
Bei einer CIGGGY BREAK Jam Session (Alle Bilder im Beitrag: @kimli.kaya)
In einer Zeit, die von politischen Repressionen und einem Erstarken rechter Kräfte geprägt ist, kann man auch im Bereich der Kultur nicht einfach auf Veränderung hoffen – sie muss selbst geschaffen werden. Das wissen Naima und Mia vom Berliner Kollektiv CIGGGY BREAK, welches in Form von Jam Sessions von und für FLINTA* einen solidarischen Raum kreiert. Im Gespräch mit Picky erzählen sie, wie die Idee aus dem frustrierenden Zustand einer cis-männlich dominierten Szene wuchs, von Musik als Mittel des Widerstands und einem Umbruch des Systems von innen heraus.
Dies ist kein Text, der resigniert aufführt, was alles bergab geht in dieser Welt und dem musikalischen Milieu in ihr. Dies ist auch kein Text, der sich mit dem Stand der Dinge zufrieden gibt, in dem der Diversität zur Liebe ein paar mehr FLINTA* auf Festival Line Ups landen, welcher in irgendeiner fernen Zukunft mehr Gerechtigkeit verspricht. Stattdessen öffnet er den Raum für die Geschichte eines Projektes, das greifbar zeigt, wie ein kollektiver Wille im Hier und Jetzt einen Gegenentwurf schafft, der vernetzt, revoltiert und immer weiter wächst.
Die Geschichte beginnt in einer dystopischen Realität. Sie beginnt damit, dass sich Naima und Mia schon länger in der Musikszene in Berlin bewegen, regelmäßig Jam Sessions besuchen sowie mitorganisieren. Diese Sessions sollen ein Ort für Künstler*innen sein, um aufeinander zu treffen, um verspielt zu sein und gemeinsam in der Improvisation etwas entstehen zu lassen. Mia beschreibt es so: “Es ist der Abdruck von Zeit in einem Moment – du hast keine Ahnung, womit eine Person starten wird, wer vielleicht mit dir auf der Bühne sein wird und dementsprechend bist du auch auf nichts anderes angewiesen als auf deine Intuition.” Doch den beiden wird jeweils immer bewusster, dass ihnen jene Räume nicht die Sicherheit geben, sich zu entfalten. Dass aus der Intuition ein Instinkt geworden ist, sich im patriarchalen System als nicht cis-männliche Musiker*innen beweisen zu müssen. Sie schauen sich um und sehen kaum FLINTA*, kaum BIPoC Personen, vor und hinter der Bühne. Sie fragen sich: Wo will ich mich bewegen? Was für ein Kontext will auch, dass ich mich in ihm bewege? “Und das Perfide daran war, dass Musik für uns immer einer der wertvollsten Orte gewesen ist”, führt Mia weiter aus. Sie spüren, dass sie sich weniger zu Jam Sessions begeben, obwohl ihnen dieses Outlet wichtig ist. “Wir möchten nicht auf diese Räume verzichten, aber so wie sie gestaltet werden, sind sie nicht zugänglich. Die Musik wird bitter für uns. Und ich möchte nicht, dass etwas, was mir so heilig ist, bitter wird.”
Den ersten wichtigen Schritt, den Naima beschreibt, war in Kontakt zu treten mit den anderen wenigen FLINTA* an diesen Plätzen. Es hieß der gesellschaftlichen Prägung entgegen zu gehen, die ein Konkurrenzdenken anstatt Verbindung unter ihnen förderte. “Ab dem Punkt, als wir angefangen haben, untereinander zu raunen, ist uns allen klar geworden, wir fühlen uns alle einfach so. Und irgendwie haben wir keinen Bock, uns so zu fühlen. Das ist einfach ein kollektives Trauma, was in Isolation und in Stille stattgefunden hat.” Und sobald das erste Wort darüber fiel, einen anderen Weg zu gehen, schien es, als horchten viele direkt auf. Mit der Schnelligkeit, mit der das FLINTA* Kollektiv und sein Team sich plötzlich zu versammeln schien, zeugte von der Notwendigkeit für die Idee etwas abseits des cis-männlichen, hetero-weißen Dominanz aufzubauen. Sie waren müde von der fehlenden offenen Armen einer Community, die es neuen Personen schwer machte, sich in ihrer eigenen Musikalität finden, ausprobieren zu können. “Es hatte immer einen Beigeschmack von ‘Du musst schon irgendwie einen gewissen musikalischen Standard erfüllen und den auch laut allen ins Gesicht schreien, damit du irgendwie einen kleinen Zentimeter Raum kriegst.’ Es gab keine Einladung Raum einzunehmen, es gab immer diese Schwelle, über die man sich selbst schubsen musste, anstatt dass einem die Hand gegeben wird”, sagt Naima über die Barrieren innerhalb der Jam Sessions, über die damit einhergehende Isolierung an jener Stelle, an der eigentlich Vernetzung entstehen sollte.

Sie verinnerlichten den Trugschluss als Musiker*innen, die schon lange aktiv waren oder studierten, dass es wohl noch Zeit brauche, dass sie einfach noch nicht etabliert genug seien. Bis sie merkten, dass die Männer um sie herum, die unter ihrem eigenen Skill-Level lagen, fast automatisch auf Bühnen und in Collaborations landeten. Sie verstanden, dass sie nicht Teil von etwas waren – darin spiegelt sich ein System, welches marginalisierte Gruppen stets an den Rand positioniert, sie in Nischen drängt, obwohl der Bedarf für mehr Platz existiert. Die beiden beschreiben zwar eine Verlagerung der Werte, dass Institutionen die Sehnsucht nach Repräsentation wahrnehmen, aber sie hinterfragen, wie tief dies wirklich greift. “Es besteht ein Interesse an Diversität, aber leider nicht nur aus Moral, sondern auch, weil Förderrichtlinien einfach inzwischen klare Statistiken fordern, die Diversität widerspiegeln. Das Einladen von FLINTA* Artists wird als Stempel genommen, während die unterliegenden Strukturen überhaupt nicht divers sind”, erklärt Mia. “Das macht CIGGGY BREAK für uns auch so wertvoll – nicht bloß das Line-Up zeigt FLINTA* und BIPoC, sondern es ist auch im Team repräsentiert.”
Doch der Rückzug in die Nische hat auch andere politische Gründe. Naima betrachtet den Aufschwung des Rechten, des Konservativen als polarisierend, sodass sich Lebensrealitäten immer weiter voneinander abgrenzen. CIGGGY BREAK ist deshalb ein Versuch, “dass wir uns in unserer Community erst einmal erlauben, uns zu finden und uns auch immer wieder vor Augen führen, uns gibt es in rohen Mengen. Wir stellen die Hälfte der Weltbevölkerung dar.” Zu Beginn des Kollektivs gab es lange Diskussionen, inwiefern es Sinn ergibt den Raum exklusiv zu halten, kein cis-männliches Publikum einzuladen. “Unsere persönlichen Erfahrungen machten jedoch klar, dass wir einfach leider überhaupt noch nicht da sind, wo ein gemeinsamer Raum für uns irgendeine Art von Sicherheit garantieren kann. Weil einfach die Menschen, die diese Arbeit dafür wirklich benötigen, nicht die FLINTA*s sind – cis-männliche Musiker müssen sich erst mit den Dynamiken auseinandersetzen, wie sie Gewalt in Jam-Sessions reproduzieren.” Mia führt daraufhin den Zwiespalt aus, dass diese Bildungsarbeit zwar auf beiden Seiten stattfinden muss, aber die Kapazitäten und der Fokus gerade darin liegt, sich unter FLINTA*s gegenseitig zu stützen. “Wir sehen auch eine Aufgabe darin Menschen zu erklären, was unser Projekt ist, was unsere Intention ist, um dann schlussendlich gesellschaftlich auch irgendwo uns wieder anzunähern, aber es muss von beiden Enden passieren und wir werden nicht immer die Ersten sein, die den Impuls geben.”
„Aber alles, was Widerstand nährt, ist Hoffnung und Liebe. Es ist nicht der Hass gegen alles, was passiert ist. Es ist zu sehen, dass es uns allen passiert, und sich gemeinsam den Raum zu nehmen, das zu fühlen und zu träumen von einer Zeit, in der es nicht so ist.”

“Was dabei wichtig ist zu sagen: Wir arbeiten von innen nach außen. Wir sind selbst nicht verschont vom Reproduzieren der Strukturen, die wir eingeprägt kriegen in diesem System.”, merkt Naima an dieser Stelle an. Sie sind sich bewusst, dass es sexistisches und rassistisches Gedankengut in jedem öffentlich zugänglichen Raum geben wird. Jedoch besteht der Unterschied darin, dass sie Verantwortung übernehmen und einen Rahmen schaffen wollen, der Aufarbeitung einlädt. “Deshalb nehmen wir uns die Zeit, erst einmal andere Strukturen aufzubauen, in denen wir gemeinsam lernen und verlernen sowie unsere Stimme als Community finden. Denn leider müssen wir anfangen einheitlich in einem Chor zu chanten, damit genau diese weißen hetero-cis-Männer Spots uns überhaupt zuhören.” CIGGGY BREAK hat ihnen nochmals vor Augen geführt, dass sie sich selbst sichtbar machen müssen, da es niemand anderes für sie tut. Sie merkten direkt, wie sich die organisatorische Arbeit, die in anderen Jam Sessions kaum gesehen und wertgeschätzt wurde, hier plötzlich Resonanz hervorbrachte – in ihnen und um sie herum. “Wir haben als Team gemerkt: Wir können uns als FLINTA* professionalisieren, wir können in Rollen schlüpfen, von denen wir nicht wussten, dass wir es schaffen, sie zu erfüllen. Es beflügelt uns so zu wissen, dass alle Ressourcen, die wir reingeben, nicht verschleudern, sondern in einen nährstoffreichen Boden fließen.” Das richtige Umfeld aus gleichgesinnten Menschen zeigt ihnen, dass gemeinsam viel veränderbar ist, ihr Netzwerk wächst und wächst.
Allein ihr erstes Event verstrickte ihre Hausband mit vielen anderen Künstler*innen, Instrumentalist*innen trafen auf Sänger*innen, um zu kollaborieren, sich gegenseitig zu stützen und inspirieren. “Wenn man sich dort umguckt, sieht man so viele süße Gesichterchen, die lächeln, die sich trauen, auch wenn sie noch nie zuvor auf einer Bühne waren”, beginnt Naima die Atmosphäre zu beschreiben und Mia nickt. “Man kann sich verletzlich machen und das wird gehalten, dieser Ort wird gehalten und wertgeschätzt.” Entstanden aus einem dystopischen Zustand realisiert CIGGGY BREAK so eine Vorstellung, wie die Musikszene anders funktionieren kann. Die beiden beschreiben es als einen Organismus, welcher der lebendige Beweis dafür ist, dass eine Umgestaltung der Strukturen möglich ist und nicht bloße Träumerei. “Leute, die sagen, Hoffen und Träumen sei realitätsfern, haben glaube ich einfach Angst vor Systemkritik, davor dass das System gefährlich oder sogar abgeschafft werden kann. Aber alles, was Widerstand nährt, ist Hoffnung und Liebe. Es ist nicht der Hass gegen alles, was passiert ist. Es ist zu sehen, dass es uns allen passiert, und sich gemeinsam den Raum zu nehmen, das zu fühlen und zu träumen von einer Zeit, in der es nicht so ist.”


„Wer sind wir, wenn wir uns selbst zuhören, aber gleichzeitig einander zuhören können? Was entsteht dann eigentlich?„
Ein Werkzeug in jenem Widerstand stellt Musik dar, wie das Kollektiv auch innerhalb von Kurzinterviews mit ihren Artists herausarbeitet, die so nicht nur soundlich eine Stimme bekommen. Sie verbinde Ethos mit einer politischen Motivation, kommuniziert durch eine universelle Sprache. “Man will mit Widerstand erreichen, dass es anfängt so stark in Leuten zu resonieren bis sie realisieren, dass es eine kollektive Bewegung geben muss. Und was bringt eine große Schar an Menschen in Bewegung? Das ist und war schon immer Musik”, sagt Naima treffend. “Wir haben einfach alle verschiedene Arten zu lernen und uns von unserer Umwelt prägen zu lassen. Und für mich persönlich haben Lyrics oder die Repräsentation von Menschen in bestimmten Bands auch immer etwas mit meiner Wertvorstellung getan”, erzählt Mia über den Konsum der Kunst. Das Kollektiv bietet nun eine neue Form des musikalischen Widerstandes. “So lange kannten wir uns nicht und hatten trotzdem eine ähnliche Vision davon, wie dieses Projekt stattfinden muss. Wir haben uns nun erlaubt, an diese Vision zu glauben, sie fassbar zu machen. Das ist was wir gerade in die Welt hinaus hallen – das Bedürfnis nach diesen Räumen wird von so vielen Menschen schon geteilt und jetzt wurde es das erste Mal in Klang umgewandelt.”
Dabei verdrahten ihre Jam Sessions den Antrieb nach Veränderung mit Kultur als Rückzugsort innerhalb einer gruseligen Welt. “Alle lieben es, auf Events zu gehen, alle lieben sich abzulenken, zu tanzen und Leichtigkeit zu spüren”, beginnt Naima zu erläutern. “Wie können wir diese Leute, die eigentlich in ihrem Herzen an dieselben Dinge glauben, dazu bringen, hinzuhören? Wir laden sie ein zu einer Sache, wo sie gerne hinkommen wollen. Diese Plattform kann man nutzen, um mehr Menschen zu erreichen und ein politisches Bewusstsein zu schaffen.” Dabei existiert ein Verständnis dafür, dass Kämpfe intersektional verbunden sind und nicht voneinander getrennt werden können. So fließt das Geld, was sie bei den Veranstaltungen einnehmen, dabei nicht nur in die Bezahlung der Künstler*innen, sondern auch in Spenden an unterdrückte Menschen wie in Palästina. Im Gespräch geht es offen um Finanzen, denn sie wissen beide, dass Geld als Mittel notwendig bleibt – gerade in Zeiten von Kürzungen im kulturellen Leben in Berlin. Nachhaltige Strukturen sollen hier nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch finanziell aufgebaut werden.
“Wir wollen FLINTA* dazu ermutigen weiterzumachen, weiter in cis-dominierten Szenen zu arbeiten, weiterhin in diesen Räumen zu kämpfen, weil sie wissen, dass CIGGGY BREAK ihnen den Rücken stärkt.” So sehen sie die Verantwortung des Kollektivs auch für die Zukunft. Es ist Sprungbrett, Netzwerk und Ort des Auffangens zugleich. “Es geht darum, diesen extrem schweren Weg leichter zu machen für unsere Communities. Dass es irgendwann einer der ersten Anlaufpunkte sein kann, an dem man sich als anstrebende FLINTA* und BIPoC Newcomer*in wendet. Dass die ersten Prägungen in der Musikszene, die einen am meisten formen, in einem Rahmen passieren können, der vorsichtig, unterstützend, zelebrierend ist.” So sollen Jam Sessions wieder etwas werden können, das Platz zum Verbinden, sich Ausdrücken bietet – nicht abseits aber losgelöster von gesellschaftlichen Hierarchien. “Es sind die Momente, in denen man sich selbst und anderen erlaubt anzukommen, in denen eine spürbare Energie durch alle kursiert. Ein Gefühl soll reaktiviert werden: Wer sind wir, wenn wir uns selbst zuhören, aber gleichzeitig einander zuhören können? Was entsteht dann eigentlich?”