FORWARD über das Erwachsenwerden: Exklusives Interview zur Debüt-EP

FORWARD Band

Foto: Julius Bracke

FORWARD. So heißt eine aufstrebende Band aus Hannover, die für detailverliebte Musik und lebensnahe Texte steht. Am vergangenen Freitag ist ihre Debüt-EP „Overthinking My Mind At Large“ erschienen. picky Sofia hat sich zu diesem Anlass mit Gitarrist Arne und Sänger Tim verabredet, um über das Erwachsenwerden, ihre musikalische Sozialisation und die Anfänge der Band zu quatschen. Das Interview lest ihr hier.

picky Sofia: Hey, ihr zwei. Wie geht es euch so?

Tim: Voll gut, aber wir sind alle auch nach dem Wochenende voll verkatert (lacht).

picky Sofia: Mögt ihr euch und eure Band mal für die Leute vorstellen, die euch noch nicht kennen.

Tim: Wir sind Arne und Tim von der Band FORWARD aus Hannover. Wir sind 2/8 der Band. Ich würde sagen wir machen eine Mischung aus Indie, Pop, Funk und Jazz mit Bläsersetzen. Wir haben eine normale Bandkonstellation und on top zwei Saxophone und eine Trompete dabei und haben vor ein paar Tagen unsere erste EP veröffentlicht. Arne spielt Gitarre und ich singe in der Band.

picky Sofia: Wie habt ihr in eurer jetzigen Konstellation zueinander gefunden?

Tim: Arne und ich haben in der Grundschule angefangen. Der Anfang (zeigt auf Arne, der im Zoom-Fenster rechts neben Tim sitzt) sind wir beide. Wir haben beide in der Grundschule angefangen Gitarrenunterricht zu nehmen und dann auch ziemlich schnell angefangen die ersten Songs zu schreiben. Das ging damals noch mehr in die Rock-Schiene. Je weiter wir in der Schule waren, desto mehr Leute haben wir dann auch kennengelernt, die auch Bock auf Mukke hatten. Und so sind eigentlich immer mehr Leute dazugekommen. Die Musik, die wir jetzt machen, machen wir in der Konstellation aus 8 Leuten und Form so seit ca. drei Jahren.

picky Sofia: Bedingt sich euer Sound, der ja eine Fusion aus ganz vielen Elementen und Genres ist, aus eurer musikalischen Sozialisation heraus oder warum ist der verhältnismäßig so divers in Vergleich zu anderen Indie-Bands?

Arne: Wir sind halt auch einfach viele Leute, die alle einen unterschiedlichen Musikgeschmack haben. Unser Musikgeschmack überschneidet sich natürlich in vielen Punkten, andererseits sind es teilweise auch sehr verschiedene Sachen, die wir hören. Das merkt man auch beim Songwriting-Prozess: Jeder gibt seinen Senf dazu. Ich find’s cool, dass wir uns in unserem Sound nicht so krass festlegen und alle ihren Input mitreinbringen.

Tim: Es mangelt auf jeden Fall nicht an Inspiration. Irgendeiner findet immer eine neue Band, die wir dann zusammen abfeiern.

picky Sofia: Wie schwer ist es eigentlich mit acht Leuten auf einen musikalischen Konsens zu kommen?

Tim: Bisschen schwierig (lacht). Tatsächlich ist der Way dahin schon mit viel Arbeit verbunden, die Songs entstehen meistens aber nicht zu acht. Es läuft meistens so, dass Arne, Ruben (Saxophon) oder ich eine Songidee oder schon eine ausgefeiltere Demo mitbringen. Arne und Ruben wohnen auch zusammen und basteln in ihrem Wohnzimmer immer an Songs. Auf die Sachen, die dann mitgebracht werden, klebt dann nochmal jeder aus der Band sozusagen seinen Fingerabdruck mit drauf. Aber ich find es auch voll wichtig, dass ein Song entsteht, hinter dem wir auch alle stehen und, der aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet worden ist.

Arne: Wenn ich einen Song schreibe, habe ich immer eine sehr starke Vorstellung davon, wie der klingen soll. Und oft muss ich dann auch mit ein paar Leuten debattieren, aber bisher war es dann immer so, dass zwar nicht das rausgekommen ist, was ich mir vorgestellt habe, es aber noch viel besser geworden ist. Deswegen habe ich auch immer Vertrauen in diesen Prozess.

Tim: Wir sind alle ganz demokratisch und wählen alle vier Jahre ein Parlament für unsere Band (lacht).

picky Sofia: Mal sehen, welche Idee es beim nächsten Mal über die 5%-Hürde schafft.

So sieht das Artwork zu „Overthinking My Mind At Large“ aus

picky Sofia: Inwiefern verkörpert euer Artwork die thematische Auseinandersetzung des Erwachsenwerdens und Überdenkens der EP?

Tim: Die EP heißt ja „Overthinking My Mind At Large” und handelt grundsätzlich von der Auseinandersetzung von Konflikten, die beim Überdenken im Kopf stattfinden. Es geht darum, dass man oft viel mehr mit dem Kopf macht als mit dem Herzen. Dieser umgedrehte Kopf ist für uns ein Symbol, das dieses „Overthinking“ für uns verkörpert. Es ist ein Perspektivwechsel auf die Welt. Eine andere Sichtweise, die durch den Kopf und die eigenen Gedankengänge entsteht. Und wir fanden auch, dass es schnieke aussieht (lacht).

picky Sofia: Was würdet ihr sagen verbindet die Songs über das Überdenken und Verkopfen von Dingen hinaus noch miteinander, sodass ihr sie als zusammenhängendes Werk veröffentlichen wolltet?

Tim: Was die Songs auf jeden Fall miteinander verbindet ist der Enstehungsprozess an sich. Wir haben die Songs über die letzten drei Jahre geschrieben, in denen wir uns in dieser Achter-Konstellation zusammengefunden haben und nach unserem Sound gesucht haben. Wir haben die Songs auch alle in einer Phase geschrieben, in der wir mit der Schule fertig waren und unsere eigenen Wege gegangen sind und auf der Suche nach den Dingen waren, die uns Spaß machen. Dieser Grundvibe verbindet die Songs miteinander. Am Anfang geht es um so eine Aufbruchstimmung wie bei „Julia“ und dann begegnet man langsam den ersten Struggles und konfrontiert sich selber mit eigenen Ängsten über die Zukunft. Diese positiven aber auch negativen Seiten, die man in dieser Lebensphase hat und haben wird, das verbindet die Songs. „Overthinking My Mind At Large“ soll auch suggerieren, dass es bei diesen Struggles oft darum geht, dass man sie mit sich selbst ausmacht und nicht unbedingt mit anderen darüber redet. Per se will man ja irgendwie seinen eigenen Weg gehen. Aber es sind alles Struggles, die stellvertretend für eine gesamte Generation und diese Lebensphase stehen. Davor kann sich niemand verstecken.

picky Sofia: Stellvertretend dafür steht ja bestimmt auch der Song „Quarterlife Crisis“. Ihr habt selbst zum Song mal geschrieben, dass er von der „Überforderung mit der Freiheit“ handelt. Inwiefern überfordert euch die Freiheit?

Tim: Theoretisch stehen einem so viele Türen offen und man ist auch nicht mehr so stark in diesem gesellschaftlichen Druck drin, dass man irgendwie die Firma von den Eltern übernehmen soll oder so. Man hat mehr Freiheiten. Klar ist das ein Privileg, aus dem man da spricht. Auf der anderen Seite gibt es so viele Möglichkeiten, dass man sich erstmal mit allen Optionen befassen muss. Und am Ende entscheidet man sich vielleicht sogar für das Falsche – das denkt man dann zumindest manchmal. Das kann schon überfordernd sein.

picky Sofia: Zu eurer ersten Single der EP „Overdrive“ gibt es auf der EP jetzt sozusagen auch eine Instrumental-Fortsetzung mit dem Titel „Overdrive II“. Wie gehören die beiden Tracks zueinander?

Arne: Als wir „Overdrive“ ursprünglich geschrieben haben waren wir so: Okay, da muss irgendwie noch was dazu. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich da noch einen Part reinbringen oder eine Bridge zwischenschieben will, aber das hat alles irgendwie nicht so richtig geklappt. Dann haben wir mal bei einer Probe bisschen gejamed und 20 Minuten lang nur dieses Instrumental gespielt und es war richtig schön und alle haben sich richtig gefreut. Dann dachten wir kurz, dass wir das einfach hinten dranhängen und dann einen superlangen Song haben. Aber als wir die EP dann auch aufgenommen haben, haben wir gemerkt, dass es besser ist die beiden zu trennen, weil das Instrumental dann quasi für sich selbst steht und gleichzeitig eine Überleitung innerhalb der EP bildet, die an „Overdrive“ anknüpft.

Tim: Safe! Die ersten beiden Songs „Julia“ und „Overdrive“ greifen halt diesen jugendlichen Leichtsinn auf und „Overdrive II“ ist für uns eine Weiterführung dessen, die diesen Vibe nochmal total unterstützt.

picky Sofia:..Und es ist natürlich auch für den Spotify-Algorithmus besser, wenn man zwei kürzere Songs, anstatt von einem langen hat.

Tim: (lacht) Ja, wir sind alle Opfer vom Algorithmus. Aber irgendwie auch geil… Wir wollten halt einen coolen Instrumental-Song aufnehmen. Wir hatten auch einfach Bock unsere musikalische Qualität nochmal unter Beweis zu stellen.

Arne: Ich persönlich bin auch immer riesen Fan von Konzeptalben, die einen roten Faden haben. Sei es inhaltlich oder musikalisch. Und da wollte ich auch so einen Song mitreinbringen und ich glaube, das haben wir mit „Overdrive II“ auch so ein bisschen geschafft. Bei einer EP hat man jetzt natürlich nicht den Rahmen für eine zweistündige pinkfloydmäßige Rock Oper. Vielleicht kommt das ja aber noch.

Tim: Steht auf unserer Bucket-List ganz oben.

„Life take me with you / Make me feel the depth“

FORWARD – To Be Defined

picky Sofia: Ich würde gerne mit euch über Zeilen aus „To Be Defined“ sprechen. Im Song sagt ihr unter anderem: „Life take me with you / Make me feel the depth“. Etwas später im Song heißt es: „Give me a reason to be in this world“. Was verkörpern diese Zeile für euch?

Tim: Du hast auf jeden Fall die depressivsten Lines der gesamten EP rausgesucht.

picky Sofia: Ja, ich weiß. Das kann ich gut.

Tim: „To Be Defined“ ist die erste Auseinandersetzung mit dem Konflikt des Älterwerdens. Wo es darum geht, dass man sich unsicher wird und sich fragt, ob es überhaupt das Richtige ist, was man macht. Der Song erzählt davon, dass man anfängt, den Sinn in allem zu suchen, ohne eine Antwort darauf zu finden. Man kommt quasi in diesen Overthinking-Prozess rein. Diesen Gedanken greifen die zwei Zeilen auf.

picky Sofia: Im Instapost, den ihr zu „On The Run“ verfasst habt, schildert ihr, dass ihr lange damit gehadert habt, wie der Song klingen soll. Warum war der Track so eine Herausforderung für euch?

Tim: Der Song war in vielerlei Hinsichten eine Herausforderung. Als wir die Idee zum Song mit ins Studio gebracht haben war schon klar, dass das der letzte Song auf der EP sein wird. Ursprünglich war der Song nur für Ukulele mit Gesang geschrieben.

picky Sofia: Von der Ukulele ist jetzt nicht wirklich viel übrig geblieben…

Tim und Arne lachen

Tim: Wir hatten mal Bock ein ganz anderes Instrument mit reinzubringen. Unser Saxophonist Ruben war in Paris im Urlaub und hatte sich dort die Ukulele gekauft. Wir haben dann aber im Studio gemerkt, dass der Song dann nicht wirklich so reingepasst hat, wie er bis dahin gedacht war.

Ruben: Ja, der ist soundmäßig sehr rausgefallen. Tatsächlich haben wir danach drei sehr unterschiedliche Versionen vom Song gehabt, die alle komplett anders klangen. Zuerst war es richtig rockig, dann haben wir im Studio so einen Beatles-Vibe versucht, weil wir eine Vintage-Orgel dort hatten. Wir waren aber die ganze Zeit unzufrieden und haben einfach gesagt, dass wir alles übern Haufen werfen. Dann haben wir die Synthie-Idee mit diesen super fetten Drumms gehabt. Nachdem wir alles übern Haufen geworfen haben, haben wir der Kreativität im Studio einfach freien Lauf gelassen.

picky Sofia: Eigentlich müsstet ihr mal die alten Versionen auf Soundcloud oder so hochladen, das wäre bestimmt witzig zu sehen, wie der Song ursprünglich klang.

Tim: Safe, eigentlich schon. Wir haben damals im Studio aber diese Radikalität entwickelt, an nichts festzuhalten und haben deswegen alles gelöscht, was vorher da war. Wir haben bewusst keine Backups gemacht. Aber ich hätte richtig Bock bei einem Konzert mal die erste Version live zu zocken.

picky Sofia: Man merkt regelrecht wie die Aufbruchsstimmung, die ihr ja eben schon beschrieben habt, immer mehr abnimmt und die EP zum Ende hin düsterer und melancholischerer wird. Warum habt ihr euch für so einen Spannungsverlauf entschieden?

Tim: Klar hat man Happy Ends lieber. Man guckt ja auch im Kino lieber Filme, die mit einem Happy End zu Ende geht, um sich wohler zu fühlen. Aber das stand für uns immer im Kontrast zu dem, was wir mit der EP eigentlich ausdrücken wollten. Wir wollten ja viel mehr diese Struggles aufzeigen, die einen ständig begleiten. Und die auch nicht vorbei sein werden und auch nicht vorbei sein sollen in seinem Leben. Weil wir der Meinung sind, dass es immer weiter gehen soll und man immer hinterfragen soll, was man gerade macht und es nie zu spät ist, etwas anderes anzufangen. Man muss mit 23 Jahren nicht alles fertig haben und dann direkt das gefunden haben, was man die nächsten 30 Jahre in seinem Leben macht. Dieser Struggle kann auch mit 40 kommen. Natürlich ist „On The Run“ auf der einen Seite ein schwerer melancholischer Song am Ende. Aber auf der anderen Seite auch ein Song, wie ich finde, mit einer Hoffnungsbotschaft: Man soll nicht vergessen, wer man eigentlich ist und was man alles schaffen kann.

picky Sofia: Ganz zum Schluss haben wir immer einen BLANK SPACE. Hier könnt ihr loswerden, was euch noch auf dem Herzen liegt.

Tim: Macht euer Ding! Es ist scheissegal, was die anderen davon halten. Und trinkt Sekt mit Mate.