Philip Brooks im Interview: „Ich fühle mich sehr frei, irgendwie.“

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Dreampop-Wunder Philip Brooks erzählt im Interview über den Prozess des Songschreibens, Repräsentation in der Musikszene und heruntergefallene Kameras.

Letztens gab es schon ein kleines Fazit von mir zu Everything Is Changing Now, aber ich habe mich auch mit der Person hinter dem Song zusammengesetzt um ein wenig darüber zu quatschen. Also über Videochat natürlich. Abgesehen davon, dass wir gerade in einer Pandemie stecken, wohnt Philip Brooks nämlich ein ganzes Stück weit weg, in Brighton an der englischen Küste. Doch vor ein paar Monaten war er noch in der Heimat, ein bisschen länger als gewollt – wie dies zum Entstehen des Songs beigetragen hat, erfahrt ihr hier.

Wann hast du denn mit dem Song angefangen? War das in der schweren Phase, von der du singst, oder erst danach?

Den Song habe ich tatsächlich einen Tag bevor ich ihn nach Brighton geflogen bin begonnen. Zuerst hatte ich nur den Drumbeat und die Akkorde darüber, er ist dann bei meinem Manager auf dem Fußboden mit mir am Laptop, Kabeln überall und ich ins Mikrofon singend komplett entstanden. Aufgenommen wurde er erst vor kurzem. Noch nie war der Zeitraum zwischen fertigem Song und Veröffentlichung so klein. Also ja, er ist sehr, sehr neu.

Im Text dreht es sich aber noch viel um Unsicherheiten, so wie in der Zeile „I don’t know who I’ll be on New Year’s Eve“, aber die Melodie klingt  andererseits sehr positiv.

Es ist rückblickend, über das gesamte Jahr eigentlich. Worüber ich rede, da ist schon ein paar Monate Distanz dazwischen. Aber einfach, weil ich nicht so gut darin bin, während mir irgendetwas passiert, darüber zu schreiben. Ich brauche immer einen gewissen Abstand und dann kann ich reflektieren, das Ganze was vorging nochmal durcharbeiten.

Wie war denn der Prozess dieser Selbstfindung für dich? Und was hat es genau ausgelöst?

Das geht ja in eine volle Therapie Session über. (lacht) Ich bin nach Deutschland gegangen, weil ich eine Person sehr mochte und diese sehen wollte. Ich war auch noch in dem Zustand der letzten drei Jahre, in dem ich nie stillgestanden bin. Jedoch hat mich die Person irgendwann angerufen und mir mitgeteilt, dass es nicht mit uns funktioniert. Da dachte ich mir dann: „Okay, well… fuck.“ und wollte gleich wieder hier verschwinden. Das Ding war nur, den nächsten Flug den ich bekommen konnte, der war anderthalb Monate entfernt. Jetzt befand ich mich auf einmal in allein in Deutschland, in der alten Wohnung, in einer neutralen Zwischenzeit, in der irgendwie so gar nichts passierte. Ich konnte mich nicht mehr mit Gefühlen für eine andere Person ablenken, was normalerweise immer meine Strategie war, um mich nicht mit mir selber auseinanderzusetzen. Das ist jetzt das erste Mal seit Jahren so gewesen und hat mich voll in diese Selbstfindung reingeworfen. Dann war alles durcheinander.

Wo würdest du sagen bist du jetzt, da der Song draußen ist? Was hat sich so zum Guten verändert, gerade mit dir selber?

Ich befinde mich wieder in einem Umfeld in Brighton, in welchem ich nicht das Gefühl haben muss, mich irgendwie einzuschränken. Vor ein paar Tagen bin ich das erste Mal einen kompletten Tag in einem Kleid herumgelaufen und niemand schaut einen dabei an. Wenn ich mir das jetzt in meinem deutschen Ort vorstelle… Dort würde ich damit nie davonkommen. Jetzt weiß ich, dass auch mit der extremsten Expression von mir selbst, ich mir keine Gedanken machen muss, ob mir irgendwas auf der Straße passiert. Es gibt einem die Sicherheit, sich nicht verstecken zu müssen. Und ich bin auch nicht dabei mich für eine andere Person zu vernachlässigen, was sehr erfrischend ist. Ich fühle mich sehr frei, irgendwie.

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Das klingt doch nach einer schönen Entwicklung. Wie war es dann sich zu öffnen, anderen gegenüber zu sagen: „Hey, ich bin non-binär“?

Es ging sehr schnell irgendwie. Aber nach dieser gezwungenen Selbstfindungsphase habe ich es einer guten Freundin als Erstes erzählt. Sie war super supportive, was auch mir geholfen hat es überhaupt selber zu akzeptieren, dafür bin ich sehr dankbar. Ein paar Tage später hat sich Amber von The Japanese House auch als non-binär geoutet und, tja, Amber ist mein Ikon seit Jahren, also eine Person, zu der ich eh schon aufschaue. Dann zu sehen, dass wir irgendwie auf dem selben Weg sind, und Amber das einfach nebenbei auf Instagram postet, hat mir das Bedürfnis gegeben es genauso zu tun. Also habe ich ohne groß nachzudenken das Ganze in einer Story erwähnt und fast jeder hat super lieb darauf reagiert. Seitdem fühlt es sich nicht mehr wirklich nach einer großen Sache an, sondern relativ alltäglich, wie es ja auch eigentlich sein sollte.

Eine Standardfrage, aber trotzdem: Was willst du mit dem Lied erreichen, beziehungsweise wen? Oder ist es eher etwas, was du sehr für dich selbst gemacht hast?

Es war anfangs sehr für mich. Zu Beginn hatte ich nur den Refrain, den Rest habe ich dann mit einer Freundin geschrieben, die mir sehr dabei half alles in Worte zu fassen. Es war nie überhaupt irgendwie geplant, das Lied rauszubringen. Doch dann meinte ich so zu meinem Manager: „Hey, wir könnten eigentlich dieses Jahr noch einen Song rausbringen, oder?“ Dann war klar, dass das es Everything Is Changing Now wird, da es der Neueste ist und das Beste, was gerade existiert. Genauso wie Ambers Coming Out mir geholfen hat, möchte ich viel darüber reden, was der Gedanke hinter dem Lied ist, um selber Repräsentation in die Welt zu setzen.

Am Ende von jedem Picky Interview gibt es noch einen Blank Space, wo du den Leser*innen noch mitgeben kannst, was du willst. Also, noch irgendwelche Gedanken?

Ein Fun Fact: Das Musikvideo war genauso chaotisch wie es aussieht. Das Hinfallen war nicht geplant und die Kamera war sogar kurzzeitig unter Wasser, da wir die Tiefe an manchen Stellen des Strandes in Brighton unterschätzt hatten…

Also ich finde es kommt gewollt rüber! Und der glitchige Effekt passt auch echt gut dazu, wie hast du den eigentlich hinbekommen?

Das Video ist mit einer alten VHS Kamera gefilmt, dass es so glitchy aussieht, war mehr ein Versehen. Da muss man ja die Dateien in Echtzeit überspielen und beim Aufnehmen am Computer ist mir die Kamera einmal runtergefallen. Und dann war ich so: „Oh warte, das sah cool aus.“ (lacht) Also habe ich Kamera immer wieder beim weiteren Überspielen geschüttelt und so kam der Effekt zustande.