Die Emotion an erster Stelle: Monako über Zeit, das innere Kind und „Scared Of The Way I Move“

Monako (Foto: Leonard Voutsara)

Zwei Wochen vor Release ihres Debütalbums trafen wir Sadek und Jakob von Monako, um über die Emotionen und Geschichten, die in “Scared Of The Way I Move” stecken, zu sprechen.

Es ist ein grauer Montagshimmel, der sich an diesem Tag über Hamburg legt (aber alles andere wäre zu dieser Jahreszeit doch sowieso Ausnahme, oder nicht?). Südlich der Elbe bin ich mit Sadek und Jakob verabredet, um über das Debütalbum ihrer Band Monako zu sprechen. Während die S31 über die Holstenstraße Richtung Wilhelmsburg peitscht, habe ich nochmal Zeit, in “Scared Of The Way I Move” reinzuhören – Promo Juke Box sei Dank. 

Mein letzter Berührungspunkt mit Monako liegt schon ein paar Monate zurück. In der Woche vom Reeperbahn Festival hat die Band zusammen mit Willow Parlo ein Konzert im Hamburger Knust gespielt. Dass es ein Album geben wird, war an diesem Abend noch eine exklusive Information für die Anwesenden, die am nächsten Morgen dann endlich der gesamten Außenwelt mitgeteilt wurde. Seitdem ist einiges passiert: die Singles wurden peu à peu ausgekoppelt und mit jedem weiteren Puzzleteil festigte sich eine Idee davon, was Monako auf ihrem ersten Album mit uns vorhaben. 

Während die letzten Töne von “A Year” ausklingen, stopfe ich meine Kopfhörer wieder zurück ins Case. Ich bin im Reiherstiegviertel angekommen, es herrscht angenehmer Trubel auf den Straßen. Ohne dass etwas durch die Sprechanlage gesagt wird, ertönt das Tuten, das mir signalisiert, die Tür aufzudrücken. Etwas verdutzt stehe ich unten im Treppenhaus, unsicher darüber, wo ich genau hin soll. In diesem Moment lugt ein Kopf von oben über das Treppengeländer. “Wir sind hier, zweiter Stock“, ruft Sadek runter. Oben angekommen, heißen mich die beiden willkommen.

Bevor wir in den Entstehungsprozess des Albums einsteigen, gibt’s noch Kaffee in der Küche. Sadek sucht derweil nach Tabak und findet ein fossiles Überbleibsel dessen, was wohl mal ein Camel Drehtabak war zumindest sieht es so aus. Drehbar ist er trotzdem noch, also ein schnelles Kippchen am Fenster, der letzte Schluck aus der Kaffee-Tasse und ab ins Wohnzimmer. Es kann losgehen.

Zum Zeitpunkt des Interviews sind es nur noch knapp zwei Wochen bis zum Release von  “Scared Of The Way I Move”. Am Freitag zuvor erschien die letzte Single “I Forget” – nur noch wenige Meter auf der Zielgeraden stehen bevor, nur noch wenige Tage, bis das Album greifbar wird. Dementsprechend groß ist die Vorfreude bei den beiden. “Mir geht es gut. Das ist einfach eine mega schöne und aufregende Zeit, dass die Platte jetzt endlich rauskommt. Wir haben echt lange daran gearbeitet – auch in einer Zeit, in der man eh nicht so viel nach außen machen konnte. Das hat den Schreibprozess verstärkt, wir waren in einer richtigen Bubble und jetzt fühlt es sich so an, wie rauskommen. Das ist sehr schön. Manchmal auch ein bisschen Angst dabei… aber aufregend.” sagt Sadek, der auf dem Wohnzimmerteppich im Schneidersitz hin und her wankt. “Es fühlt sich gerade schon ein wenig nach Frühling an”, merkt Jakob an, der die Freude über das baldige Erscheinen teilt. 

Wieso jetzt?

Seit ihrer Gründung 2018 sind fünf Jahre vergangen und die Band hat einige Veränderungsprozesse durchlaufen – sowohl was den Klang und die Texte, als auch die Arbeitsweisen betrifft. Doch wieso hat es bis zum ersten Album so lange gedauert? Es dauert, bis man sich so comfortable miteinander fühlt, um eine textliche Ebene aufzumachen, die extrem persönlich ist. Vorher hat man viel an der Oberfläche von Sachen gekratzt, anstatt sich zu trauen, extrem ehrlich zu sein. Das betrifft auch die Art und Weise, wie die Songs klingen. Früher hat man sich viel mehr Raum gelassen für Soundscapes. Die sind auf jeden Fall immer noch da, aber machen nicht mehr den Song aus, sondern die Geschichte.” (- Jakob)

Die Geschichte und Emotion an allererster Stelle. So lautet die Prämisse für “Scared Of The Way I Move”. Inspiriert von unter anderem Sufjan Stevens, Bon Iver und Sega Bodega versuchen Monako Gefühle so roh und nahbar wie möglich musikalisch zu transportieren. Doch Ehrlichkeit geht nur dann, wenn man sich selbst gut genug kennt und sie zulässt, Monako wissen das: Was die Texte angeht, war es mir richtig doll wichtig, ehrlich und konkret zu sein und nicht mehr so dreamy und ungreifbar. Für so ein Album muss die Selbstakzeptanz da sein, deswegen macht das irgendwo schon Sinn, dass es eine Weile gedauert hat.” (- Sadek)

So haben sich Monako im Albumprozess viel genauere Fragen gestellt, die Songs sind wesentlich pointierter, durchdachter und detailreicher. Anteil daran haben sicherlich auch die neuen, radikaleren Methoden. “Es ist scheißegal, welche Instrumente da sind, es ist scheißegal, ob wir das live umsetzen können. Als allererstes muss die Emotion stimmen. Es muss dich direkt mitnehmen und wenn wir das erst einmal gelöst haben, dann können wir uns überlegen, wer was wann macht. In der Hinsicht haben wir uns von dem Verständnis gelöst, dass wir eine Band sind und jeder seine Rolle hat. Wir haben uns viel mehr als fünf Produzenten verstanden”, sagt Sadek über das Album, welches in kompletter Eigenregie entstanden ist.

Die fünf kreativen Köpfe hinter Monako: Pamier, Valentin, Jan, Sadek und Jakob (v.l.n.r.) (Foto: Julian Essink)

Das innere Kind

Die Bandkonstellation nochmal fürs Schreiben des Albums zu überdenken war auch eine Befreiung, ein sich Lösen von dem Gefühl, sich ständig zu wiederholen. Der Weg fürs Album wurde durch das Spielerische und Experimentelle am Computer geebnet. So sind innerhalb von zwei Tagen die ersten beiden Songskizzen fürs Album entstanden: “All I’d Known Was To Lie” und “Solace (Both My Hands)”, die das Album auch eröffnen.

“Dieses Spielerisch-Sein, sich Sachen im kreativen Prozess naiv zu trauen. Das verbindet uns […]”, sagt Sadek über das innere Kind in einem, das den Albumprozess maßgeblich mitgeprägt hat, und führt weiter aus: “Ich weiß noch, wie ich Jakob, der damals noch in Münster gewohnt hat, angerufen habe und ihn gefragt habe: ‘Hey, was hältst du davon, wenn ich dich einfach besuche und wir arbeiten an nichts, was schon offen ist. Jegliches Projekt, das wir schon mal angefasst haben, fassen wir nicht an. Ich will nur, dass du und ich zusammen spielen, wie Kinder.’ Also im Sinne von Rumspielen, Ausprobieren einfach mal gucken, was passiert.” 

Die Single “I Forget” widmet sich der Idee des inneren Kindes auf einer weiteren Ebene. Symbolisch hierfür steht die Schlüsselzeile “Make the impossible possible” – eigentlich eine abgedroschene, flache Phrase, der Monako wieder einen tiefergehenden Sinn verleihen. Sie soll dafür stehen nie aufzuhören, daran zu glauben, dass sich Dinge ändern können, dass es noch nicht das Ende ist. “Irgendwo hatte ich den Gedanken, dass man seine Fähigkeit, begeistert und unbeschwert an Sachen ranzugehen, pflegen muss. ‘Make the impossible possible’ ist so ein Satz, der genauso cringe sein kann, wie bisschen niedlich einfach. Was gibt es Naiveres als das Unmögliche möglich zu machen (lacht)? Er ist ein Appell, das nie aufzugeben.” (- Sadek)

Monako feiern die Feste, wie sie fallen

Wer sich mit Monako etwas länger beschäftigt, wird Zeuge einer voll umfassenden, ästhetischen Erfahrung: klanglich, lyrisch, visuell. In den Musikvideos zum Album taucht ein immer wiederkehrendes Bild auf: die Tafel. Etwa eine Anspielung auf das Abendmahl-Motiv?

“Das ist eine Anspielung darauf, dass Jakob der Verräter ist (lacht). Nein, Spaß. Ich glaube vielmehr, dass dieses Motiv von einem gemeinsamen Abendmahl, also eine Feier zu haben, die perfekte Szenerie verschafft hat, um eine bestimmte Stimmung zu kreieren. Das ist diese Diskrepanz, die sich in den Videos dadurch ausdrückt, dass es eine Feier gibt und alle um einen herum sind happy […] und man selbst befindet sich zwar auch an diesem realen Ort, aber geistig ist man gar nicht da”, erklärt Sadek, der in dem Bild vor allem das Gefühl von Entwurzelung thematisiert sieht – ein Thema, das viele Texte auf dem Album geprägt hat. Geboren und aufgewachsen in Montreal, ein großer Teil der Familie in Palästina und selbst seit acht Jahren in Deutschland. Sich zwischen diesen Sphären selbst zu platzieren ist gar nicht so einfach. Die Pandemie habe das Gefühl der Isolation verstärkt. 

Still aus „Scared Of The Way I Move“

Umso schöner ist der Gedanke einer Wahl-Familie, die das Gefühl der Entwurzelung zwar nicht verhindern kann, einen damit aber nicht alleine lässt. So drückt das Zusammenkommen an der gedeckten Tafel für Jakob auch diesen Aspekt aus: “Um dich herum ist das auch eine Community, aber gleichzeitig ist das auch keine Garantie dafür, dass du nicht trotzdem Anxiety und depressive Sachen fühlst. Diese vielen Unterschiede und Facetten des Albums drücken sich in dem Bild der Feier aus: in der Vorbereitung auf so ein Fest, aber auch in dem Comedown danach und in den Momenten, die man währenddessen fühlt, die sehr unterschiedlich sein können. Von absoluter Euphorie bis absoluter Leere drückt sich alles in diesem Triptychon dieser drei Videos aus, die in dem gleichen Setting spielen.”

“Plus Jouer” gegen die Entwurzelung

Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht weniger überraschend, dass sich auf dem Album auch der allererste Monako Song auf Französisch, Sadeks Muttersprache, befindet. “Plus Jouer” war für Sadek eine Möglichkeit “wieder mit sich selbst zu connecten. Mit dem, wer man ist, woher man kommt und mit einem Teil, den man in sich trägt.”

Eine musikalische Maßnahme gegen das Gefühl der Entwurzelung als Rückführung auf die Person, die man ist. Das Familiäre drückt sich nicht nur in den Musikvideos aus, sondern war gleichzeitig Anspruch an den Prozess, aus dem das Album erwachsen ist, wie Jakob erzählt: “Für mich war die Albumphase die schönste Zeit Musik zu machen bisher, weil es super ganzheitlich war: Gemeinsam in den Tag starten, Musik machen, kochen, Gespräche führen, spazieren gehen, sauer aufeinander sein und so krass viel miteinander teilen. Alle sind in dem Moment dabei und jeder fühlt sich gut mit der Rolle, die er einnimmt.”

In Between Here And Reality 

Dem Album wohnt etwas Tragisch-Tröstliches inne, das die wunden Punkte aufzeigt und sie gleichzeitig mit der benötigten Zeit zum Heilen versorgt. Es geht um Orte in sich selbst, die man lieber im Verborgenen lässt, das innere Kind und depressive Phasen, die in dem Moment kaum überwindbar scheinen. War es schwer, sich in den depressiven Zustand fürs Songwriting zurückzuversetzen?

“Ich fand das überhaupt nicht schwer, ich hab’ sogar Freude dabei empfunden, mich richtig gespürt. Bei dem Gefühl der Entwurzelung geht es auch viel darum, dass man sich ganz weit weg von sich selbst fühlt oder sich fragt, wo man selber ist. Das war die Musik aber auch schon immer für mich, ein Weg sich selbst zu spüren. Das war richtig befreiend und echt nötig”, sagt Sadek. Das hört man auch.

Das Kopfkarussell, die inneren Gedanken: gerade der Titeltrack “Scared Of The Way I Move” verhandelt den dissoziativen Zustand zwischen dem, was war, ist und sein wird. Zeilen wie “Always busy thinking about my brother / He is the only true soul and I’m scared of the way I move” machen auf die schönst erdenkliche Weise betroffen und berühren nachhaltig. Auch wenn man jede Bewegung, jedes kleinste etwas an sich beginnt in Frage zu stellen, bleibt die Gewissheit, dass man von Personen umgeben ist, die einem bedingungslos ihr Vertrauen schenken; Brüder zum Beispiel.

Ob der Zustand des ständigen Anzweifelns der Person, die man ist, je beendet wird? Wird man in 30 Jahren immer noch ein genauso ambivalentes Verhältnis zu sich selbst haben? Monako haben darauf keine Antwort, aber sie stellen die richtigen Fragen. Jedenfalls hat sich Sadek mit dem Song “eine kleine Zeitkapsel von der Jetztzeit in die Zukunft geschrieben. Sodass man sich das später anhören und schauen kann: Wie habe ich mich eigentlich gefühlt in dieser Zeit, würde ich das jetzt immer noch sagen? Das ist eigentlich total spannend, sich selbst so physische Tagebucheinträge zu machen.” (- Jakob)

Von der Jetztzeit in die Zukunft. Auf dem Album, so gewinnt man den Eindruck, reiben sich die Zeitebenen stets aneinander. Es geht viel darum, wie die Vergangenheit das Jetzt beeinflusst und gleichzeitig setzt sich das Album mit der Frage auseinander, wie man in der Zukunft wohl sein wird und wie es besser werden kann (“I Forget”). Das ambivalente Verhältnis zwischen dem Jetzt, dem Vergangenen und Bevorstehenden wird stets deutlich. Während man an einer Stelle darauf hofft, dass die Zeit zum besten Freund wird (“All I’d Known Was To Lie”), ist man an anderer wiederum gelähmt von der Erkenntnis, dass alte Zeiten Neues belasten (“For Something News (Good Times)”).

Wie verhält es sich also mit der Zeit und Monako? Sind sie auf dem Album Freunde oder doch etwa Feinde geworden? ”Uns war auch mit diesem Album total wichtig, dass man nicht nur eine Geschichte aus einer bestimmten Zeit erzählt, sondern dass man auch das rüberbringt, wie man sich genau während des Schreibens und Aufnehmens davon fühlt. Genau das rüberbringen. Das passiert, indem man auch Imperfektionen zulässt und nicht alles immer neu aufnimmt. Manchmal war das schlecht aufgenommen, aber genau diese Emotion war es. In der Hinsicht hatte ich keine negativen Gefühle der Zeit gegenüber. Ich glaube, viel mehr war man sich darüber bewusst, was sie bedeutet”, erklärt Sadek nachdenklich. 

Jakob ergänzt: “Das ist jetzt nicht nur mein Gedanke, den haben schon viele Leute vor mir gedacht, aber ich hab’ für mich so das Gefühl, dass man seine früheren Ichs immer mitnimmt. Ich glaube, die hören nie auf zu existieren, nur weil man mal eine tolle Erkenntnis über sich gewonnen hat, sondern es ist immer lohnenswert mit seinen früheren Ichs in Kontakt zu bleiben, sich um sie zu kümmern und sie sich immer mal wieder anzuschauen und sie in die Zukunft mitzunehmen. Von daher ist es für mich nie eine gerade Linie, die von A nach B geht, sondern alles bedingt sich irgendwie gegenseitig. Da steckt dann auch schon drin, dass man hofft, dass die Zukunft versöhnlich mit dem jetzigen Ich umgeht.”

Damit sind alle Fragen in meinem Notizheft beantwortet. Also gebührt Sadek das letzte Wort: “Das Album kommt echt von Herzen und das ist ein Stück von uns, das wir da reingesteckt haben. Das hat teilweise auch wehgetan, aber ich bin unglaublich stolz darauf und auf uns und ich freue mich, das teilen zu können. Ich bin super gespannt zu sehen, welchen Weg dieses Ding (zeigt mit seinem Finger auf die Platte, die vor uns auf dem Dielenboden liegt) nehmen wird. Und wir gehen auf Tour im April, kommt alle vorbei! (lacht).

Jetzt in Monako’s “Scared Of The Way I Move” reinhören:

Monako Live 2023

12.04.Dresden

13.04. Osnabrück

14.04.Erfurt

15.04. Berlin

16.04. Hamburg

19.04. Mainz

20.04. Stuttgart

21.04. Reutlingen

22.04. Nürnberg

24.04. München

25.04. Münster

26.04. Haldern

29.04. Hannover