Vielseitigkeit und Verletzlichsein: Amilli im Gespräch zum intimen Debüt „SOAMI“

Amilli (Alle Bilder im Beitrag: Niluh Barendt)

Innerhalb der letzten Jahre hat eine Stimme in der deutschen Szene begonnen aufzublitzen, die mit ihrem samtweichem R’n’B mehr an ferne Großstadtlichter erinnert: Amilli. Nun hat sie endlich ihr Debütalbum „SOAMI“ veröffentlicht, mit welchem sie neue, schillernde Facetten von sich zeigt, die man so noch nicht kannte. Ich habe sie getroffen, um über eben diese Facetten, die damit einhergehende Intimität und das Verbinden durch Musik zu sprechen.

Wenn man Musiker*innen danach fragt, wie sie zu ihrer Kunst gefunden haben, werden oft Geschichten aus der Kindheit ausgepackt, von Träumen erzählt, die seit Teenage-Jahren existieren. Bei Amilli war das alles ein bisschen anders. Manchmal muss man erst über Möglichkeiten stolpern, die man vorher noch nie in Betracht gezogen hat. Manchmal kreuzen sich zufällig Wege von Menschen, die das Leben nachhaltig verändern sollen. Seit die Künstlerin aus Bochum vor einem halben Jahrzehnt mit ihrem Produzenten Leo das Songschreiben für sich entdeckte, ist viel passiert. Jetzt macht sie mit dem Debütalbum den nächsten großen Schritt, aber bleibt stets am Boden. Als ich mich mit ihr vor ein paar Wochen unterhielt, wirkte sie trotz Vorfreude entspannt und geerdet.

Nun ist „SOAMI“ draußen in der Welt, im Sonnenlicht glitzern alle Ecken und Kanten etwas anders. Da herrscht eine neue Vielseitigkeit in den Songs, die zeigt, wie sehr Amilli sich mit jedem einzelnen ausprobiert hat – erfrischend, aber auch mutig für ein Debüt. Wie war es wohl für sie, sich teils weiter weg vom ihrem früheren Sound zu bewegen? „Ich glaube, ich habe versucht breit zu denken. Ich hatte Bock einen Song zu machen, der ein bisschen rap-y ist, ich hatte Bock auf Popsongs – aber mir war trotzdem wichtig, dass alles zusammenpasst. Und es ist auch cool mit dem ersten Album die eigene Range zu zeigen.“ Trotz dem Willen nach Experimenten besingt sie im Titelsong „SOAMI“ den Kampf gegen Perfektionismus. Viele, die kreativ tätig sind, kennen wohl die Gedanken, die man sich oft selbst auferlegt. Ich frage mich, welche Wege sie gefunden hat um mit diesem Druck besser umzugehen und sie erzählt, wie ihre Intention hinter dem Kreieren stets der Spaß daran bleibt. Im Prozess denkt sie nicht zu viel an andere, was wem gefallen könnte. „Mir hat auch immer geholfen, sich feste Zeiten für die Musik zu nehmen und dann wieder Abstand davon zu haben. Man gerät sonst so schnell in eine Spirale, in der man alles viel zu sehr überdenkt. Es war wichtig, dass ich zwischendurch Pausen von den Songs hatte, um sie später mit frischen Ohren zu hören.“

Im Video zum selben Lied sitzt Amilli vor einer rosigen Tapete, die sich als in der Natur stehende Wand entpuppt. Ich interpretierte das Wegtragen dieser Wand als Befreiung von einengenden Vorstellungen, die eigentlich gar nicht so real sind. Anscheinend habe ich mir aber zu sehr einen Kopf gemacht – ihr Team und sie kamen durch Zeitdruck kaum zu einer metaphorischen Ebene. „Der erste Gedanke war einfach nur: Das sieht bestimmt cool aus. (lacht) Es war eher eine visuelle Idee, aber wenn man so drüber nachdenkt, passt es irgendwie zum Song.“ Und da sitzt sie nun am Ende allein, inmitten einer grünen Landschaft. Ein Teil des Albums entstand auch zurückgezogen auf einer Hütte im Wald, aber trotzdem klingt es mehr nach der Kulisse von weit entfernten Großstädten. Mittlerweile hat die Künstlerin vermehrt internationale Konzerte gespielt. Ist es etwas wonach sie sich sehnt, in die Musikszenen außerhalb Deutschlands einzutauchen? „Absolut. Ich glaube, dass es super inspirierend sein kann aus seiner Bubble herauszukommen. Ich habe mit ‚SOAMI‘ sehr mein Ding gemacht – das ist auch gut und bewusst so, aber jetzt bekomme ich Lust, das was ich mir an Vision erarbeitet habe mit anderen zu teilen, von anderen zu lernen. Genau dafür möchte ich auch ins Ausland.“

