Ein Weg aus der Lethargie: Betterov im Gespräch über sein Debütalbum „Olympia“

Betterov (Alle Bilder im Artikel: Rebecca Kraemer)

Seit der EP „Viertel vor Irgendwas“ ist der Name Betterov aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Mit einem Sound zwischen Indie Rock und Post Punk sowie persönlichen Lyrics spielt sich der Künstler, bürgerlich Manuel Bittdorf, in die hintersten Ecken des Herzens. Sein neues Album geht noch ein Stück tiefer – Ich habe ihn nach dem Reeperbahn Festival getroffen, um über den Entstehungsprozess und die Bedeutung mentaler Gesundheit zu sprechen.

Ganz am Anfang, Applaus. Dann eine sanfte Gitarre, die sich aufbäumt, bis der Rest der Band einsetzt. So beginnt „Olympia“, und man ist sich nicht ganz sicher, ob der Jubel Sportler*innen gelten soll, oder einem Musiker, der gerade mit seinem Debütalbum ins Rampenlicht tritt. Viel ist passiert in den letzten Jahren, seit Betterov auf der Bildfläche erschien. Hochgelobte Songs, Fernsehauftritte, unzählige Konzerte als Support oder allein – und nun kommt der nächste Schritt. Doch wie schön das auch alles klingt, die Platte erzählt eine intimere Geschichte. Gerade der Titeltrack beschreibt den Punkt, an dem man anlangt, wenn man nur noch im Bett liegen kann und alte Olympiavideos auf YouTube an sich vorbeiziehen lässt. Er sagt selbst darüber, dass das hier der Versuch war, sich aus dem lethargischen Zustand wachzurütteln: „In diesem Fall wollte ich eine In-Sich-Gefangenheit in etwas Positives ummünzen.“ Was ihm dabei geholfen hat? Viel Selbstreflektion, damit klarer wird, was einem wirklich guttut. Und natürlich die Musik.

 

Musikalisch klingt „Olympia“ nach einer Mischung aus vergangenen Jahrzehnten und aktuellem Zeitgeist. Ich frage mich daraufhin, welche Künstler*innen gelaufen sind, während das Album entstand. „Ich habe witzigerweise gar nicht so artverwandte Sachen gehört. Es kam viel Joni Mitchell, was ja eher Folk wäre – und das merkt man null.“, meint Manuel. „Folk ist eine sehr textlastige Richtung, wo es viel um Beschreibung geht. Es kann spannend sein, sich das herauszupicken und damit ein bisschen zu spielen.“ Dieser Fokus wird bei seinem Endprodukt auf jeden Fall auch spürbar. In Betterovs Lyrics stolpert er über bekannte Orte, schwelgt in Nächten, die vorüber sind. Er scheint gern in der Vergangenheit zu leben. Im Gespräch erzählt er, dass er versucht, Dinge zusammenzufassen, die er schon erlebt und verarbeitet hat. Würde er aus dem Moment heraus schreiben, wäre es noch gar nicht möglich, Rückschlüsse zu ziehen. Aber was passiert mit Erinnerungen, wenn man sie in einen Text verpackt? „Man durchlebt es alles noch einmal. Songs sind immer sehr starke Verkürzungen: Man hat ganz wenig Mittel und ganz wenig Zeit, um etwas zu erzählen. Und damit sie gut sein sollen, müssen sie treffend sein. Sie dürfen kein überflüssiges Wort enthalten. Alle Zeilen müssen genau ausgewählt sein, um etwas lebendig zu machen.“

Es steckt viel Leben in den Liedern von Betterov. Die Geschichten, die er auf dem Album teilt, wirken persönlich und fühlen sich doch beim Zuhören sehr nah an. In „Berlin ist keine Stadt“ begibt sich der dort ansässige Musiker auf einen bildlichen Trip-Down-Memory-Lane und erzählt von all den Plätzen, mit denen er zu viel verbindet. Was nicht heißt, dass er seinen Wohnort nicht mehr sehen kann. „Es geht darum, dass man an einen Raum viele Erinnerungen geknüpft hat, die man mit einer früheren Beziehung verbindet. Ich finde es einfach einen spannenden Aspekt durch die Stadt zu fahren und sich zu denken: ‚Ach stimmt, hier waren wir mal.‘ “, sagt Manuel ganz entspannt. Die Melancholie, die seine Musik teils in sich trägt, ist im Gespräch aus seiner Stimme kaum noch herauszuhören. Auch auf „Olympia“ flimmern immer wieder hoffnungsvolle Worte auf, wie in „Schlaf Gut“, dem wohl tröstlichsten Lied des Albums:


Kein Gedanke nach Mitternacht wurde je zu Ende gedacht / In dieser Stunde, in diesem Licht, ist alles gut, so wie es ist.

Betterov auf „Schlaf Gut“

Möchte er sich selbst damit an das Positive in erinnern oder nun andere bestärken? „Es ist beides. Auf der einen Seite Reminder an mich selbst, aber andererseits auch ein Halt für Menschen, die den Song hören. Ein Weg aus der Lethargie heraus besteht eben nicht darin, die Dinge gedanklich lösen zu wollen, denn die Spirale geht immer weiter nach unten, sondern einen Cut zu machen. Das Gemeine ist ja dann das Bedürfnis, dass man es jetzt mit sich klären muss – und zwar jetzt um ein Uhr nachts.“ Dabei ist der Wille nach einer rationalen Antwort auf die eigene Gefühlswelt spät abends schon ein Widerspruch in sich. Die Situation müsste vielen sehr bekannt vorkommen und da wirkt es immer schön zu wissen, dass es anderen Menschen genauso geht. Es gibt wenig, was diesen Effekt der Verbundenheit über große Distanz so kreieren kann, wie Musik es tut. In Betterovs Fall spricht er besonders offen über, gerade negative, Gefühle. Problematiken mentaler Gesundheit werden nicht verschleiert, sondern auf eine Weise thematisiert, die sich wie eine warme Umarmung anfühlt. „Das hatte ich mir für dieses Album vorgenommen. Ich kann noch gar nicht sagen, wie es mir damit geht, so Intimes der Welt zu zeigen, aber es überhaupt zu tun, ist mir gerade am wichtigsten. Ich möchte gern ein Teil davon sein, dass mehr darüber gesprochen wird, dass es einfach zum Leben dazugehört.“

Wir reden auch über den Schreibprozess von „Olympia“ und wie er sich seit der Debüt-EP verändert hat. „Viertel vor Irgendwas“ erschien damals pünktlich zu Pandemiebeginn im März vor zwei Jahren. Manuel erzählt davon, wie sich danach die Möglichkeit ergab mehr zu probieren und genau die Themen zu finden, auf die er musikalisch eingehen möchte. „Wenn Corona nicht auf Pause gedrückt hätte, wäre gar nicht die Zeit da gewesen, um sich so intensiv damit auseinanderzusetzen. Mir hat das total viel gebracht. Auf dem Album erwartet einen Verwandtes zur EP, aber auch etwas Neues.“ Einen Blick darauf, was genau er damit meint, konnte man schon bei seinem letzten Konzert auf dem Reeperbahn Festival erhaschen. Gemeinsam mit musikalischen Gästen zeigte Betterov einen Auschnitt von „Olympia“ in der St. Michaelis Kirche, worüber ihr hier genauer nachlesen könnt. Und wie war die Erfahrung für ihn? „Auf meinem Gitarren-Amp ist immer sehr viel Hall – den konnte ich dort erstmal ausmachen. Das fasst die Akustik glaube ich ganz gut zusammen. Ansonsten war es natürlich eine Ehre in diesem Ort zu spielen, ein Wahrzeichen Hamburgs, das man mit der eigenen Musik beschallen darf. Neben einem Ensemble kamen auch tolle Künstler*innen mit mir auf der Bühne, die alle zum Glück auf Anhieb zugesagt hatten. Es war einfach total schön.“

Das Gespräch kommt zu einem Ende, aber in meinem Kopf zieht das Gesagte noch eine Weile seine Kreise, wie die Leichtathlet*innen aus den YouTube Videos. Mit „Olympia“ bleibt sich Betterov zwar treu, aber er scheut sich noch weniger davor, in die Tiefe, zu den Schattenseiten zu blicken. Gleichzeitig schimmert da eine Hoffnung zwischen den Zeilen, sickert durch die Melodien. Vielleicht ist doch alles gut so wie es ist. Der Beweis dafür saß eben gerade noch vor mir und hat mir seine Geschichte erzählt.

Betterovs Debütalbum „Olympia“ erscheint morgen, am 14. Oktober, überall da wo es Musik gibt.

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