem Jahr 1978:

“I got a transexual feeling, it’s hard to be true to the one that’s really you

I got a scandalous feeling, it’s hard to be true when they point and stare at you

(…) I am what I am, I don’t give a damn”

Jayne County im Club 82, New York, 1974. Foto: Eileen Polk

Retrospektiv schätzte sie die Offenheit, die ihr die New Yorker Underground-Szene auf der Suche nach den wildesten Außenseiter*innen entgegenbrachte, und doch schien ihre queere Identität, die schließlich mehr war als ein schillerndes Bühnenkostüm, sie vom großen Erfolg abzuhalten. Sie konfrontierte die Gesellschaft sehr früh damit, dass eine trans* Frau nicht nur im Rampenlicht frei existieren wollte und keinem traditionellen Ideal entsprechen muss – diese Geschichten von Personen, die die allerersten Steine geworfen haben, dürfen nicht in Vergessenheit geraten.

 

Annie Lennox: NGO für Chancengleichheit  

Annie Lennox ist vielmehr als “nur” die ehemalige Sängerin der Band Eurythmics – sie hat eine beachtliche Solokarriere hinter sich, in der sie einige politische sowie kritische Songs veröffentlichte und setzt sich seit Jahren für Frauenrechte auf der ganzen Welt ein. Besonders ihr Album “Songs of Mass Destruction” enthält Zeilen mit melancholischen Untertönen darüber, wie es ist, eine Frau in unserer Welt zu sein. Auf ihrem Song “Sing” sind viele andere bekannte Musikerinnen zu hören, die gemeinsam singen: “Don’t hide your light behind your fear, now women can be strong, you’ve known it all along.”2008 gründete Lennox die NGO “The Circle” – eine Organisation globaler Feminist*innen, die sich für Chancengleichheit sowie Gleichberechtigung einsetzt. Innerhalb ihrer Organisation klärt sie unter anderem über häusliche Gewalt und Misogynie auf. 2019 produzierte sie gemeinsam mit ihrer NGO und Apple Music einen Kurzfilm zum feministischen Kampftag, in dem darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sich in Sachen Frauenrechte zwar in einigen Teilen der Welt bereits viel getan hat, jedoch noch immer zu viele FLINTA*-Personen unterdrückt oder ungleich behandelt werden, Gewalt erleben und keinen Zugang zu Bildung erhalten.

Lennox sagte einmal: “We all fight over what the label ‚feminism‘ means but for me it’s about empowerment. It’s not about being more powerful than men – it’s about having equal rights with protection, support, justice. It’s about very basic things. It’s not a badge like a fashion item.” Mit ihrem Einsatz für andere Frauen und ihrem androgynen Modestil zeigte Annie Lennox schon früh, dass festgeschriebene Geschlechterrollen bullshit sind.

 

Saâda Bonaire: Eine feministische Vision der 80er

Wer in den Sound dieser Künstler*innen hineinhört, kann nicht erahnen, dass sie sich in den Achtzigern in Bremen zusammengefunden haben. Damals noch in der Besetzung von Stephanie Lange und Claudia Hossfeld gründeten sie sich mit einem befreundeten DJ unter dem Namen Saâda Bonaire, was mehr Kunstprojekt als Band darstellen sollte. Vernetzt in der kreativen Szene der Stadt holten sie sich für jeden Song andere Musiker*innen verschiedener Herkunft ins Boot und formten so gemeinsam einen Stil, der New Wave mit Disco und arabischen Tonleitern verwebte.

Während schon die Musik an sich visionäre Züge zeigte, taten es die Texte erst recht: Lange und Hossfeld singen darüber, was es in der Gegenwart bedeutete, als Frau zu leben. In einem Interview erzählten sie, dass sie sich aktiv als Frauen gesucht und gefunden hatten, um sich mit ihren Erfahrungen auseinanderzusetzen. Das bekannteste Lied “You Could Be More As You Are” wurde dabei für eine befreundete Sexarbeiterin aus Hamburg geschrieben, die zu früh verstorben war – eine Gesellschaftskritik an den patriarchalen Strukturen, die weiblich gelesene Personen davon abhält, sich selbst zu verwirklichen. Auch lesbische Liebe wird innerhalb der Lyrics offen thematisiert.

Nachdem das Projekt vom Label nach nur einer Veröffentlichung wegen zu viel (finanzieller) Experimentierfreudigkeit fallengelassen wurde, lebte es in den Neunzigern noch einmal auf, diesmal mit Andrea Ebert an Langes Seite. Und doch war Saâda Bonaire wieder der Zeit voraus. Erst im letzten Jahrzehnt wurden die Songs wiederentdeckt und konnten dank Internetbekanntheit neu herausgebracht werden. Wenn man sich heute den warmen Stimmen der Sängerinnen hingibt, fühlen sich ihre Worte aktueller denn je an.

 

Bikini Kill: Vier Riot Grrrls machen politischen Punk 

1990 gegründet kämpften Kathleen Hanna (Gesang), Kathi Wilcox (Bass), Tobi Vail (Drums), William „Billy“ Karren (Gitarre, bis 2019) und Erica Dawn Lyle (Gitarre, seit 2019) mit ihrer feministischen Musik unter dem Namen Bikini Kill für Gleichberechtigung und Aufmerksamkeit. Dabei dienten vor allem ihre Texte und die provokanten Liveauftritte als Mittel der Auflehnung gegen vorherrschende Geschlechterstereotype. Zum Zwecke des Widerstandes machten sie es sich zur Aufgabe, Frauen darin zu bestärken, auf die Bühne zu gehen und gemeinsam eine feministische Community innerhalb der Punkszene zu etablieren. Dabei verhalf ihnen vor allem das Touren mit ihrer Musik dazu, ein Underground-Netzwerk von Frauen vor und hinter der Bühne aufzubauen. Durch die unabhängige Vermarktung und die Politisierung ihrer Musik entstand eine Plattform für die Stimme zahlreicher Frauen. Auf ihrer Webseite schreibt die Gruppe: “If all girls start bands the world would change”. 

Bikini Kill gelten noch heute als Pionier*innen der Riot-Grrrl-Bewegung. Im amerikanischen Underground-Punk angesiedelt, lieferten die “Riot Grrrls” durch Provokation feministische Impulse und erhoben ihre Stimmen für Gleichberechtigung, künstlerische Unabhängigkeit und die Schaffung alternativer Produktions- und Vertriebsstrukturen. Ihre subkulturelle Rebellion zielte vor allem auf die vorherrschende männliche Prädominanz in der Musikbranche ab und sollte gesellschaftliche Rollenbilder kritisieren. Die Bewegung entstand Anfang der 90er Jahre als weibliches und queeres Pendant zum männlich dominierten Grunge. Die Riot Grrrls distanzierten sich, ähnlich wie Nirvana oder Pearl Jam im Grunge, vom glatten Mainstream-Sound der damaligen Rockmusik und verzeichneten eine “hässliche”, verzerrte Klangästhetik

Der mitunter bekannteste Song von Bikini Kill ist “Rebel Girl”, welcher auf den beiden Platten “Yeah Yeah Yeah Yeah” und “Pussy Whipped” 1993 erschien. Für viele gilt der Track  noch heute als Aushängeschild der Riot-Grrrl-Bewegung. Das Stück erzählt von einer Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen und thematisiert anhand dessen feministische Solidarität und Liebe abseits von Geschlechtergrenzen.

Sieben Jahre nach Gründung lösten sich Bikini Kill 1997 auf. 2019 kam es zu einer Reunion, die bis heute anhält. An dieser Stelle auch noch ein Veranstaltungstipp: Am 08. Juni spielen Bikini Kill live in der Columbiahalle Berlin!

Le Tigre: Die Party nach dem Protest 

Als das bekannteste Nachfolgeprojekt von Bikini Kill bekannt, wurde Le Tigre 1998 gegründet. Neben Johanna Fateman, Sadie Benning (bis 2001) und JD Samson (seit 2001) war auch Kathleen Hanna, bereits als Sängerin bei Bikini Kill bekannt, Teil der Gruppe.

In Ihrer Musik, die sich Elementen von Punkrock und Elektronischer Musik bediente, widmete sich das Post-Riot-Girl-Trio feministischen, queeren und politischen Themen. 1999 erschien das erste, selftitled Album, auf dem sich auch der wohl bekannteste Song “Deceptacon” der Formation befindet. Ein weiterer nennenswerter Track ist außerdem “Hot Topic”, mit dem die Musiker*innen verschiedenen queeren und feministischen Aktivist*innen und Künstler*innen (zum Beispiel David Wojnarowicz, Lorraine O’Grady, Catherine Opie und Vaginal Davis) Tribut zollen. In Anlehnung an ihre Gründungszeit bezeichnen sie den Sound ihres ersten Albums als “party after the protest”.

Neben der feministischen Ausrichtung ihrer Inhalte ist die Band vor allem für ein weiteres Merkmal bekannt: Jedes Mitglied übernimmt insbesondere live jede Funktion, wodurch es keine feste Rollen-, oder Instrumentenzuweisung gibt. Zudem binden die Musiker*innen vermehrt Multimedia- und Performance-Art-Elemente in ihre Live-Shows ein. Auch heute ist die Band noch aktiv, für 2024 wurden bislang jedoch noch keine Live-Termine veröffentlicht.

Text: Elsa Hädge, Felicitas Boell & Janina Hofmann

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