Ihr Ding zu machen hieß im Kontext von „SOAMI“ ebenfalls mehr Persönliches und innere Gefühle zu thematisieren, im Gegensatz zu früheren Werken. Musik kann ein Hilfsmittel im Verarbeitungsprozess sein, jedoch ist es nicht einfach, sich dadurch einem Publikum zu öffnen, tiefer in sich blicken zu lassen. „Es hat sich sehr natürlich ergeben, dass ich das Schreiben als Selbsttherapie benutzt habe. Die Songs gewinnen so noch viel mehr an Bedeutung für einen selbst: Wenn ich sie höre, sehe ich direkt mein früheres Ich vor mir. Trotzdem gebe ich nicht zu viel preis. Einerseits, weil es scary sein kann, andererseits finde ich es toll, wenn es noch Interpretationsspielraum gibt.“ Als ich mich in Vorbereitung auf das Gespräch durch Amillis Diskografie gehört hatte, entdeckte ich „Into You“ wieder. Mit dem Lied verband ich einen Sommer vor vielen Jahren und direkt mit dem ersten Ton konnte ich mich genau in diese Zeit zurückversetzen. Träge Tage voller Hitze, eine zufällige Berührung zweier Hände. Es muss ein surreales Gefühl sein, dass Personen so viele verschiedene Momente, Interpretationen mit dem verbinden, was man aus der eigenen Situation heraus geschrieben hat. Eine Unmenge an Geschichten, die niemals alle erzählt werden können.

„Was man in seinem kleinen Kämmerchen so macht, woran man oft zweifelt und sich seinen Kopf zerbricht, das bedeutet dann einfach jemandem etwas.“

Amilli über die verbindende Kraft von Musik

„Immer wenn ich mit Menschen spreche, die dann sagen ‚Hey, ich höre voll gern diesen Song wenn ich das und das mache‘, dann bin ich innerlich so… Wie krass! Echte Menschen vor Auge zu haben, die diese Musik hören, ist für mich das Schönste. Was man in seinem kleinen Kämmerchen so macht, woran man oft zweifelt und sich seinen Kopf zerbricht, das bedeutet dann einfach jemandem etwas.“ In einem anderen Song des Albums, „My Window“, werden sich wahrscheinlich auch zukünftig Menschen, und gerade FLINTA* Personen, wiederfinden. Der Text thematisiert auf sehr persönlicher Ebene Amillis Erfahrungen als Frau in einer patriarchalen Welt und trotzdem sprichst sie Sätze aus, die viele in sich tragen. Gerade der Refrain ist in Forderungen formuliert – wen hofft sie damit zu erreichen? „Es soll mehr ein Ausdruck von Frust sein, dass ich zum Beispiel abends nicht allein über die Straße laufen kann ohne gecatcalled zu werden. Im Grunde richtet es sich an alle, natürlich vor allem an Männer, aber ersteinmal ist es auch etwas, was ich einfach rauslassen musste.“

Auf meine Frage hin, ob es noch etwas gibt, was ihr auf dem Herzen liegt, verneint sie. Alles ist herausgelassen, in glänzende Töne eingewickelt und in das komprimiert, was jetzt „SOAMI“ heißt. Der Titel trifft es wirklich: Amilli zeigt sich von vielen Seiten, die vorher nicht sichtbar waren, die ihre künstlerische Essenz spiegeln. Wenn man ein solches Album hört, ist man froh um die Zufälle im Leben, die manche Menschen irgendwann zum Musikmachen bewegen.

Hier könnt ihr euch in die Platte hineinhören: