Urbannino (Alle Bilder im Artikel: Mats Hoff)
Seit Edwin Rosen den Begriff der „Neuen neuen deutschen Welle“ prägte, hat sich unter diesem Namen ein Umfeld an Musiker*innen herauskristallisiert, welches aus der Zeit gefallen scheint. Dazu zählt auch der Künstler Urbannino – Mit seiner neusten EP „Zoff“ begibt er sich in die elektronische, ironische Welt der Achtziger Jahre. Ich habe ihn getroffen, um über das Potential dieser aufkommenden Szene und seine damit verbundene Entfernung vom Hip-Hop zu sprechen.
Wenn ich meinen Vater besuche, setzen wir uns immer mindestens eine Stunde zusammen um Musik auszutauschen. Ich packe meistens neue Interpret*innen aus, er gräbt im Soundtrack seiner Jugend. Oft klingt beides erstaunlich ähnlich. Beim letzten Mal ließ ich ein Werk namens „Zoff“ laufen – Schroffe, schnelle Drummachines und eine Stimme, die Zeilen wie „Ich tanze im Viereck, ich tanze konzentriert“ von sich gibt, dröhnen aus den Boxen. Ein verwirrter Blick erscheint auf dem Gesicht meines Vaters. Er möchte das Erscheinungsjahr wissen und seine Augenbrauen bewegen sich noch weiter nach oben, als ich ihm das aktuelle Jahr nenne. „Das ist nicht Neue Deutsche Welle?“
Nicht ganz. Noch ein paar Stunden zuvor habe ich mich mit dem Musiker hinter „Zoff“ genau darüber unterhalten. Urbannino, ansässig in Hamburg, ist Teil eines Dunstkreises, der im Alleingang alte Synthesizer wiederbelebt und Genregrenzen aufbricht. Die Popularität dieser Nische steigt stetig und immer wieder tauchen neue Vertreter*innen im Netz auf. Seine ersten Veröffentlichungen stammen aus 2020 – es scheint, als ob die Pandemie auch hier ihren Beitrag zum Kreativwerden geleistet hat. Oder? „In der Zeit nach dem Abi, das war 2016, habe ich angefangen Hip-Hop-Beats zu produzieren. Irgendwann kam mal ein Kumpel vorbei und hat gefragt, ob er darüber rappen kann. Das fand‘ ich so cool, dass ich es auch unbedingt machen wollte. Wir haben daraufhin unser erstes Mixtape aufgenommen – Die Texte find‘ ich mittlerweile richtig uncool und stehe dafür auch nicht mehr. Nach mehreren Jahren auf Reisen bin ich 2020 dann wieder in Deutschland gewesen und hatte Bock weiter Mucke zu machen. Wie alle anderen hatte man auf einmal die Zeit und ‚Corsa‘ war dann der erste Song.“ Auch damals schon veröffentlicht er unter dem gleichen Pseudonym, welches ihn schon seit Beginn begleitet. Auf Nachfrage zerlegt er es mir in seine Einzelteile. „Das ‚Urban‘ kommt tatsächlich daher, dass ich so mit Nachnamen heiße und den mochte ich schon immer sehr gerne. ‚Nino‘ bedeutet ‚Kind‘ auf Spanisch, ‚Urban‘ wiederrum auch ‚städtisch‘ auf Latein. Und da ich irgendwie immer in Städten rumgewohnt habe… Das klingt jetzt voll deep, aber ist es eigentlich gar nicht.“
Seine Texte sind charakterisiert durch die Höhen und Tiefen des jungen Lebens in der Großstadt, getrieben von atmosphärischen Beats. Noch in diesem April erschien die EP „Datenrausch“, die sich explizit mit Online Dating und der Distanz, die das Internet zwischen zwei Menschen aufbaut, beschäftigt. Der pandemische Zustand und ein Umzug währenddessen von Wiesbaden nach Hamburg hatte hier maßgeblich Einfluss. Ich frage ihn, wie er diese digitale Form der Liebe wahrnimmt, die in unserer Generation vorzuherrschen scheint. „Ich habe gemerkt, wenn ich jetzt nicht auf solchen Plattformen unterwegs bin, dann lerne ich auch niemanden kennen. Vorher ist man dreidimensional als Mensch, hat all seine Werte und Eigenschaften, die man mitbringt, doch sobald Online Dating losgeht, wird man zu einem Produkt und muss sich vermarkten. Natürlich habe ich selber davon profitiert und auch super liebe Leute kennengelernt, aber es fühlt sich trotzdem absurd an, dass es das überhaupt gibt.“
Urbanninos frühere Releases, „Datenrausch“ inkludiert, bewegen sich im Bereich Rap, durchwachsen von elektronischen Indie-Einflüssen. Jetzt aber schlägt er mit seiner frischsten EP einen neuen Weg ein. Woher stammt der Sinneswandel Richtung NNDW? „Unterbewusst habe ich Bands wie Grauzone immer gerne gehört, konnte aber das Genre dahinter nicht greifen. Anfang des Jahres hat mir dann jemand das Soundcloud von diggidaniel geschickt und ich war komplett geflasht: Was ich von alten Platten kenne, gibt es jetzt in neu aufgelegt. Da ich eh keinen Bock mehr auf die Hip-Hop Schiene hatte, in der extrem viel diffamiert und ausgegrenzt wird, kam der Übergang fließend. Die Beats sind immer noch ähnlich, aber es macht viel mehr Spaß ironische Texte zu schreiben, zu sagen was ich will ohne mich profilieren zu müssen wie im Rap.“ Für den ersten Song, der diese Evolution markierte, holte er sich gleich seine oben genannte Inspiration ins Boot: „Suche“ ist ein gemeinsames Projekt mit diggidaniel, voller Düsternis und treibender Drums. Nach einem klassischen Slide in die DMs kam es zu sporadischem Kontakt und es folgte der schnellste Entstehungsprozess, den er je erlebt hatte. „Ich saß mit meinem Produzenten DeeLou im Studio und wir haben den Beat, direkt nach dem er fertig war, an Daniel geschickt. Während ich an meinen Zeilen saß, kam nach fünf Minuten seine Hook zurück. Wir hatten nie über den Text gesprochen, aber es hat sich sofort gefügt.“ Auch der Clip dazu spiegelt die Atmosphäre des Liedes wider, das Urbaninno, wie alle anderen Musikvideos, mit seinem besten Freund und Fotografen Julius drehte. Auf einem Autoschrottplatz liegt der Künstler in den Ketten seiner Gefühle zu einer anderen Person, aus denen er sich zu befreien versucht. Man weiß, dass alles um einen herum schon kaputt ist, aber das Loslösen gelingt trotzdem kaum.
Der Ton für seine neue EP „Zoff“ ist damit gegeben. Mit Geräuschen aus Synthesizern, die man noch nie vorher gehört hat, verkörpert dieses Werk die elektronischen Achtziger vollends. Inwiefern hat er sich instrumental damit ausprobiert? „Zusammen mit Deelou habe ich angefangen alle möglichen Synthies zu testen, ob digital oder analog, und wir suchten uns dann die ‚lustigsten‘ Sounds heraus. ‚Moral/Anstand‘ entstand als erstes und prägte die EP maßgeblich – da habe ich gecheckt, wie man so eine Art Song macht. Es war dann weniger ein Ausprobieren und mehr ein Eintauchen.“ Wenn man sich nun die Lyrics genauer ansieht, fällt das Wort ‚Verstehen‘ nicht selten, ein Lied trägt den Namen „Kommunikationsprobleme“. Schreiben kann manchmal ein Weg sein, Situationen mit anderen zu ordnen, die man selbst nicht ganz versteht. Urbannino tut dies in seiner Musik mehr unterbewusst als bewusst, meint er. „Wenn ich die Songs höre, sobald sie fertig sind, dann merke ich oft: ‚Ah okay, da habe ich gerade etwas verarbeitet.‘ Schlechte romantische Erfahrungen, wie das Unverständnis in ‚Kommunikationsprobleme‘, verwerte und reflektiere ich so für mich.“
Auf die Frage, was er während der Entstehung von „Zoff“ intensiv gehört hat, fallen neue sowie alte Namen. Carlo Karacho und SALÒ schätzt er immens, letzterer ziert sogar einen Track der EP. Geht man weiter zurück in der Musikgeschichte, liefen bei ihm Oppenheimer Analysis, Fehlfarben und natürlich Grauzone. Basierend auf diesem vergangenen Kosmos bildet sich gerade eine neue Szene von Künstler*innen jeglichen Geschlechts, die ihren Platz darin finden kann ohne viel Equipment zu brauchen. Eine neue neue deutsche Welle. „Unsere Eltern kann Mucke erreichen, die jetzt gerade modern wird und sie an ihre Jugend erinnert, weil wir so schnell diesen Kultur-Loop gemacht haben. Meine Mutter hört sich meine Songs an und sagt ‚Das kenne ich von früher.‘ Das finde ich derbe schön, weil es so einen integrativen Charakter hat.“ Ich denke, dem kann mein Vater genauso zustimmen. Vielleicht hat sich der Name Urbannino jetzt auch in seine Playlisten eingeschlichen.
Hier könnt ihr in „Zoff“ direkt reinhören:
One thought on “Sinneswandel und Synthesizer: Urbannino über „Zoff“ und die Neuauflage einer Szene”
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