Das Mädchen mit den Messerhänden: Ulla Suspekt über Humor, ihre EP „U“ und Aufarbeitung innerhalb der Musikszene

Alle Fotos im Beitrag: Lukas Pürmayr

Warum fällt es so schwer problematisches Verhalten in unserem, gerade künstlerischen, Umfeld anzusprechen? Das und vieles mehr fragt sich die Nürnberger Musikerin Ulla Suspekt in ihrem ersten Release. Die EP „U“ bewegt sich spielerisch zwischen direkter Punkattitüde und verhallten Synthies, aber stillstehen tut sie nie – ein Gespräch mit Picky.

In langen Nächten, auf noch längeren Wegen nach Hause schimmert es in der Ferne. Wie ein Leuchtturm in der Dunkelheit steht es da, grellweiß auf blauem Untergrund. Ein Buchstabe, der verspricht, dass man immer irgendwo ankommen wird. Doch dieses „U“ trägt seit Ende September etwas mehr Bedeutung – so hofft Ulla Suspekt. Das Cover ihres Debüts ziert eben dieses Bild und dahinter steckt eine Strategie. „Das Gehirn ist ja scheinbar so aufgebaut, dass es gerne alte Ideen mit neuen verknüpft und sich dadurch der Speicherungsprozess besser verdauen lässt. Also habe ich überlegt, welchem Logo man teils jeden Tag begegnet und dann vielleicht an mich sowie die EP denken könnte“, erzählt die Musikerin. Der Aufdruck ihres T-Shirts zeigt ebenfalls ein großes „U“, auf ihrem Kopf sitzt eine Kappe mit dem Audi-Emblem. Sie unterstreicht, wie absurd es eigentlich ist sich Logos aus dem Alltag anzueignen und freiwillig Werbung zu tragen. Ein Trend, der schon in den Achtzigern zu NDW-Zeiten aufkam.

Wenn man sich das bisherige Werk von Ulla ansieht, denkt man tatsächlich schnell an die Neue Deutsche Welle und deren Experimentierfreudigkeit. Bei ihrem Auftritt beim Nürnberg Pop Festival begann sie ihr Set mit einem mehrminütigen Intro, welches aus Bassgitarrenspiel mithilfe einer Leuchtröhre bestand. Wer genau also ist Ulla Suspekt? „Ich studiere gerade Freie Kunst an der AdBK Nürnberg und mache parallel eine musikalische Ausbildung. Mit beispielsweise Soundperformances auf der Bühne versuche ich diese Dinge zu einem Projekt zu machen.“ Der Zwang das Schaffen in eine Schublade, ein Genre stecken zu müssen, stört die Künstlerin, wie sie im Gespräch erzählt. Insbesondere die eigene Musik könne man oft am schwersten definieren. Trotzdem interessiere ich mich für all die abstrakte Elektronik im 80er-Jahre-Stil und frage nach dem Klang, den sie mit ihrem Debüt einfangen möchte. “Ich habe mich viel mit den Synthesizern ausprobiert, die zuhause in meinem Home Studio sind. Es kommen mehrere Samples aus Computerspielen vor, was ich gut fand, da sie den Songs einen filmischen Charakter verleihen. Vielleicht checkt man das nicht direkt, weil es durch das echte Schlagzeug weniger elektronisch rüberkommt, aber am Ende ist es eine Mischung.”

“Humor spielt für mich eine wichtige Rolle, denn ich denke, dass es Unangenehmes eventuell zugänglicher macht.”

Ulla Suspekt zur Relevanz von Humor in der Musik

Die Musik, die bei Ulla Suspekt während der Entstehung der EP lief, zeigt sich ebenfalls durchmischt. Das erstreckt sich von Jazz Standards, die sie wegen ihrer Ausbildung am Bass können muss, über ihre Lieblingsgruppe “The Garden” bis zu 8-Bit-Sounds. Im Hinterkopf stecken auch stets all die Punkbands, die sie seit ihrer Kindheit begleiten. Wie diese spricht sie in ihren Texten Unbequemes, Verschwiegenes geradeheraus an – so zeigt sie in „Peter The Woman Beater“ problematisches Verhalten von Personen innerhalb der Szene auf. Fälle der letzten Zeit wie Rammstein sind ernüchternd dafür, dass sogar ein Anprangern nicht auf Dauer Konsequenzen nach sich zieht. Welchen Umgang bräuchten wir nun in der Musikbranche? “Ein Aufarbeiten. Gerade wenn es um Situationen innerhalb von Freund*innenkreisen geht, sollten Menschen schwierige Themen ansprechen können. Mich nervt, dass in künstlerischen Kontexten, bei Veranstaltungen, immer noch unangenehme Konversationen weggelassen werden. Nach dem Release des Songs haben mich dann Leute angeschrieben, die meinten: ‘Ich kann total relaten, da ich viele Freund*innen verloren habe, die mir nicht glauben wollten, als ich mich gegen einen bekannten Rapper als übergriffig ausgesprochen habe.’ Ich wünsche mir, dass sich das ändert.”, erzählt sie. Trotz der ernsten Thematik klingt der Song aber nicht unbedingt düster – und das hat auch Gründe.

“Humor spielt für mich eine wichtige Rolle, denn ich denke, dass es Unangenehmes eventuell zugänglicher macht. Im Fall von ‘Peter The Woman Beater’ sollte der pseudo-fröhliche Sound aber auch unterstreichen, wie einfach alle oft noch total cool mit der Täterperson sind. Die textliche Ebene ist eigentlich sehr hart, während die musikalische Ebene absichtlich glücklich klingt, da innerhalb der Musikindustrie gern so getan wird, als wäre alles in Ordnung.” Wir sprechen weiter über Probleme der Industrie. Ich erinnere mich an ein Interview mit Gudrun Gut, in dem sie retrospektiv über ihr Schaffen in den Achtzigern sagt, dass Frauen zwar Bewegungen wie die Neue Deutsche Welle stark mitformten, aber am Punkt der Professionalisierung meist auf der Strecke blieben. Dreißig Jahre später scheint diese Kritik immer noch relevant. “Hier in Nürnberg gibt es voll viele Kollektive, bei deren Veranstaltungen genauso FLINTA* mithelfen. Dort halten sie sich aber oft zurück, wenn es darum geht, in der Öffentlichkeit zu stehen, da man sich denkt: ‘Wenn ich etwas mache, muss es hundertprozentig handfest und gut sein, sonst werde ich nicht ernst genommen.‘ Das fühle ich auch, dass ich nichts veröffentliche, was nicht komplett technisch einwandfrei ist.”

Auf “U” wird spürbar, wie durchdacht die Songs sind, wie jeder Ton seinen Platz gefunden hat. Dabei hebt sich der Opener “Mädchen mit Messerhänden” mit seinem schon fast verträumten Sound vom Rest ab – der Text wiederum behandelt den Konflikt, in welchem man aus Angst vor Verletzung Nähe schwer zulassen kann. “Nach schlechten Erfahrungen, nach einer toxischen Beziehung, ist Selbstschutz oft eine typische Reaktion, wenn man sich neu verliebt. Die Messerhände stehen für Schutz und vermeintlicherweise für Selfcare, aber in dem Lied soll klar werden, dass es nicht der richtige Weg ist, um mit jemandem eine Bindung aufzubauen.”, führt Ulla aus. Mit Zeilen wie ‘Meine Hände sind Knives / Aber ich find dich nice’ verpackt sie auch hier unangesprochene Dinge wie Verletzlichkeit in Humor – ein Balanceakt, der sich durch ihre erste EP zieht und diese auszeichnet. Wenn man Gudrun Guts Band “Malaria!” schätzt, wird man sich in der schrägen Klangwelt von Ulla Suspekt wiederfinden. Wer weiß, vielleicht schleicht sich dann bei jedem Anblick eines strahlenden U-Bahn-Zeichens ein neuer Ohrwurm ein.

Ulla Suspekts Debüt-EP “U” ist am 29. September 2023 erschienen und hier könnt ihr direkt hineinhören: