error im Clip zu „xy“ (Alle Fotos: Kristina Wolf)
Seit nicht mal einem Jahr teilt error seine Songs mit der Welt. Indem er Schweres in klare Worte und pulsierende Sounds fasst, gibt er anderen das Gefühl in ihrer Realität verstanden zu werden. Im Talk mit Picky erzählt er von Musik in Zeiten des Algorithmus, Männlichkeitsbildern und wieso kein Weg an politischem Handeln vorbeiführt.
Ein geschorener Hinterkopf, zwei fremde Hände, welche Buchstaben in das eh schon kurze Haar fräsen. Mit dieser Szene beginnt das Musikvideo zu „xy“, zeichnet ein Sinnbild für die Geschlechterzuschreibungen, die uns von Geburt an begleiten und formen. In einer Gesellschaft, die dabei männlich sozialisierten Personen vermittelt, nicht über ihre Emotionen zu sprechen, wirkt vulnerables Songschreiben schon fast wie ein Wagnis. Doch ein Künstler wie error und sein Werdegang zeigen, dass es eine Nachfrage nach Stimmen gibt, die sich von Stereotypen lösen. Diese Möglichkeit schätzt Hauke aka. error, trotzdem verschwindet natürlich nicht alle Hemmung mit einem Mal. “Ich weiß aber auch, dass die Erde sich weiterdreht, egal wie scheiße oder gut irgendein Song streamt. Das hat mich auf eine positive Art beruhigt – der Puls geht mir jetzt nicht immer sofort so hoch, wie das vielleicht vor ein paar Monaten noch war.“
Erst letzten September erschien die Debüt-Single „Starkes Drehbuch, schwacher Cast“, ein mit cineastischen Metaphern gespickter Song über eine gescheiterte Beziehung. Wir sprechen daraufhin über Lieblingsfilme und Hauke entscheidet sich nach kurzem Hadern für ‚Mother!‘ von Darren Aronofsky. Wie wichtig ist ihm dahingehend auch eine Umsetzung seines Sounds in Videoform? „Ich glaube, dass wir super visuelle Wesen sind, deswegen hat es für mich schon einen wichtigen Stellenwert.“, erzählt er. Jeder Song erschien bis jetzt mit dazugehörigem Clip. „Das ist immer eine riesige Zusammenarbeit und ich bin mega glücklich dort Input zu bekommen. Eine Vision habe ich dabei natürlich trotzdem.“ Diese wird auch im schon oben angesprochenen Video zu „xy“ spürbar, die Szenen glühen mit einer Intensität und einem Frust wie der Song selbst. error singt davon, das eine Chromosom lieber loswerden zu wollen, wenn die Aufbürdung bestimmter Bilder des Mannseins damit einhergeht. Er spielt mit der widerlegten Auffassung, Normen seien simpel auf die Biologie zurückzuführen – wie wir sozialisiert sind, hat viel mehr entscheidende Effekte. “Ich bin nicht in einem hardcore-konservativen Haushalt aufgewachen, sonst würde ich wahrscheinlich auch nicht das machen, was ich mache. Mir wurde die Vorstellung vermittelt, dass Eigenschaften losgelöst von irgendwelchen Geschlechteridentitäten existieren. Meine Eltern haben sich sehr bemüht progressiv zu sein und dennoch wird man ja nicht ganz frei von Stereotypen. Da ist noch viel Mist in meinem Schädel, den ich selbst reflektieren kann und es mir trotzdem schwer fällt, dies umzusetzen.”
„Kannst du mir helfen, das zu heilen?
error – xy
Gibt’s Medizin gegen das Schweigen?“
Wir kommen zum Stichwort toxische Männlichkeit, ein Begriff, der sich mittlerweile in aller Munde befindet. Und während es natürlich relevant ist, Negatives zu thematisieren, fehlt in dem Diskurs manchmal parallel ein Gespräch darüber, was denn die Alternative darstellen kann. Hauke stellt voran, dass man sich auch hier davor hüten muss, nicht genauso in verfestigte Zuschreibungen zu verfallen, aber er versteht das Bedürfnis nach Vorbildern, nach etwas zum Festhalten. “Was mir wichtig wäre, ist Empathischsein, Verantwortung für sich und die Gesellschaft zu übernehmen – dass nicht alles egal und beliebig wird. Es ist cool, nicht nur für sich zu leben, sondern auch ein Stück weit für andere.” Seine künstlerische Arbeit scheint dies zu spiegeln. Die Geschichten, die error sich traut zu erzählen, gehören insgeheim zu vielen. So redet das lyrische Du in seiner gerade erschienenen Single “00,00KG” offen von der Schwierigkeit, sich im Spiegel sehen zu können, sich im eigenen Körper wohlzufühlen. Sie bildet nach “xy” den zweiten Part eines größeren Projektes, zu dem er mir nur sagen darf, dass er einen Handlungsstrang wiedergeben möchte, der über eine einzelne Story hinausreicht.
Soundlich wirkt sein Werk beim Hören erfrischend fluide, entweicht jeglichem klaren Schubladendenken, und doch sind immer wieder Einflüsse wie beispielsweise aus dem Hip-Hop erkennbar. In “Richtung Mars” spricht er eine unspezifizierte Gruppe an, gegen deren System er gehe, deren Tracks er kaum hört. Ob er in diesen Zeilen wohl auf die Rapszene und die damit verbundenen Ideale eingehen wollte? “Vielleicht war es unklug, ein Gefühl von ‘Wir’ und ‘Die’ zu vermitteln… Aber irgendwas scheint schon dran zu sein. Viele sehr etablierte Acts aus dem Bereich leben irgendwie nicht im Jahr 2024, was echt problematisch ist, und da finde ich es auch berechtigt, sich davon abzugrenzen. Ich denke, es ging mir generell um Menschen, die mit dem eigenen Wertekompass überhaupt nicht kompatibel sind.”, meint er. Als wir danach über Musik sprechen, welche in Haukes Zimmer öfter hoch und runter gelaufen ist, fallen Namen wie Paula Hartmann oder Verifiziert – neuer Wind in den Strukturen dieser Szene.
„Es ist cool, nicht nur für sich zu leben, sondern auch ein Stück weit für andere.“
– error über ein Entgegensetzen zu toxischer Männlichkeit
Ein Wandel findet auch in der Weise statt, wie Künstler*innen ihre Songs mit der Welt teilen. In Zeiten sozialer Netzwerke und kürzerer Aufmerksamkeitsspannen muss man sich innerhalb von Sekunden vermarkten und darauf hoffen, dass der Bruchteil eines meist viel längeren Liedes an die richtigen Leute gerät. “Ich versuche, diese Social-Media-Sache als Chance und nicht als Bürde zu begreifen – das gelingt mal so, mal so. Im besten Fall kann es ein weiteres Mittel sein, um sich auszudrücken, aber wenn man es an einem bestimmten Tag gerade nicht fühlt, einen TikTok zu filmen…” Da schwingt ein komisches Gefühl mit in diesem Prozess teils komplette Alben in ein anderes Format herunterzubrechen, ein jenes, mit welchem Musiker*innen vielleicht gar nicht in dem Maße vertraut sind. “Auch nicht alles ist so kompatibel mit diesem Algorithmus – es gibt Werke, die sich nur außerhalb dessens entfalten können und das funktioniert dann leider nicht immer.”
Als wir uns auf die Schlußworte zubewegen, die am Ende unserer Interviews den Künstler*innen einen frei füllbaren Raum lassen sollen, bedauert Hauke, sich vorher kein sozialistisches Pamphlet zurechtgelegt zu haben. Was kann man noch auf die Schnelle formulieren, das Bedeutung hat? “Angesichts der Europawahlen bin ich echt desillusioniert, was den Zustand des Landes angeht. Deswegen würde ich gerne sagen, dass Zusammenkunft und Toleranz in einer globalisierten Welt unumgänglich sind. Wir kriegen zum Beispiel keinen Klimawandel bekämpft, wenn wir das nicht zusammen tun.” Innerhalb all der politischen Arbeit, die wir vollbringen müssen, stellte Musik auch schon immer eine Form des Resistenz dar. Dieser Macht müsse man sich bewusst sein, sagt er. “Niemand ist in dieser Demokratie komplett ohnmächtig und kann sich nicht zu Dingen positionieren, deswegen finde ich es wichtig, dass Personen mit Reichweite diese nutzen. Es gibt ein paar große Acts in Deutschland, die nie zu irgendwas die Fresse aufmachen – aber völlig unpolitisch sein, ist einfach keine Option.” Denn wer nun still bleibt und meint damit sich Politischem zu entziehen, unterstützt dabei schlichtweg eine populäre (rechte) Politik ohne Widerstand zu leisten.