Die Suche nach dem Sinn, Verletzlichkeit und Harry Styles: Cinemagraph im Interview

Alle Bilder im Artikel: Celeste Call

Lange hörte man wenig von der Gruppe aus Mannheim, die sich mit ihrem beschwingten Indie vor ein paar Jahren in all unsere Herzen spielte. Doch nun erscheint Cinemagraph wieder auf der Bildfläche, in schwarz-weiß und einen anderen Sound verpackt: „i hate that we’ll be strangers in a while“ ist das erste Stück von einer transparenten und poppigen Welt, in die uns die Band mitnehmen möchte. Was da wohl noch kommen mag?

Die Frühlingssonne prallt ungewöhnlich warm herab, als ich mich zwischen Flohmarktständen und Menschenmassen hindurchschlängle. Langsam bereue ich nur Kaffee und eine trockene Scheibe Brot gefrühstückt zu haben. Viel mehr hat mein Körper aber nach der letzten Nacht auch nicht zugelassen. Als ich vor dem ausgemachten Treffpunkt stehe, atme ich noch einmal kurz durch, verteufle das Verkatertsein und betrete das Restaurant. Drinnen sitzen die vier Jungs von Cinemagraph in einer Ecke, jeder mit einem gefüllten Teller vor sich, und begrüßen mich herzlich. Dass ich nicht die einzige mit leerem Magen bin, erleichtert mich und ich nehme mir an ihnen ein Beispiel.

Die Mannheimer sind nicht unvertraut mit unserem Magazin. Fast genau vor zwei Jahren erzählten sie uns, über Zoom natürlich, von Inspirationsschwierigkeiten und einem neuen Song, der noch nicht erschienen ist – bis jetzt. Damals kannte man sie als Indieband wie aus dem Bilderbuch: Verspielte Gitarrensounds, Gesang mit lockerer, britischer Art, ganz unbeschwert. Beim Anhören des neuen Releases wird spürbar, dass sie andere Wege einschlagen. Wie es wohl zu dieser Veränderung kam? „Es war eine bewusste Entscheidung für uns. Wir haben gemerkt, dass wir voll Bock haben in eine eher poppige Richtung abzutauchen. Abseits der klassischen Konstellation mit zwei Gitarren, einem Schlagzeug und einem Bass; viel experimenteller.“, meint Paul. Ich bin überrascht von der Antwort, die meisten Gruppen sprechen oft von einem eher organischen Prozess. Es kann auch beängstigend sein, den Stil, mit dem man bekannt geworden ist, aktiv zu brechen und umzukrempeln. Darüber diskutierten sie viel. „Die Angst war auf jeden Fall da. Aber wir konnten uns auch anderthalb Jahre darauf vorbereiten, einfühlen, und deswegen sind wir jetzt einfach excited.“ Max beendet seinen Monolog und lehnt sich zurück. Die vier wirken gefestigt in dem was sie tun und das ist schön zu sehen.

Ihr Songwriting hat ebenfalls einen Wandel durchlaufen: Durch die Situation der Pandemie entstanden fast fertige Demos allein am Laptop anstatt gemeinsam im Proberaum herumzujammen, wo Musik mehr zufällig als geplant passierte. Sie sind sich einig – Es war erfrischend umdenken zu müssen. Advan merkt an: „Du hast eine Songidee im Kopf, hockst dich Zuhause hin und kannst sie sofort umsetzten. Dann haben die anderen direkt eine Resonanz und können darauf eingehen.“ Zwei Jahre werkelten Cinemagraph so an ihrem neuen Sound und kehren nun bald mit einer EP zurück. „do you know what we’re supposed to do?“ wird sie heißen und trifft damit den Zeitgeist unserer Generation, diese endlose Suche nach Sinn und Zugehörigkeit. „Die Frage ist so gut, da sie universell auf alles übertragbar ist. Du kannst sie nach außen oder nach innen an dich selbst stellen – als Hilferuf und helfende Hand gleichzeitig. Wir machen uns in dem Moment selber verletzlich und sagen ‚Fuck man, wir wissen doch auch nicht was wir machen‘, aber für Zuhörende ist es schön zu wissen, dass andere genauso damit struggeln.“

Die letzten Freitag erschienene Single „i hate that we’ll be strangers in a while“ bildet dabei nun das erste Puzzlestück ihres Werkes. Gerade dieses Lied herauszubringen, war naheliegend, wie sie erzählen. Es sprüht nur so vor Energie und entstand schon 2020 – ob die Band wohl darauf in unserem letzten Interview angespielt hat? Thematisch sprechen sie über das Ende einer Beziehung und das damit verbundene einander Fremdwerden. „Der Song ist der perfekte Einstieg in diese neue Welt, die wir aufmachen. Er repräsentiert die Transparenz, die die EP haben soll, da er voller Eingeständnisse ist. Man hat hier Angst, ob man ohne eine Person klarkommt, die einem wichtig war.“, erklärt Leon noch genauer. Cinemagraph zeigt sich auf einmal viel intimer. Der Gesang versteckt sich weniger hinter Hall, die Texte machen Unsicherheiten sichtbar ohne sie in Metaphern verpacken zu müssen. Sie unterstreichen, wie wichtig und befreiend es sein kann, offen in der eigenen Musik über Schwieriges zu reden. „Die Zuhörer*innen haben dadurch einen viel direkteren Zugang und können besser zu den Songs relaten. Ohne Verschnörkelung treffen einen die Texte einfach sofort.“ Als inspirierende Künstler*innen, die eine ähnliche Einstellung pflegen, nennt die Gruppe unter anderem Gracie Abrams, Phoebe Bridgers, The Japanese House und Harry Styles – letzterer wird mit einem von Seufzern unterstrichenen ‚We love him…‘ kommentiert.

CINEMAGRAPH performen „i hate that we’ll be strangers in a while“:

Wir kommen zum Ende des Gespräches und ich frage, wie immer am Ende unserer Picky-Interviews, nach einem finalen Gedanken, der ihnen noch am Herzen liegt. „Die Aussage der neuen Musik, sich nicht davor zu scheuen emotionale Themen und mentale Gesundheit anzusprechen, ist uns wichtig. Wenn man weiß, dass die Person neben einem vielleicht mit ähnlichen Probleme kämpft wie man selber, steht man damit nicht mehr allein da.“, meinen sie. Lange überlegen müssen sie dafür nicht. Es ist ihr erstes Interview seit langer Zeit, doch das merkt man ihnen nicht an. Vor mir sitzen vier Musiker, die sich die Zeit genommen haben, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen und im Reinen damit sind, nicht ganz genau zu wissen, was sie tun. Und das ist völlig in Ordnung.