Foto: Markus Alexander Voigt
Lange ist es her, dass Der Ringer mit ihrem kühlen, düsteren Sound die Szene zum Aufhorchen gebracht haben. Jetzt tritt die Gruppe aus Hamburg mit einem neuen Album wieder ans Licht, das abwechslungsreicher nicht sein könnte. „XP“ ist das Ergebnis langer Zurückgezogenheit und konstantem Wandel. Ich habe mich daraufhin mit Sänger Jannik und Gittarist Jakob getroffen, um über die Entstehung zu reden.
Für das Interview mit der Band suche ich ein altes Café am Frankfurter Tor heraus. Hier kostet der Kaffee noch unter drei Euro, es sind Stockfotos von dampfenden Tassen auf der Karte abgedruckt und die Einrichtung hat sich wahrscheinlich seit der Wende nicht mehr verändert – alles wirkt wie aus der Zeit gefallen. Wie ein Stück 80er Jahre inmitten der modernen Großstadt. Dieses Bild passt eigentlich zu Der Ringer in ihren Anfangszügen. Inspiriert von Post-Punk und Futurismus schuf die Gruppe einen ganz eigenen, elektrisierenden Klang, der seiner Zeit voraus war.
Nun, eine Pandemie und lange Auszeit später, erscheinen sie wieder auf der Bildfläche mit einem neuen Album. Schon die zweite Single „No Fear“ zeigte, dass eine andere Richtung eingeschlugen wurde, wie ich im Review dazu feststellte. Weg von der digitalen Zukunft voller Möglichkeiten, hin zur Postapokalypse. Woher kam nun diese Endzeitstimmung? „Nach fünf Jahren Albumentstehung mit diversen Hürden gab es ein Gefühl der Erschöpfung. Alles liegt schon irgendwie in Schutt und Asche während man versucht etwas daraus zu schöpfen. In dem Sinne markiert es das Ende einer Phase.“, meint Jannik. Die Thematik zieht sich durch das ganze Werk, wie Jakob fortführt. Man könne nicht einfach weitermachen und an etwas anknüpfen, manchmal müsse alles kaputtgehen damit daraus wieder etwas Neues entsteht. In der japanischen Kultur heißt das Kintsugi, eine Technik des Zusammensetzens zerbrochener Keramik mit Gold, was den Titel eines Song auf „XP“ inspirierte. Aber man findet auch Spuren des Digitalen wieder, wie schon der Titel verrät. Es geht um die Erfahrungspunkte, die man in Videospielen dazugewinnt und die ausladenden Finale der Songs könnten genau so während der Bekämpfung des Endgegners laufen.
Trotz dieser dystopischen Züge hat die Musik aber etwas sehr Hoffnungsvolles. Die Schwierigkeit ihrer Situation hätten die Künstler auch in ganz melancholische Songs verpacken können, im Stil des Post-Punks der Hamburger Schule, der sie zur Zeit der ersten Releases eingenommen hat. Das haben sie abgeschüttelt und nun vereint, was die Essenz ihrer verschiedenen Einflüsse bietet – sei es Metal oder Pop. „Auch mit dem letzten Album wollten wir schon woanders hin, aber hatten noch nicht die Tools dafür. Man ist halt eine Gruppe, also schreibt und experimentiert man zusammen im Proberaum. Jetzt haben wir uns getraut das Bandkonstrukt anders zu denken, fast komplette Demos auch erst allein zu machen.“ Der Ringer haben sich hier nicht nur in ihrer Vorgehensweise ausprobiert, sondern auch instrumental. Gerade mit dem Klavier, welches durch seinen klaren Klang eine Verletzlichkeit ausdrückt, die man so nicht von ihnen kannte. Janniks Stimme verzichtet ebenfalls zunehmend auf Verfremdung, es wird auf einmal viel mehr Nähe, Emotion zugelassen. „Einerseits fungierte Autotune als Stilmittel, aber natürlich auch als eine schöne Maskierung, hinter der man sich verstecken kann.“
Die Band ist nun darüber hinausgewachsen. „XP“ steckt voller Intimität und Theatralik, sanftes Piano trifft auf brachiale Gittarenriffs – die Höhen und Tiefen des Albums bezeichnen sie als fast manisch. „Mit uns wurde immer eine Unterkühltheit konnotiert, aber diese Maske haben wir jetzt mehr fallen gelassen. Es gibt nicht nur dich und deine Masken, sondern auch einfach ganz viele Versionen von dir, die sich verändern können. Du kannst dich verändern.“ Ein Sentiment, dass in den Songs immer wieder durchsickert und den Entstehungsprozess spiegelt. Die erste Single „Heart Of Darkness“ erschien 2019, die zweite erst kürzlich. Ein ungewöhnlicher Releaseplan. Trotz des großen Abstandes sind mir textliche Überschneidungen bei den Songs aufgefallen, die ich mit den beiden ergründen möchte. Im früher erschienenen Lied bittet Jannik noch darum, dass es heller werden soll damit er alles sieht, während er in „No Fear“ nun davon spricht, im Dunkeln sehen zu können. Wie kam dieser Perspektivwechsel? „Als das erste Album draußen war, gab es bei uns das große Verlangen nach Durchblick, danach einen neuen Weg zu finden. In den folgenden Jahren kam dann die Einsicht, dass es nicht immer hell und klar sein kann, man aber trotzdem weitergehen muss.“ Diese Antwort, tja, leuchtet ein.
In Zeiten von konstanten Veröffentlichungen und Playlisten, die nach spezifischen Moods sortiert sind, fragen wir uns auch, wie die Stimmungsschwankungen von einem Album wie „XP“ ankommen wird. Dabei bekommt gerade Spotify Kritik von den beiden ab. „Du hast diese Welt und neue Regeln geschaffen. Du stellst eigentlich nur die Plattform zur Verfügung und lebst von der Kunst anderer, aber diktierst, wie nun gearbeitet werden muss. Ein Gesamtkunstwerk wird dadurch seltener mit allen Höhen und Tiefen, allen schnellen und langsamen, lauten und anstrengenden Songs gehört.“ Trotzdem haben sie das Gefühl, dass das Album zu einem Zeitpunkt erscheint, an dem die Menschen offener für neue Arten von Sounds sind als vor ein paar Jahren. Beim Debüt „Soft Kill“ in 2017 wurde ihnen gesagt, dass sie mit der Post-Punk-Ästhetik zu früh dran wären, jetzt aber, wo diese prominent ist – Stichwort Neue Neue Deutsche Welle – bewegen sie sich wieder in andere musikalische Klangwelten. „Das ist glaube ich unser Fluch, ein positiver Fluch, dass wir immer weiter wollen.“, meint Jannik schulterzuckend und rührt in seinem Kaffee.
Der Inhalt meiner Tasse neigt sich währenddessen schon dem Ende zu. Die Fragen auf meinem Zettel auch. Nur noch der leere Platz am Ende jedem unserer Interviews muss noch gefüllt werden und ich frage die beiden, was ihnen noch auf dem Herzen liegt. Einerseits empfehlen sie, das Album einmal von vorne bis hinten durchzuhören, diese kleine Achterbahn, die sie sich ausgedacht haben, mitzunehmen. Andererseits unterstreichen sie die Nahbarkeit und Fluidität, die ihre Musik nun ausstrahlt. „Ich hoffe, dass es bei Menschen Anschluss findet, die gerade in ihrem Leben Veränderungen durchmachen. Dass sie sich darin gelesen fühlen und Trost finden. Für unsere Generation ist es wichtig zu verstehen: Entscheidungen müssen nicht endgültig sein, man muss nie aufhören sich zu verändern. Das kann sehr befreiend sein.“
Das zweite Album „XP“ von Der Ringer erscheint morgen, am 8.4., überall dort, wo es Musik gibt.