Wo bleiben eigentlich die FLINTA* Stimmen der NNDW?

Malaria! (Fotos: Petra Gall)

Wir erleben seit einiger Zeit ein Wiedererwachen der Achtziger Jahre im deutschsprachigen Raum – das ist nichts Neues, diese Neue Neue Deutsche Welle. Doch bei genauerem Hinsehen scheint die Bewegung, sobald sie aus dem Untergrund auftaucht, männlich dominiert zu bleiben. Um dem entgegenzuwirken, habe ich mich zu den Wurzeln begeben und das Internet nach FLINTA* Künstler*innen durchwühlt, von damals und heute. Das Ergebnis: Ein Plädoyer für’s Zuhören und eine Playlist zum Durchhören.

Im letzten Herbst stand die Künstlerin Blanche Biau für einen Moment auf einer kleinen Bühne in Berlin. Es schienen Klänge einer anderen Zeit durch den Raum zu wabern, in der sich ihr Gesang auf die schönste Weise verlor. Woran ich aber abseits des Sounds direkt hängenblieb, war ihr Kleid: Von oben bis unten zierte es das Plattencover eines „Xmal Deutschland“ Albums. Mir sagte die Gruppe etwas, in irgendeiner Ecke meines Gehirns, welches sich in fraglichem Maße für Namen von NDW-Interpret*innen interessierte (siehe diese grandiose Wikipedialiste hier). Jedoch erst nach dem besagtem Abend fing ich an mich mit der Band auseinanderzusetzen und geriet in eine Materie, aus der ich die nächsten Monate nicht mehr herauskommen sollte.

„Xmal Deutschland“ begann 1980 mit komplett weiblicher Besetzung. Dieser Satz allein stellte eine Rarität dar. Den Erfolg, den die Hamburger Gruppe mit ihren düsteren Klangwelten erzielte, ebenfalls. Er erstreckte sich über Landesgrenzen hinweg und auch heute fällt ihr Name immer wieder in der Geschichte des New Wave. Da schien etwas an der Art zu sein, mit welcher Anja Huwe verhallt über Mord, Mond und Lust sang. Sie war aber nicht die Einzige, die weibliche Sexualität thematisierte. Fast zeitgleich warfen „Östro 430“, benannt nach dem Pillenhormon, jegliche textliche Zurückhaltung über Bord und machten Musik ohne Gitarre – und ohne Männer. Ihre Provokation führte sogar in der damaligen Frauenbewegung zu Ablehnung, sodass sie begannen sich davon zu distanzieren. Was man auch kritisieren darf. Die Kraft ihrer Arbeit bleibt.

„Sexueller Notstand
Was dir bleibt ist deine Hand
D’rum nimm dir ein paar Pornos
Und pinn‘ sie an die Wand“

Östro 430 – Sexueller Notstand

Östro 430 (Foto: Richard Gleim)

Dieser Artikel könnte wohl nicht funktionieren, würden wir nicht über die Person sprechen, die fast jede Band, die sie mitbegründete, mit dem Buchstaben M anfangen ließ. Gudrun Gut belebte den Westberliner Untergrund mit „Malaria!“, „Mania D“, „Matador“ und mehr. Das Biotop inmitten der DDR war bekannt für seine kreative Energie, zu welcher sie und andere Künstlerinnen beitrugen – Experimentelle Synthesizer-Klänge, abstrakte Texte, etliche Konzerte. Doch während ihre männlichen Kollegen oft irgendwann Plattenverträge bekamen, blieben bei ihnen die Möglichkeiten aus. Gudrun, die immer noch musikalisch aktiv ist, spricht retrospektiv nicht verärgert über den freieren Lauf der Dinge abseits des Kommerz. Doch sie unterstreicht, wie an dem Punkt der Professionalisierung, „wenn es um Geld und Macht geht“, Frauen stets in den Hintergrund rücken müssen (siehe dieses Interview mit Vogue Germany).

Die Alternative hieß und heißt immer noch: Selbermachen. „Malaria!“ gründeten ihr eigenes Label (welches natürlich auch mit M anfing), um weiterhin Musik nach ihren Vorstellungen kreieren zu können. Die neuen technischen Möglichkeiten, wie beispielsweise das Samplen mit Synthesizern, ermöglichten sogar ein Arbeiten von zuhause. Diese Entwicklung hat sich heute nun intensiviert – Ein Laptop reicht aus um Unmengen an Geräuschkulissen herzustellen und jene direkt mit der Welt zu teilen. Wer lang genug gräbt, findet eine Menge Schätze, die so klingen, als ob sie Zeitgenossen von „Malaria!“ wären. Die Musiklandschaft schlägt, ob sie will oder nicht, in vielen Aspekten eine inklusivere Richtung ein.

Blanche Biau (Fotos: Elsa Hädge)

Nach dem Trip in die Vergangenheit habe ich mich auch auf die Suche nach FLINTA*-Künstler*innen gemacht, die sich in dem mitbewegen, was wir nun Neue Neue Deutsche Welle nennen. Ein Strom, der genauso nicht klar definierbar ist und gerade dadurch aufblüht, der sich lieber ausprobiert anstatt sich zu ernst zu nehmen – und auf kommerzieller Ebene immer noch männlich dominiert bleibt. Dabei fehlt es nicht an Musik von FLINTA*-Personen, sie befindet sich überall, in den hintersten Ecken des Internets. Ich weiß noch, wie ich mit Mia Morgans „Gruftpop“-EP etwas fand, nachdem ich unterbewusst gesucht hatte. Diese Stimmen finden ihren Weg in Playlisten und auf so manche Bühne. Aber wieso werden sie dann stets zu selten im allgemeinen Diskurs gehört und unterstützt?

„Östro 430“ war damals fester Bestandteil des Punkkreises in Düsseldorf, zu dem auch „Fehlfarben“ gehörte, aber an deren Bekanntheitsgrad kamen sie nie heran. Viele in Westberlin ansässige Gruppen bestanden meist aus denselben Personen, nur in anderer Konstellation – so begründete Gudrun Gut auch die „Einstürzenden Neubauten“ mit. Trotzdem scheinen vor allem die männlichen Namen zu fallen, wenn es um die kreativen Innovationen dieser Zeit geht. Und es fällt eine Parallele auf: Die Musikerinnen sahen ihr Schaffen im Moment weder als explizit feministischen Akt, noch als Inbegriff der NDW an, aber retrospektiv sind sie für beides unentbehrlich. Wie wir heute leben und wie die Lieder klingen, die wir gerade hören, hat wesentlich mit diesen Frauen zu tun.

Das hier soll weder Jahrzehnte von Musikgeschichte auf einmal aufarbeiten, noch die erwähnten Künstler*innen argumentativ auf Geschlecht reduzieren. Es ist viel mehr der Versuch, dass wenn wir über die Neue Deutsche Welle und ihr Revival sprechen, dabei genauso FLINTA*-Artists einbeziehen. Ihren Soundwelten zuhören, ihre Blickwinkel betrachten. Denn sie haben ein Genre, welches niemals ganz greifbar sein wollte, mitgeformt, mitgedacht – und tun das immer noch.

Hier findet ihr eine Ansammlung neuer sowie alter Songs von FLINTA* Stimmen. Viel Spaß beim Entdecken!