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Levin Strehlow – Hinter dem Meer (EP)

Pickymagazine Levin Strehlow Hinter dem Meer EP

Levin Strehlow sieht ein bisschen aus wie der Steuerberater deines Vertrauens, hat aber deutlich mehr auf dem Kasten! Der junge Mann und seine Gitarre kommen aus dem sonnigen Rostock und erzählen von alltäglichen Dingen, die jeder irgendwie kennt. Zum Beispiel stehen gelassen werden, verliebt sein und diese anderen Dinge für die man Gefühle braucht. Levin Strehlow macht das aber ganz erfrischend und mit Hinter dem Meer ist jetzt auch sein erster offizieller Output erschienen.

Wir beginnen die EP mit Sommersprossengesicht. Meine erste Assoziation: Der Song hat ein bisschen was von First Day of My Life von Bright Eyes. Inhaltlich geht es (natürlich) um eine schöne Beschreibung von verliebt sein. Wenn ich beim Musik hören anfange Bilder zu sehen, ist das ein guter Indikator dafür, dass die Musik von Herzen kommt. Und ja, ich sehe tatsächlich jemanden: Ein Paar ist am „Strand“, Nordsee oder Ostsee und die Sonne scheint. Man turtelt verliebt durch die Gegend und guckt sich ständig an. Nahaufnahme auf ihr Gesicht, dann auf seins. Dann kommt dieses Bouquet von der Sonne, wenn man sie im richtigen Winkel filmt. Wäre doch eine Idee für ein Musikvideo oder nicht? Vielleicht singt er aber auch nur vom Sams. Nobody knows. Levin Strehlow is nobody. Schöner, ehrlicher Anfang. Ich bin schon dabei, wie Clueso.

Pickymagazine Levin Strehlow Hinter dem Meer EP
Wenn deine Mama sagt, dass dir Hemd und Gitarre gut stehen 🙂

Gespenster ist wohl die intellektuell-lyrische Version von sich ghosten lassen. Levin Strehlow vs. erstes Tinderdate. Sich trennen, Liebeskummer, alleine sein, das kleine Singer-Songwriter 1×1 eben. Man könnte jetzt schreiben: Hatten wir schon. Man könnte aber auch schreiben: Hatten wir schon, macht es aber nicht schlechter. 🙂

Hatten wir schon, macht es aber nicht schlechter.

Früher gab es halt Liebesbriefe, heute Whatsapp-Nachrichten. Same shit, different day. Hat thematisch ein paar Akzente von Keaton Henson. Der kurze B-Teil ab 2:14 ist sehr angenehm und sorgt für etwas Abwechslung in dem doch eher ruhigen, melancholischen Song.

Zur Mitte der EP hin, also bei Der Astronaut hatte ich tatsächlich Gänsehaut. Der Song ist die Hymne aller Menschen, die vom Schicksal betrogen wurden. Da ich neulich in Berlin war, um mir Palace anzuschauen, ist dieses Thema nochmal besonders frisch für mich. Was man da teilweise für traurige Existenzen in den Ecken liegen sieht ist schon schockierend, entspricht aber leider der Realität, an der wir alle schuld sind. Soviel dazu. Die Hymne der Betrogenen entwickelt sich weiter zu einem Rundumschlag-mit-der-Gesamtsituation-unzufrieden-sein. Die Metapher mit dem Astronauten, dass er die Welt eben von oben sieht, etc. würde ich normalerweise etwas ausgelutscht finden, aber Levin Strehlow macht das erneut ganz sympathisch. In Mittelalter-Style wird dann gesungen:

Während wir Müll trennen, um zu recyclen, suchen Menschen in Abfällen etwas zu essen. Während wir unsere Scheiße mit Trinkwasser runterspülen, verdursten Menschen anderswo.

Vielleicht sollte der Junior mal einen Gig im Bundestag spielen. Da sitzen nämlich Leute, die Leute kennen, die Dinge ändern könnten. Wär so ein produktiver Vorschlag meinerseits. Der Astronaut hat auf alle Fälle Feuer und ist bisher der stärkste Song auf der EP.

Que Pasa klingt für mich ein bisschen wie eine verschrobene Version eines Jack Johnson Songs. Irgendwie kann ich damit aber nichts anfangen. Wenn ich nur auf den Text achte, glaube ich, dass er an eine bestimmte Person gerichtet ist, die ich nicht kenne. Deshalb kann ich das als Hörer dann auch nicht wirklich verstehen oder irgendeinen Value daraus ziehen. Que Pasa fand ich deswegen auch im Gesamtwerk der EP irgendwie nicht so passend. Auch dieses Hochgehen mit der Stimme hat mir nicht ganz gefallen. Dann doch lieber das kleine Singer-Songwriter Bingo: Herzschmerz, Liebeskummer und alte Briefe lesen (was es in 100% aller Fälle garantiert nicht besser macht). 

Levin Strehlow hat die Fähigkeit, alltägliche Dinge lyrisch hörbar zu verpacken

Als letztes gibt es mit Kalenderblätter nochmal eine Berliner Lovestory mit Unhappy End. Da sind wir wieder beim Tinder-Date. Vielleicht muss ihm mal jemand erklären, dass die Dinge in Berlin etwas anders laufen. Zum Glück nur in Berlin. Long Tall Jefferson ist übrigens ebenfalls ein Künstler, der stehen gelassen wurde und darüber einen Song geschrieben hat (I Flew Into Town). Der Refrain ist aber für mich auf jeden Fall relatable. Ich erinnere mich ein bisschen an meine Post-Abitur-Zeit (ja, isch hab Abi), in der ich auch ein bisschen planlos durch die Welt gestolpert bin. Retrospektiv (hat nichts mit diesen Brillen zu tun) betrachtet, war das keine schöne, aber definitiv notwendige Zeit für mich und meine persönliche Entwicklung. Wer auch immer da jetzt gerade durchgeht, hört euch die Musik von Levin Strehlow an, oder lest Pickymagazine, wir sind auf alle Fälle bei euch. Oder Levin? 🙂

Abschließend wie Store-Manager nach Feierabend kann man sagen, dass Levin Strehlow die besondere Fähigkeit hat, alltägliche Dinge lyrisch hörbar zu verpacken und mit passender Musik zu untermalen. Ich finde, er sollte mal darüber singen, wie er die Treppe runterfällt oder in Hundescheiße tritt, das wäre bestimmt ganz witzig und interessant zu hören. Spontan fallen mir nur noch die betont individuellen Jungs von Annenmaykantereit ein, die das (mehr oder weniger) genau so können. Allerdings geht Levin Strehlow wohl heute doch noch tanzen und raucht keine Pflanzen, nachdem er diese Review hier gelesen hat. 😉

Hinter dem Meer ist eine schöne, kleine, selbstgemachte EP, um der Welt zu zeigen, dass Levin Strehlow jetzt da ist. Nicht mehr und nicht weniger. Großen Respekt dafür, dass er es nur mit seiner Stimme und seiner Gitarre geschafft hat, dass ich für ca. 15 Minuten nicht auf mein Smartphone geschaut habe. Sauberes Fingerpicking kann man noch ein bisschen verfeinern, allerdings gibt es Hinter dem Meer auch einen gewissen Charme. Ich mag das.

  • Am besten hören beim: Mit seiner Flamme eine schöne Zeit haben, am Schlesischen Tor stehen gelassen werden
  • Favourite Song: Der Astronaut, Gespenster
  • Least Favourite Song: Que Pasa

Levin Strehlow ist zu cool (oder zu doof) für Spotify, deswegen kann ich nur auf sein Bandcamp-Profil aufmerksam machen, dat jibt es hier. Eine Live-Version von Gespenster kannst du dir hier anschauen:

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