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Schlachtenmalerei und „Harte körperliche Arbeit, die einen nachts gut schlafen lässt“ – Es brennt über ihre neue EP

Es brennt (Sören Geißenhöner & Magnus Wichmann) im Backstage auf Tour mit Smile And Burn.

Foto: Laura Zimmermann

Im headCRASH auf dem Hamburger Berg sind wir an einem grauen Novembertag mit Magnus und Sören von Es brennt verabredet. Während das Wetter draußen alles gibt, um uns ins Warme und Trockene zu treiben, lassen die beiden die bisherigen Tourstopps mit Smile And Burn Revue passieren und teilen Gedanken zu ihrer neuen EP Harte körperliche Arbeit, die einen nachts gut schlafen lässt. Es geht um Rückzug, Dielenböden und den Ansporn, gute Zeilen zu schreiben.

Picky Sofia: Wie läuft die Tour bisher?

Sören: Tour ist voll geil. Ist für uns mehr, als wonach wir fragen könnten. Die Shows sind alle gut besucht. Überhaupt spielen zu können… Wir bemühen uns ja nicht aktiv um Konzerte oder haben ein Booking, sondern warten einfach darauf, dass irgendwer Bock hat, mit uns was zu machen. Von daher ist diese Tour alles geil, ja. Die Jungs (Anm. des Verf.: Smile And Burn) sind extrem respektvoll zu uns, sehr nette Tourbegleiter. Also außergewöhnlich, muss man sagen. Achten immer sehr darauf, dass auch wir unsere time to shine kriegen und das für uns die Umstände richtig perfekt sind.

Picky Sofia: Das freut mich. Der Anlass, weshalb wir heute miteinander sprechen, ist das Erscheinen eurer neuen EP „Harte körperliche Arbeit, die einen nachts gut schlafen lässt“. Sehr schöner Titel, übrigens. Wenn ihr jetzt diese EP innerhalb eurer Diskografie betrachtet, könnt ihr sie irgendwie in Beziehung zu den anderen stellen? Was ist vielleicht neu, was ist anders, was habt ihr behalten oder seid ihr auch neue Schritte gegangen?  

Magnus: Wir wollen immer irgendwas Neues machen. Ich habe das Gefühl, wie nehmen den Rock wieder ein bisschen raus. Also zumindest im Großteil der Songs. Irgendwann, als wir die vier Songs fertig hatten und ich die hintereinander im Auto gehört habe, erst dann habe ich gemerkt: „Ey, wir haben schon das nächste Release fertig!“ Ich weiß nicht, wie das jetzt passiert ist, weil es sich eher danach angefühlt hat, als hätten wir einfach nur Songs gesammelt.

Picky Sofia: Also ihr habt gar nicht konzeptuell daran gearbeitet?

Magnus: Genau, es ging gar nicht darum, dass wir jetzt eine EP machen – oder ich wusste es nicht so richtig. Auf einmal hatten wir vier Songs, die voll gut zusammengepasst haben und dann war das Ding fertig.

Sören: Wir haben ja auch immer so Phasen, wo wir auf eine bestimmte Art von Mukke abfahren. Die Zeit, wo wir „Hey“, „Jung“ oder „Antidote“ gemacht haben, das war ein anderes Gefühl als jetzt.

Picky Sofia: Was für ein Gefühl hattet ihr denn jetzt?

Sören: Naja, schon eher in sich gekehrt und weniger Aufbruchsstimmung. Eher eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, statt ein Let’s go, ab nach vorne, zu schauen, was passiert.

Magnus: Das ist uns auch aufgefallen, als wir dann die Videos dafür gedreht haben, dass eigentlich alle Songs so ein bisschen das gleiche Thema behandeln, ohne dass wir es geplant hätten. Sich zurück in eine Nische ziehen, den Rückzug ins Private. Sämtliche Zeilen in diesen vier Songs beschreiben genau das. Es hat sich perfekt ergeben, dass wir für die Visualizer eine leerstehende Wohnung nutzen konnten.

„Wir beide in deinem Zimmer, von mir aus hält das für immer“

Es brennt – Niemand Irgendwas

Sören: Genau, alles spielt irgendwie zu Hause. In „Blutleer“ liege ich auf meinem Dielenboden und starre auf die nackte Wand. „Ich bin wie ein Dachs, der nie seinen Bau verlässt, sage ich in „Niemand irgendwas“. Und Zug handelt davon, dass ich am Fensterbrett sitze und noch einen buffe, während meine Frau schon schläft. Alles zu Hause. Der Anfang von Es brennt war dagegen viel mehr nach dem Motto: „Alle Fesseln frei“. Fesseln weg, Labels weg und den ganzen Kram. Nur noch Magnus und ich, so wie es vorher war. Aufbruch, mal gucken, was jetzt so kommt. Und jetzt ist es das, was es davor vielleicht auch schon mal war (Anm. des Verf.: Hier spielt Sören auf das Projekt I Salute an).  So ein bisschen darker, in sich gekehrt. Mehr reflektieren, weniger zuversichtlich sein.

Picky Sofia: Rückzug und Einsamkeit in Zeiten, wo man eigentlich Zusammenhalt bräuchte. Aber halt auch einfach gar nicht so die Energie dafür da ist und die Kapazitäten, um sich mit anderen zusammenzuschließen und die Welt zu verändern, obwohl „draußen die schöne neue Welt [lockt]“?

Sören: Mhmmm… Keine Ahnung, guck aus dem Fenster, dann siehst du den Rummel und das Leben und alles Mögliche, aber ich hab keinen Bock.

Picky Sofia: Ist euer Anti-Pop deshalb noch mehr Anti als vorher?

Magnus: Also, wenn man jetzt so von der Pop-Idee in der Musik spricht, ist das ja ein gewisses Schema, das man immer wieder nutzt. Und das haben wir jetzt auf jeden Fall noch weniger. Fast gar nicht. Nur ein Song, nur „Zug“, der irgendwie einen Refrain hat.  Die anderen haben noch weniger Pop-Energie – tatsächlich. 

Picky Sofia: Hängt das Aufbrechen von Pop-Schemata bei euch kausal mit dem Düsteren zusammen?

Magnus: Nicht unbedingt. Wenn wir Musik machen, wollen wir das machen, was wir selber gerne hören würden. Ich glaube, ich bin einfach im letzten Jahr deutlich davon gelangweilt gewesen, dass es immer das Gleiche ist und wir das auch durchgespielt haben, so ein Stück weit. 

Sören: Ist jetzt auch nicht so, dass wir uns das vornehmen, sondern wir haben einfach in dem Moment Bock darauf. Wir setzen uns nicht ran und sagen: „Jetzt machen wir einen Song ohne Refrain“. 

Magnus: Oder: „lass mal den letzten Refrain wegnehmen, weil es zu poppig ist“.  Ne, also wenn das zündet für uns, wenn das Spaß macht, machen wir das schon, auf jeden  Fall. Also es ist definitiv kein bewusster Prozess in dem Sinne, dass man da so unbedingt dagegen sein will, aber man ist es in dem Moment dann vielleicht intuitiv. 

Sören zu Magnus: Vielleicht einfach, weil die Songs davor eben so waren, wie sie waren, haben wir dann mal wieder Bock gehabt was anderes zu machen? 

Magnus: Also auf jeden Fall von meiner Seite, definitiv! Bevor wir einen Song machen, sitzen wir immer da und zeigen uns gegenseitig Musik. Ewig lang und gucken dann so, was ist geil davon. Von da an läuft es dann einfach.

Picky Sofia: Welche Inspirationen waren wichtig für dieses Projekt?

Magnus: Young Fathers ist konstant immer mit dabei.

Sören: Young Fathers ist immer drin in unserer Playlist. Das hört man auch bestimmt raus bei dem einen oder anderen Song. Aber es gab auch auf jeden Fall Zeiten, wo wir uns eher in Richtung Indie und Pop bewegt haben. Auch so Grönemeyer. Das ist jetzt auf jeden Fall nicht mehr so, das sind wir nicht mehr. Ich will auch nicht mehr so singen wie bei „Antidote“ oder „Hey“, da muss jetzt was anderes kommen. 

Picky Sofia: Sträubt sich was in dir, wenn du die Songs auf Tour performst?

Sören: Nein. Nee, gar nicht. Nur halt nicht noch mal machen.

„Ich will auch nicht mehr so singen wie bei ‚Antidote‘ oder ‚Hey‘, da muss jetzt was anderes kommen.“ 

Picky Sofia: In „Niemand Irgendwas“ sprecht ihr davon, dass es gerade gute Jahre für Schlachtenmaler seien, doch eure Bilder sich nicht verkaufen. Was ist denn euer künstlerischer Anspruch? Die Schlachtenmalerei selbst, also die Darstellung der (ungleichen) Verhältnisse, oder das Aufzeigen von Utopien und das Flüchten von den Schlachten, die derzeit ausgetragen werden?

Sören: Ah, das ist eine gute Frage. Das kann ich so klar nicht beantworten. Es ist schon so, dass ich diese Zeile geschrieben habe, weil ich mich schon manchmal wundere, warum es uns so schwerfällt, die Musik den Leuten nahe zu bringen, die sich dafür interessieren könnten. Wir haben eine extreme Scham davor, uns selbst zu promoten. Werbung zu machen, Social Media Tools zu nutzen und so weiter. Das fühlt sich nicht gut an. Wir fühlen uns damit nicht wohl. Und trotzdem denke ich, dass wir zeitgeistig in unserer Musik sind. Dann ist es halt manchmal so, dass ich mich da, ohne dass ich oder wir das wirklich wollen, frage, warum das keiner mitkriegt. Das belastet uns nicht nachhaltig und das ist auch weder Ansporn noch irgendwie Zwangsjacke oder so. Aber es beschäftigt einen.

Magnus: Seit I Salute ist es eigentlich so, dass Sören eine anprangernde Rolle einnimmt in den Texten und auf dem, was abgeht, rumhackt. Und, dass das aber einfach kein Gehör findet und trotzdem die ganze Zeit so weiter passiert – so habe ich die Zeile immer gesehen. Das ist schon Schlachtenmalerei, die ganze Zeit. Aber wir sind halt komplett erfolglos damit (lacht).

Sören: Ne, wir sind nicht erfolglos, das ist ja genau das! Kommerziell erfolglos, ja. Aber sonst? Weil, das, was wir jetzt hier erleben, mit dieser Tour ist im Grunde schon viel mehr, als wir uns am Anfang eines Jahres wünschen. Das ist schon richtig geil. Aber irgendwie versuche ich die ganze Zeit deine Schlachtenmaler-Frage zu beantworten…

Picky Sofia: Du kannst auch einfach drauf los erzählen.

Sören: „So naiv sind wir nicht“ ist halt das Erste, was du gesagt hast. Nämlich zu beschreiben, was los ist und sich die ganze Zeit irgendwie so an den Kopf zu hauen.  

Magnus: Es sind gute Jahre für Schlachtenmaler, weil es gibt so viel zu erzählen, es gibt so viel anzuprangern, es passiert so viel. Aber keiner will es wirklich hören. Das ist die Kernaussage für mich und dieses Übergeordnete, Gesellschaftliche, das haben wir eigentlich immer drin. 

Picky Sofia: Das Paradoxe an der Zeile ist ja auch, dass es eben nur gute Jahre für Schlachtenmaler sind, sonst sind’s ja komplett beschissene Zeiten?

Magnus: Das ist das Bittere. Ja, genau.

Picky Sofia: Ist das einzig Gute an den Schlachten, dass man Kunst daraus schöpfen kann?

Magnus: In der Zeile steckt viel drin. Auch die Frage, ob es überhaupt Aufgabe von Künstlern ist, Dinge anzuprangern. Also ich finde schon, aber viele sagen ja immer „das ist unpolitisch, ich will da einen Zufluchtsort haben und mich von diesen gesellschaftlichen Begebenheiten und Krisen in die Musik flüchten“, aber wenn das dann auch in der Musik stattfindet, wird’s nicht immer gesehen. Kann man wirklich nur bedeutsame Kunst machen, wenn auch richtig die Erde am Brennen ist? Was ist noch gehaltvoll, wenn eh alles Friede, Freude, Eierkuchen ist? I don’t know.

„Es sind eigentlich gute Jahre für Schlachtenmaler / Aber meine Bilder verkaufen sich nicht“

Es brennt – Niemand Irgendwas

Picky Sofia: Könntet ihr überhaupt einen Song schreiben, in dem ihr nichts anprangert?

SörenHaben wir noch nie gemacht. Und wenn doch, dann ist der Pranger gegen uns selbst. 

Picky Sofia: Ist das vielleicht auch der Grund dafür, dass die Musik, die ihr macht, eher inkompatibel mit den Standards der Musikindustrie und -Konsumenten ist?

Sören: Ich glaube schon, dass das was wir machen, Potenzial hat – wir das aber nicht ausschöpfen. Wenn wir an dem Punkt sind, wo wir denken: „Boah, das ist jetzt echt ein cooler Song, auf den man sich gut einlassen kann“, sind wir glaube ich trotzdem immer noch sehr weit weg von dem Geschmack der Leute und von der Gefälligkeit. Ich glaube, wir sind einfach auch speziell. Allein die Zeile, die du gerade zitiert hast. Ich glaube, das kann Leute auch abschrecken.

MagnusJa, ist dann vielleicht sogar doch zu studentisch.

Picky Sofia: Wie wichtig ist es euch, überhaupt verstanden zu werden oder zugänglich zu sein?

MagnusDa gab’s viele Phasen. Bei I Salute dachten wir auch, das kann man verstehen. Sören musste mir, muss man ehrlich sein, auch manchmal die Texte erklären. Muss man auch einsehen, dass es superschwer zu vermitteln war.

Sören: Das war auch ein Experiment mit Sprache, das muss man so sagen. Das war nicht mein normaler Wortschatz.

Magnus: Aber ich glaube, es ist auch scheißegal, ob man das versteht oder nicht. Danach kam auf jeden Fall eine Phase, wo wir das so ein bisschen austarieren wollten. Aber jetzt bist du im Songwriting besser.

SörenAlso nicht besser, aber klarer.

Magnus: Meiner Meinung nach kann man jetzt schon alles verstehen, wenn man es möchte. Aber es sind natürlich immer noch keine Hau-drauf-Lyrics, wo man sofort weiß, das ist Emotion A und die wird so beschrieben.

Picky Sofia: Und trotzdem hat man das Gefühl, dass ihr es auf der jetzigen EP schafft, den Umstand, dass man sich vom Geschehen da draußen abgrenzt, gezielter zu beschreiben.

Magnus: Finde ich gut, wenn du das sagst. Hätte ich jetzt nicht gedacht, aber wenn es gezielter ist, ist es besser.

Picky Sofia: Der Titel „Harte körperliche Arbeit, die einen nachts gut schlafen lässt“ allein bringt doch genau das mit. Er kann für sich stehen, funktioniert aber auch im Bezug zur EP.  Wie kam es dazu, dass das als Titel vorgesehen habt?

Sören: Für mich ist harte körperliche Arbeit auch ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite gibt es die Leute, die über die Generation von heute sagen, dass sie gar nicht mehr wissen würden, was Arbeit ist und nur vom Computer sitzt. So nach dem Motto: „Im Büro sitzen, das kann ja jeder“. Harte körperliche Arbeit ist Maurer, ist Tischler, ist richtig Ackern, weil die halt nicht wissen, dass das Hirn schon von Grund auf Kalorien verbrennt. Die andere Seite ist, dass ich mich manchmal richtig erschöpfen will. Dass ich das brauche, um mich gut zu fühlen und runterzukommen. 

Magnus: Es ist auch ein Hamsterrad: Du musst hartkörperlich arbeiten, damit du schlafen kannst. Und wenn du nicht hart körperlich arbeitest, kannst du nicht gut schlafen.  Das heißt, du tauscht ein Problem mit dem anderen aus, permanent.

Picky Sofia: Und wenn du nicht gut geschlafen hast, bist du gar nicht erst in der Lage, hart körperlich zu arbeiten.

Magnus: Genau. Darum find ich die Zeile auch cool.

Picky Sofia: Was ist mit künstlerischer Arbeit, die man macht? Sich hinsetzen, Songs schreiben, das ist ja irgendwo auch ein Handwerk bzw. Arbeit.

Sören: Es kommt drauf an, welche Rolle man an so einem Abend wie heute spielt. Heute Abend fühlt sich für uns sicherlich anders an als für eine Person, die an der Bar arbeitet. Der künstlerische Betrieb, verlangt vielen Leuten viel mehr ab, als einfach nur irgendwelchen Performern ihre Performance. Wenn du überlegst, was manchmal für Situationen entstehen, von denen wir gar nichts mitkriegen: Stress an der Tür oder Barpersonal, das komisch angesprochen wird…Das ist schon ein toughes Gewerbe auf jeden Fall. Auch für die Leute, die auf Bühnen ackern und Traversen bauen und Cases schleppen. Dafür, dass man dieses Kreative ausleben kann, braucht es ein System dahinter, in dem Leute arbeiten. Es ist ein Haufen Händearbeit erforderlich, ein Haufen Muskelarbeit, dafür, dass irgendwann da zwei Hampelmänner wie wir performen.

Picky Sofia: Ihr spielt die neue EP ja auch heute Abend. Wie blickt ihr jetzt auf den Entstehungsprozess zurück?

Sören: Also mir hat die EP auf jeden Fall übelst viel Spaß gemacht. War für mich auch wieder voll die Challenge. Neue Sachen, neue Kreativität. Viel Power ist drin, viel Wucht. Finde ich richtig geil, macht auch live Spaß. Und auch wieder alles so in Frage zu stellen und Lyrics zuschreiben einfach. Freut mich auch total, wenn du so eine Zeile da rauspickst. So was zu schreiben ist für mich schon so ein Adrenalinkick. Und wenn ich die dann noch Magnus vorsinge, dann ist das eigentlich schon Erfolg.

Magnus: …Und die Zeilen, die du schreibst, mir wehtun!

SörenDann haben wir schon eine geile Zeit. 

Harte körperliche Arbeit, die einen nachts gut schlafen lässt“ ist auf allen gängigen Streamingplattformen verfügbar.

Fotos im Beitrag: Laura Zimmermann Florian Nielsen & Patrick Wenig