International Music (Alle Bilder im Beitrag: Lukas Vogt)
Als ein Drittel von International Music sowie die Hälfte von den Düsseldorf Düsterboys hat Pedro Goncalves Crescenti schon eine längere musikalische Laufbahn hinter sich. Dabei reflektiert nun die neue Platte “Endless Rüttenscheid” vor allem das Leben der Band im Ruhrgebiet und wirft einen Blick nach vorn. Ich habe ihn auf einen Kaffee getroffen, um über den Umgang mit Veränderung, warum sie ungern direkte Texte schreiben und ihre Vorliebe für Widersprüche zu sprechen.
“Ich bin heute leicht federnden Schrittes aus der Tür gegangen.”, meint der Sänger und Bassist der Band, als ich nach der aktuellen Gefühlslage frage, die sich nach dem Erscheinen des Albums breitgemacht hat. “Jetzt ist es draußen und wir haben keine Kontrolle mehr darüber, was geschrieben wird – und das fühlt sich total gut an.” Zum Zeitpunkt unseres Gespräches ist knapp eine Woche vergangen, seit die Gänze ihrer Arbeit auf Resonanz traf. Wir stehen in der Morgensonne am Rand einer ruhigen Seitenstraße, ein Stromkasten fungiert nach Pedros Vorschlag ausgezeichnet als Mikrofonhalter und Kaffeetisch. Man merkt ihm die Leichtigkeit an, die sich auch soundlich durch “Endless Rüttenscheid” zieht. Dem Trio ist neben der Platte nun auch die Gründung des eigenen Labels Timeless Melancholic Music von den Schultern gefallen, ein Name, der sich zwischen den Zeilen von “Liebesformular” wiederfindet. Dass sie sich damit schon bestens selbst betitelt haben, unterstrich ich kürzlich im hier zu passenden Review, welcher versucht durch das Dickicht der Klänge und Erzählstränge zu steigen. Was noch dahintersteckt, mag nun vielleicht ersichtlich werden.
Eine Sache fällt direkt auf: International Music hat sich, für ihre Verhältnisse, dieses Mal kürzer gehalten, was die Liedmenge betrifft. Wie sah dort der Prozess der Platzwahl aus? “Hier ging es wirklich einfach danach, welcher Song fertig geschrieben war und welcher nicht.”, erwidert Pedro. Andere fortgeschrittene Ideen existieren, aber sie merkten im Prozess, dass ein Fokus zeittechnisch nötig wurde. Durch die Finger rutschen solche Skizzen jedoch deshalb nicht. ”Ich glaube, es ist schon immer so gewesen, dass Songwriting und Albenphasen ineinander übergeschwappt sind. Die Reprise von ‘Mont St. Michel’ hat sich zum Beispiel als ein schöner Zufall im Proberaum mit Peter ergeben. Aber wir wollten explizit ein kurzweiligeres, rockigeres Album machen, der Gedanke war von Anfang an da.” Der Plan scheint aufgegangen zu sein. Trotz Krautrockelementen und -referenzen kann die Musik der Band wohl immer noch in keine Schublade gepackt werden, beziehungsweise bedient sie sich aus vielen verschiedenen Schubladen. “Wir haben uns vorher überlegt, wie es klingen soll – ein bisschen näher, ein bisschen trockener. Aber vor allem war uns wichtig, wie es sich anfühlen soll, die Songs einzuspielen.”, rekapituliert der Künstler. Bei den Alben davor schrieben sie alle Tracks fertig, übten und übten, um sie dann in kurzer Dauer im gebuchten Studio festhalten zu können. Die Aufnahmen für “Endless Rüttenscheid” entstanden jedoch größtenteils im Proberaum selbst. “Dadurch hatten wir viel mehr Zeit und konnten das Gefühl einfangen, was passiert, wenn wir zu dritt schreiben, unsere Ideen zum ersten Mal umsetzen.”
“Direktheit kann ganz viel im Sinne von Intensität haben, aber mich haben Texte immer mehr interessiert, wenn eine Irritation existiert, wenn es Platz gibt, mich selbst hinein zu projizieren.“
– Pedro über den Spielraum von Metaphern in Songlyrics
Unser Gespräch findet mitten in Kreuzberg statt, International Music ist jedoch seit Jahren in Essen ansässig. Sie bekommen oft die Frage gestellt, was das Leben dort als Musiker ausmacht, während viele Bands oft irgendwann den Umzug in die Hauptstadt wagen. “Ich bin persönlich zu Anfang sehr unsicher gewesen, was meine eigene Musik angeht. Ich habe mal ein Jahr in Berlin gewohnt und das hat mich total eingeschüchtert. In Essen war es viel entspannter – da wurde ich eher begrüßt als dass ich das Gefühl bekam, mir erstmal etwas erarbeiten zu müssen. Die Stadt hat mir irgendwie den Druck und das Bedürfnis des Vergleichens genommen.” Auch einen günstigen, geräumigen Raum zum Proben findet die Gruppe dort, aber Pedro unterstreicht, dass er hier vom Zustand von vor zehn Jahren spricht. Mittlerweile sind auch dort die Mieten in die Höhe geschossen, die Gentrifizierung zieht ihre Furchen durch die Stadt. Ich frage mich trotzdem, wie dort die Subkultur funktioniert, ob sie konzentrierter und fester wirkt als in Berlin. “Die Szene, wenn es sie überhaupt gibt, ist viel fluider. Ein paar Grundpfeiler an Orten gibt es, die sich herauskristallisiert haben, aber auch da sind die Menschen häufig nur vorrübergehend. Es befindet sich sehr in Bewegung.” “Endless Rüttenscheid” formte sich jedoch nicht im gleichnamigen Stadtviertel, sondern am Standort des Studios in Holsterhausen. Während des Schreibprozesses wurde nur klar, dass die innere Rhythmik von Rüttenscheid vielleicht etwas leichter über die Lippen geht.
“Das Album verhandelt schon primär das Thema Essen und unser Leben im Ruhrgebiet. Viel kommt davon, dass wir jetzt Anfang dreißig sind, ein Jahrzehnt in der Stadt gewohnt haben und uns fragen, was uns der Ort gibt, wie es weitergeht.”, meint Pedro zur Inspiration hinter den Geschichten, die sie hier erzählen. Textlich finden sie oft Worte, die sich um Wege und Übergänge drehen. “Im dritten Album wurde es glaube ich Zeit für ein bisschen Rückblick, Zeit nach vorne zu gucken. Das waren keine bewusst gewählten Themen, aber Dinge, die uns gerade einfach beschäftigen und dadurch eingeflossen sind.” Ist er denn auch jemand, der Veränderung willkommen heißt oder dem dies eher schwerfällt? Es werde mit dem Älterwerden leichter, erzählt er lachend. Mit einem Vater aus Brasilien und vielen Umzügen in der Kindheit gewöhnte er sich an Wandel, weshalb es ihm leichter fiel, sich die Frage nach einem Wohin zu stellen. Die Antwort überrascht mich, da mir die Unmengen an Ortswechseln in meiner Jugend das Sich Einlassen auf Wechsel eher erschwerte. Man sucht stets nach einem Gefühl von Zuhause, welches nirgendwo so richtig zu finden zu sein scheint, welches man schlussendlich selbst aufbauen muss. Pedro nickt zustimmend. “Die Empfindung kenne ich auch. Als ich 22 war, bin ich nach Essen gezogen und dachte mir: ‘Ach, die Suche hat ein Ende. Endlich ankommen.’ Und so langsam kribbelt es aber wieder.”
Gerade der Song “Guter Ort” thematisiert die Situation an einer Zwischenstation. Hier hat sich vielleicht noch nicht ganz klar herauskristallisiert, in welche Richtung sich etwas verändert, wohin es nun wirklich geht. Ist so ein Platz ein guter Ort um zu verweilen? “Ich glaube, in diesem Lied schwingt der liebevolle Gedanke mit, dass ein guter Ort überall sein kann. Es geht aber schon sehr konkret um unser jetziges Zuhause. Die Zeile ‘Und ich werd‘ weiter überlegen, ob ich gehen soll oder bleib’, und das gibt es nun wirklich selten bei uns, war Wort für Wort eine Überlegung in unseren Köpfen.” International Music ist eher bekannt für träumerische Bilder, für ein Verweben von schwereren Aussagen mit Augenzwinkern. Welche Rolle spielt für sie Humor in ihrer Musik? “Wir haben es schon immer faszinierend gefunden, wenn man es schafft, sich selbst nicht super ernst zu nehmen. Andererseits mögen wir den Aspekt der Kontraste und Widersprüche sehr gern – eine Schwere durch einen leichten Moment zu lösen, macht es spannend. Wenn es mir schlecht geht, bekommen die Lieder dadurch eine andere Bedeutung als wenn es mir gut geht.”
Ein Kontrast bildet sich auch in ihrer Mischung von Sprachen, immer wieder ist die eine oder andere englische Zeile zu finden. Doch dass es als Musiker*in einfacher fällt Vulnerables in einer Fremdsprache auszudrücken, das unterschreibt Pedro so nicht ganz. “Ich find’s eher schade, wenn sich Leute hinter Englisch verstecken. Per se ist es natürlich nichts Schlechtes, wir reden hier von der Popsprache, mit der wir aufgewachsen und sozialisiert wurden. Für uns als Band stellt es eher die Erweiterung der Kodierungsmöglichkeiten dar – ‘I’m going to a party’ löst etwas ganz anderes aus als ‘Ich gehe auf eine Feier’.” Well, fair enough! Geben ihnen dann ihre teils absurden Metaphern einen Bedeutungsspielraum, der in direkteren Lyrics fehlt? “Direktheit kann ganz viel im Sinne von Intensität haben, aber mich haben Texte immer mehr interessiert, wenn eine Irritation existiert, wenn es Platz gibt, mich selbst hinein zu projizieren. Ebenfalls macht es einfach Spaß Ringelnatz-mäßig Wortketten zu bilden, den Kopf auszuschalten und zu gucken, was passiert, wenn die Worte wie ein Wasserfall herausfließen.” Für International Music stehe die Musikalität des Geschriebenen fast über dem Inhalt. Wenn eine Zeile eine tolle Aussage trägt, aber nicht zu Rhythmus und Sound passt, fliege sie im Prozess meist hinaus. “Bei Bob Dylan zum Beispiel, der schrammelt Akkorde und erzählt und erzählt, was total toll klingt, aber das können wir einfach nicht so gut. Was wir können, ist assoziative Traumwelten erschaffen. Wenn innerhalb dieser Wolken mal ein direkter Blitz rauskommt und der tut weh…” Dann erscheint der Kontrast auch intensiver, den das Trio schätzt.
Und ich werd‘ weiter überlegen
Ob ich gehen soll oder bleib‘
Eine Zwischenstation, die lange war und länger wird
Von mir zu dir, von hier zu dir
Guter Ort – International Music
Meine nächste Frage klaue ich frecherweise aus der Pressemitteilung. Darin stand schon fast wie im Nebensatz: Können wir den Zustand der Liebe irgendwie konservieren? Das einzige was mir spontan dazu einfällt, wäre, wie es Künstler*innen tun, innerhalb eines Liedes. “Musik ist ein tolles Werkzeug, um Zustände generell zu konservieren.”, stimmt Pedro zu. “Als wir aber zum hundertsten Mal ‘Mama, warum?’ auf der Bühne gespielt haben und es sich anders angefühlt hat als beim ersten Mal, kamen die Worte aus uns heraus, ohne dass sie eine Bedeutung für uns hatten. Deshalb kam der Song eine Weile nicht auf der Setlist. Jedoch irgendwann beim erneuten Anspielen im Proberaum war auf einmal alles wieder da, plus ein neues Gefühl. Das hat uns Vertrauen gegeben, dass wir diese konservierten Momente wieder auspacken und mit unserem aktuellen Ich verbinden können.” Daraufhin verlieren wir uns ein bisschen in der Suche danach, was einen guten Lovesong ausmacht, der die Gefühle festhalten kann – keine einfache Angelegenheit bei einem so präsenten, schwer greifbaren Thema in der Musiklandschaft. Es fallen Namen von Robbie Williams über Aldous Harding, Big Thief bis hin zu Alex Turner. Wir einigen uns auf etwas, das bewegt, in welche Richtung auch immer.
“Ich wünsche mir, dass sich die Leute Zeit nehmen, unsere Alben zu hören und vielleicht nicht nur das letzte. Gerne auch mehrmals in verschiedenen Situationen, bevor sie sich ein Urteil erlauben.”, beendet er unser Gespräch am Stromkasten in der Sonne. “Das ist etwas, das ich selbst zu wenig mache. Oft bin ich am Handy und sehe ‘Ah, neue Platte von xy! Schnell mal reingucken’, aber ich habe mir vorgenommen wieder bewusster Musik aufzunehmen.” Diese Aussage kommt nicht selten, wenn ich Künstler*innen am Schluss unserer Interviews nach letzten Worten frage. Es steckt viel Arbeit, Zeit und Herz in einem Projekt wie “Endless Rüttenscheid”, verdichtet in eine kleine Menge an Liedern. Hier lohnt sich das Abtauchen in die Traumwelt. Hier ist ein guter Ort, um wenigstens einen Moment darin zu leben.