Shelter Boy übers Versagen, das Streben nach Zufriedenheit und „Failure Familiar“

Shelter Boy Failure Familiar

Foto: Anja Jurleit

Am Freitag ist es endlich passiert. Indie-Deutschlands Darling Shelter Boy hat seine Debütplatte „Failure Familiar“ veröffentlicht. Während Shelter Boy im März im Interview mit picky Elsa zum Vorboten „Atmosphere“ noch nicht verraten wollte, dass ein Album on the way ist, ist die Platte nun schon seit gut vier Tagen draußen. Elf Songs. Für jede und jeden konsumier- und genießbar. Zu diesem Anlass hat sich picky Sofia mit Shelter Boy über den Entstehungsprozess des Albums, die Bedeutung von Misserfolgen und Unzufriedenheit im gesamtgesellschaftlichen Kontext unterhalten. Das Gespräch könnt ihr hier nachlesen.

„Versagen gehört für mich als Teil von allem dazu…“

picky Sofia: Hey Simon, grüß dich erstmal. Wie geht’s?

Shelly: Voll gut! Wie geht es dir?

picky Sofia: Auch gut. Sehr aufregend, dass wir heute miteinander über deine Debütplatte „Failure Familiar“ sprechen. Anlässlich des Titels würde ich gerne von dir wissen, was dein letzter Fail war.

Shelly: (lacht) Ich bin ja gerade in Manchester. Wir sind vorgestern am Flughafen angekommen und haben festgestellt, dass wir keinen Tabak mehr haben. Wir haben uns schon gedacht, dass England bisschen teurer ist, haben uns dann aber gesagt, dass wir uns trotzdem welchen kaufen und dann hat der einfach 40 Pfund gekostet…Das war natürlich ein totaler Fail.

picky Sofia: Bleiben wir doch gleich beim Albumtitel. Möchtest du mit dem Titel den Begriff des Versagens neu beziehungsweise positiv besetzen?

Shelly: Ich glaube schon, dass es genau das ist. Versagen gehört für mich als Teil von allem dazu, irgendwie. Deswegen ist es für mich auch nicht nur negativ konnotiert, weil man da auch Kraft draus ziehen kann.

picky Sofia: Was ist denn gut am Versagen?

Shelly: In meinem Fall, dass ich Songs darüber schreiben kann. Aber ich glaube, dass ganz generell auf die Fresse fallen voll wichtig ist, um ein besserer Mensch zu werden und zu lernen.

picky Sofia: Hängt diese Einstellung mit deiner Mentalität als Skater zusammen?

Shelly: Da ist es natürlich direkt klar (lacht). Manchmal brauche ich das auch ein bisschen dabei hinzufliegen. Das gibt mir irgendwie was.

Entstehungsphase und Endprodukt

picky Sofia: Auf Instagram hast du im Ankündigungspost zu deinem Album gesagt, dass du die Songs in deinem Zimmer in Dresden damals geschrieben hast. Inwiefern hat diese Umgebung Einfluss auf dich und das Album genommen?

Shelly: Mittlerweile habe ich einen eigenen Studio-Raum, was total schön ist, weil ich so Musik und wohnen trennen kann. Da war es allerdings so, dass ich mit einem Kumpel zusammengewohnt habe. Manchmal habe ich mich alleine betrunken (lacht) und dann immer bis drei Uhr nachts vorm Laptop an den Songs geschraubt und sie ihm dann am nächsten Morgen gezeigt. Das war glaube ich der größte Einfluss, dass ich keine festen Arbeitszeiten und einen Mitbewohner hatte.

picky Sofia: Die erste Single zum Album, die veröffentlicht wurde war „Calm Me Down“. Warum hast du dich dafür entschieden, mit dem Track voranzugehen?

Shelly: Ich find’s immer schön, wenn der erste Release von einer Platte ein richtiger Banger ist! Die erste Single von der Liam Gallagher Platte war zum Beispiel „Wall Of Glass“. Das ist einfach so…

*fuchtelt mit seinen Händen herum*

picky Sofia: HUGE.

Shelly: Ja! So: C’MON!

picky Sofia: Wie stehst du eigentlich zu den King Krule-Vergleichen, die auch in der Kommentarspalte unter dem Video gezogen werden? Ehrt oder ärgert dich das?

Shelly: Es ehrt mich auf jeden Fall, weil ich King Krule natürlich wahnsinnig doll mag. Menschen vergleichen immer. Man kann sich natürlich darüber aufregen, aber dann ertappt man sich selbst dabei, dass man selber zu einem Konzert geht und auch irgendwo diese Punkte sucht, an denen man sich irgendwie festhalten kann. Deswegen, ey: It’s alright.

picky Sofia: Was würdest du aus heutiger Sicht sagen unterscheidet „Failure Familiar“ von deiner Vorgänger-EP „Rock’n‘roll Saved My Childhood (Lel)“?

Shelter Boy: Ich glaube, die Songs sind klarer. Klarer strukturiert und es ist klarer erkennbar, was der Song von einem möchte. Und die Platte ist wieder viel mehr von der Musik beeinflusst, die ich als Teenager gehört habe. Das hat viel Platz gefunden.

picky Sofia: Wie kommt’s, dass sich dein Songwriting zum Klareren hin entwickelt hat?

Shelly: Ich hab mich immer sehr davor gescheut, klare Aussagen zu treffen. Ein Song, der mich zum Beispiel voll gepackt hat ist „Perfect Day“ von Lou Reed. Jeder versteht diesen Text und trotzdem ist der super tief – sowas wollte ich auch machen! Ich wollte die Aussage im letzten Song vom Album, der heißt „I Can Be Sad“, nicht mit irgendwelchen Bildern umschreiben, sondern einfach klar sagen: Man darf und kann traurig sein. So isses. Ohne Angst davor zu haben, dass es cringe sein könnte oder so.

picky Sofia: Bist du besonders stolz auf „I Can Be Sad“? Du hast den Song ja auch schon diesen Sommer live gespielt, obwohl er unveröffentlicht war.

Shelly: Ich mag den schon sehr gerne, ja. Bin echt froh, wie der geworden ist. Auch über die Streicher, die wir für den Track aufgenommen haben. Bin ich schon stolz drauf.

picky Sofia: Appropos Streicher. In der Single „Forever You’ll Be Known” hast du ebenfalls welche drin. Im Musikvideo dazu sieht man dich als Teenager in der Provinz. Was würdest du deinem Ich von damals heute sagen wollen?

Shelly: Dafür bin ich  noch nicht alt genug. Ich mache immer noch viele Fehler. Bin noch genauso dumm (lacht).

 

Shelly fühlt sich cute im Kleid. Foto: Philipp Gladsome

picky Sofia: Im Musikvideo zu „Atmosphere“ sieht man dich durch eine Fish Eye-Linse die verschiedensten Outfits rocken. Unter anderem auch ein Hochzeitkleid. Würdest du sagen es ist mutig sowas im Kontext von Rockmusik zu tragen oder führt das Titulieren dessen als „mutig“ nur dazu, dass es nicht normalisiert wird?

Shelly: Ich fand mich einfach cute in dem Kleid. Das ist ja einfach ein wunderschönes Hochzeitskleid. Deswegen war der Gedanke dahinter auch, das nicht als besonders feminin darstellen zu wollen, sondern in diesem Hochzeitskleid trotzdem die Fresse aufzumachen, um damit zu brechen. Das sollte nicht diesen „Hey. guck mal ich bin ein Typ und ich zieh mir jetzt dieses KLEID an“-Vibe haben, der das als was Besonderes darstellt, sondern natürlich wirken und sein. Ich wüsste nicht, warum es mutig sein sollte.

picky Sofia: By the way. Im Video sieht man dich auch mit Boxerhandschuhen Gitarre spielen. Kommt dabei überhaupt ein passabler Akkord raus?

Shelly: Neee (lacht). Ich hab’s zu erst als Joke gemacht und dann war es so: ja, ist schon mega funny so zu spielen. Deswegen sieht man das auch im Video.

„Satisfaction is an ideal.“

Shelter Boy – When I’m In The Dumps, She Says

picky Sofia: Eine Zeile auf deinem Album, die mich viel beschäftigt hat ist „Satisfaction is an ideal“ aus dem Skit „When I’m In The Dumps, She Says“. Was hat dich zu dieser Erkenntnis gebracht?

Shelly: Während ich das Album geschrieben habe und generell habe ich diesen Moment, dass ich mit irgendwas zufrieden bin, maximal eine halbe Stunde. Danach denke ich mir immer: Und jetzt? Ich weiß nicht, ob es das irgendwann mal gibt, dass man sagen kann, dass man voll zufrieden mit etwas ist. Für mich ist das immer nur wie, wenn man sich nur kurz irgendwas reinknallt. Dieses Gefühl der Zufriedenheit ist nur ganz kurz da und dann ist es wieder weg.

picky Sofia: Welchen Einfluss hat dieses Gefühl auf die Art und Weise wie du Kunst machst?

Shelly: Ich glaube, dass ich halt sehr frei das mache, was ich will. Ich mache die Musik, von der ich glaube – und das muss auch niemand anderes so sehen – dass es gute Musik ist. Ich glaube, viele Künstler*innen machen auch Musik, die anderen gefallen soll. Was cool ist. Es ist auch cool, wenn meine Musik anderen Leuten gefällt, aber ich schreibe sie nicht dafür. Ich schreibe so wie ich denke, dass es Swag hat. 

picky Sofia: Ist dieses Phänomen, dass man nie an den Punkt der Zufriedenheit kommt aus deiner Sicht so ein junges Generationen-Ding?

Shelly: Ich denke eher, dass das generell im Menschen verstrickt ist. Ist ja schon irgendwie so, dass man immer genau das haben will, was man nicht haben kann. Das geht glaube ich einfach echt vielen Leuten so. Wenn man in provinzielle Orte geht, dann gibt es einfach sehr viele Leute, die sich mit ihrer Situation abgefunden haben. Aber das heißt ja nicht, dass in einem nicht doch etwas schlummert, das einem sagt, dass man eigentlich nicht wirklich zufrieden ist. Man ist unzufrieden, hat aber abgeschlossen. Das ist der Punkt, der nicht passieren sollte, weil man dann irgendwann einfach mega traurig ist. Ich kenne das von vielen Leuten aus Sachsen, wo ich herkomme.

picky Sofia: Ist für dich Unzufriedenheit denn dann eher ein Antrieb?

Shelly: Ja, total. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist das zu haben, damit man nicht stillsteht. Ich könnte jetzt ja auch einfach sagen: „Alter, ich hab ein Album rausgebracht. Ich bin der absolut Krasseste!“. Aber dann würde absolut nichts mehr passieren und außerdem ist es nicht so.

picky Sofia: In dem darauffolgenden Song „I Stand With You“ geht es darum, dass man als Musiker das Pendel nicht zu weit ausschlagen lassen sollte. Was hilft dir denn die Balance zu finden?

Shelly: Ich bin manchmal nicht der Beste darin. Was mir aber auf jeden Fall hilft ist Skateboard fahren als Aktivität. Außerdem muss man sich schon reflektieren, wenn man merkt, dass man mit Personen die ganze Zeit über etwas redet, das mit Musik zu tun hat. Wenn mir das passiert, muss ich schon einen Reality Check machen und merken, dass das hier gerade nicht hingehört. Ich glaube, man muss als Künstler oder Künstlerin schon darauf achten, dass man einfach nicht immer der Mittelpunkt ist. Das ist manchmal gar nicht so einfach, weil so viele Leute was von einem wollen. Aber das muss man trennen können, sonst ist man irgendwann auch einfach ein Arschloch.


Entweder-Oder-Schnelldurchlauf

picky Sofia: Ich hab ein paar Entweder-Oder-Fragen mitgebracht, die im entferntesten Sinne Shelter Boy oder Album related sind.

picky Sofia: Erste Frage: Sad oder happy?

Shelly: Happy, weil das am Ende des Tages geiler ist.

picky Sofia: Fish Eye oder Super 8mm?

Shelly: Puuuuh, das ist hart! (überlegt) 8mm.

picky Sofia: Hochzeitskleid oder Ice Hockey Trikot?

Shelly: Ice Hockey Trikot. Ich liebe Ice Hockey spielen! Hab ich auch jetzt wieder gemerkt. Ich hab von 11 bis 13 richtig viel gespielt und ich kann’s noch. Richtig geil.

picky Sofia: Congas  wie in „Atmosphere“ oder Strings wie in „Forever You’ll Be Known“?

Shelly: Strings.

picky Sofia: Und last but not least: Dresden oder Leipzig?

Shelly: Leipzig.


picky Sofia: Im Bundle zum Album bekommt man ein First Aid Kit. Was darf in deinem nicht fehlen?

Shelly: Kippendrehzeug, Tool für ein Skateboard, Asthmaspray…

picky Sofia: Kippendrehzeug und Asthmaspray find ich eine gute Kombi.

Shelly: (lacht) Ja, ich weiß… Ein Ingwershot sollte auch noch rein.

picky Sofia: Wir neigen uns langsam dem Ende. Zum Abschluss würde ich noch gerne von dir wissen, was du dir vom Album wünschst.

Shelly: Ich hoff einfach, dass die Leute, die es erreicht, etwas damit anfangen können. Wäre cool, wenn das Album für ein paar Leute eine gute Zeit bedeutet. Wenn ich so an meine Schulzeit zurückdenke, in der ich immer die selben Alben im Bus gehört habe, dann würde ich mir wünschen, dass mein Album für irgendjemanden auch so etwas ist. So ein Album, dass man jeden Tag auf dem Weg irgendwohin anhört. Oder wenn man einen Crush auf irgendjemanden hat und das Album damit verbindet. Das wäre schön.

Blankspace à la Shelter Boy

picky Sofia: Wie bei jedem Interview hast du jetzt die Chance, noch etwas an die Leserinnen und Leser loszuwerden.

Shelly: Rock’n’Roll ist keine Hängematte.

„Failure Familiar“ kannst du auf sämtlichen Streamingplattformen hören und hier kaufen.