„Sophie Lindinger“ – Das intime Solo-Debüt voller Herzschmerz

Sophie Lindinger sitzt vor einer Wand mit großen Farbklecksen. Das Bild ist Schwarz-Weiß.

Sophie Lindinger (Foto: Hanna Fasching)

Am 10. Februar war es endlich so weit: Sophie Lindinger brachte ihr sehnsüchtig erwartetes Solo-Debüt raus. Dieses introspektive Werk ist passenderweise nach ihr selbst benannt.

Die österreichische Multi-Instrumentalistin und Sängerin Sophie Lindinger hat als Mitglied von „My Ugly Clementine“ und „Leyya“ in der Vergangenheit schon ordentlich Wellen geschlagen. Trotzdem war es der Künstlerin wichtig, ein Soloprojekt zu starten, um die Erfahrungen der letzten Jahre festzuhalten. Mit dem selbstbetitelten Debütalbum „Sophie Lindinger“ nimmt sie uns auf eine sehr persönliche Reise voller Trauer, Sehnsucht und Selbstzweifel.

Der Song, mit dem alles begann

Chronologisch gesehen ist „Happy Pills“ zwar nicht der erste Song, den Sophie Lindinger unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht hat, aber er war definitiv der Anfang der selbstreflektierten Reise, welche ihre Solokarriere und das Album ausmacht. In dieser düsteren Ballade, in der sie über die Auswirkungen von Antidepressiva singt, leitet sie die intime Atmosphäre des Albums auf eine sanfte Weise ein und bereitet uns auf die bevorstehende emotionale Achterbahn vor. Highlights von „Happy Pills“ sind der unglaubliche Chorus und das abschließende schmerzerfüllte Gitarrensolo.

Das Musikvideo von „Happy Pills

Nach einem kurzen Aufatmen beginnt dann auch schon „Say My Name“. Der Song erzählt eine Geschichte voller Sehnsucht und der Hoffnung, dass alles schon funktionieren wird – auch wenn man weiß, dass das nicht wahr ist. „Oh please please lie to me, just for today“ singt Sophie Lindinger in den zwar sensiblen, aber dennoch standfesten Anfängen von „Say My Name“. Diese Stimmung kippt jedoch im letzten Drittel und eine verletzte, frustrierte Realisation setzt ein: „Say my name and make me fall again“. Gegen Ende fällt der Track wieder in alte Gewohnheiten und beginnt den Zyklus mit derselben Stimmung von vorne.

Allein mit den eigenen Gedanken

Dem Titel des nächsten Songs „I Don’t Wanna Meet Her“ würde man entnehmen, man wird mit Eifersucht und Beziehungsstress konfrontiert, wo auch eine gewisse Wahrheit drinsteckt. Es geht zwar um eine Beziehung, allerdings um die mit sich selbst. Sophie Lindinger singt Ihre direkten Gedanken, voller Selbstzweifel und Sorge. Dabei ist die „Her“ aus dem Titel ihr zukünftiges Ich – das Ich, welches die Frage beantworten muss: „Werde ich es schaffen, mich selbst zu lieben?“

„…und was passiert falls nicht?“

Die Frage der fehlenden Selbstliebe und ihre direkten Folgen werden in „How To Love Somebody Fully“ aufgegriffen. Die Gitarre malt ein schwarz-weißes Bild von düsteren Räumen, gefüllt mit dem leeren Gefühl, welches nach einer Trennung bleibt. In diesem Song singt Sophie Lindinger aber nicht von einer Beziehung, die mit einem Knall endet. Die Folgen der fehlenden Selbstliebe sind der Auslöser für das Ende und somit gibt es auch keinen Streit. Vielmehr hat dieser Abschied eine bittersüße Note und die Erkenntnis, dass nicht immer alles wie im Märchen läuft: „’cause it’s okay, we did everything we could“

Dieses zentrale Thema von „I Don’t Wanna Meet Her“ und „How To Love Somebody Fully“, ist auch eine der treibenden Kräfte hinter der musikalischen Entwicklung ihrer Solokarriere und dem Release ihres Debütalbums:

Es gab Momente, in denen ich mich wirklich gehasst habe […]. Aber dann dachte ich mir: ‚Wie kann mich jemals wer lieben, wenn ich mich selbst nicht liebe?‘. Meine neue Musik handelt davon, zu lernen, wie man sich wieder in seinen eigenen Schatten verliebt.“

Sophie Lindinger darüber, was ihr Debüt antrieb

Salz in der Wunde

Salt“ schließt die erste Hälfte des Albums ab und ist meiner Meinung nach der emotionale Tiefpunkt des Albums. Der mit Abstand düsterste Track trägt durch die Gitarre eine ähnliche Stimmung wie „How To Love Someone Fully“, nur dass aus der Leere eine tiefgreifende Einsamkeit wurde und die Hoffnungslosigkeit eingesetzt hat. In „Salt“ betont Sophie Lindinger durch viel Wiederholung ein Ende. Ob es sich dabei nur um das Ende der Beziehung oder etwas anderes handelt, bleibt offen für Interpretation, allerdings hat der Song ein sehr grobes, brutales Ende. Über die vier Minuten Laufzeit baut die langsame, eiskalte Atmosphäre langsam ab und wird immer mehr verstellt bis das grobe, kratzige und schmerzhafte Finale einsetzt.

Man dreht die Platte um und schon findet man sich in einem Traum wieder. „Family Tree“ sticht musikalisch aus der Reihe und hat sehr klare, wässrige Synth zusammen mit der allbekannten Gitarre, welche aber auch eine andere Form angenommen hat. „Family Tree“ ist das neue, ungewisse Kapitel und greift die Frage von „I Don’t Wanna Meet Her“ auf.

„How do I think of that in a year
will I look back thinking
that’s been so clear?“

Sophie Lindinger in „Family Tree”

Zurück zur Normalität

Nach der tiefen Trauer von „Salt“ kommen wir durch „15 Years“ langsam im Alltag an. Die Wärme ist wieder da und auch wenn der Herzschmerz sie begleitet, spürt man trotzdem ein Licht am Ende des Tunnels. Besonders der Chorus hat eine unvergleichbare Stimmung und Sophie Lindingers Vocals zeigen nochmal aufs Neue wie extrem gut sie doch klingen. Durch das aufgewecktere Schlagzeug und die wiederkehrende Wärme fühlt sich „15 Years“ wie der Frühling des Albums an und gibt uns einen kleinen Ruck, bevor es weitergeht.

Den nächsten Track habe ich zwar schon einmal hier reviewed, allerdings gefällt mir „Coffee“ so gut, dass ich es gerne nochmal tue. Zuerst wollte ich schreiben, dass „Coffee“ mein Favorit aus dem Album ist, allerdings habe ich diesen Song so oft rauf und runter gehört, dass ich diesen Titel inzwischen doch anderweitig vergeben muss. Als energiereichster Teil des Albums überzeugt „Coffee“ mit fetten Bässen, mutigerem Schlagzeug und einem Chorus mit Ohrwurmfaktor. Sophie Lindinger singt hier von den Erinnerungen zu einer vergangenen Beziehung, welche auf eine besondere Art ausgelöst werden: den Sound der Kaffeemaschine, welche immer zusammen benutzt wurde.

Das Musikvideo zu „Coffee

Langsam kommt das Ende…

…und die Zweifel setzen wieder ein. „Nothing I Know So Well“ fällt zurück in alte Muster, zurück in die Kälte. Die fehlende Selbstliebe macht sich wieder bemerkbar und die Folgen für das Leben setzen wieder ein. Der verwundbare, flüsternde Gesang von Sophie Lindinger und die einsame Gitarre sind das einzige was bleiben und erinnern uns an die unterliegende Gefühlslage. Doch zwischen den Zweifeln enthüllt sich auch eine gewisse Akzeptanz und Hoffnung.

Und so kommen wir zum Schluss des Albums. „The Winner“ schrumpft die Gitarre zu einer Ukulele, wobei der fette Bass von „Coffee“ bleibt, was eine sehr schöne Mischung abgibt. Der Track hat eine hoffnungsvolle Note und fühlt sich an wie ein musikalischer Sonnenaufgang nach einer kalten dunklen Nacht. Wie das Outro eines Films, bei dem die Protagonisten erschöpft aus der Dunkelheit treten und das Licht des Tages erblicken. Leider überträgt sich dieses Bild nicht auf die Lyrics, welche immer noch mit Selbstzweifeln und einem niedrigen Selbstwert belastet sind. „The Winner“, erzählt zwar von deutlich leichteren Situationen und Problemen, allerdings sind diese nicht verschwunden und bleiben im Hintergrund bestehen, auch wenn gerade die Heilung eingesetzt hat.

Damit schickt Sophie Lindinger uns, die Zuhörer, auf unseren Weg. Für uns ist diese Reise zu Ende und die Geschichte hört mit einer warmen, hoffnungsvollen Gefühlslage auf, allerdings war dieses Album nur ein kurzer Einblick in ihre Welt. Für Sophie Lindinger geht es weiter, und auch wenn es gerade bergauf geht, ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende.

Fazit

„Sophie Lindinger“ ist kein Album was man bei einer Party hören würde, allerdings versucht es das auch nicht zu sein. Stattdessen ist es ein intimes Werk einer Künstlerin, welche ihrer persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse musikalisch festhält und sich dadurch das Anhören anfühlt, wie das Lesen eines Tagebuchs. Die Verwundbarkeit, die Zweifel und der Herzschmerz werden nicht dramatisiert und fühlen sich real an, weshalb man besonders mit den Songs resoniert. Meine Favoriten „Happy Pills“ und „15 Years“ würde ich jedem empfehlen („Coffee“ natürlich auch, aber den habe ich zu oft gehört), wobei ich euch lieber die Reise durch das ganze Album ans Herz legen würde.

Das selbstbetitelte Solo-Debüt von Sophie Lindinger erschien am 10.02. auf allen gängigen Plattformen. Jetzt „Sophie Lindinger“ anhören: