Fotocredits: Randy Kambodscha, Tereza Mundilova
Morgen ist es soweit: Mavi Phoenix kehrt mit seiner zweiten Platte „Marlon“ zurück. Viel Zeit, sein Debüt und eine Hormontherapie sind vorübergegangen seitdem sich der österreichische Künstler als transgender geoutet hat. Ich habe mich daraufhin mit ihm getroffen um über den Mann hinter der neuen Musik zu sprechen und was es heißt, den eigenen Findungsprozess so offen mit der Welt zu teilen.
Es ist ein erstaunlich heller Morgen Ende Januar, als ich mich auf den Weg mache. Das Wetter scheint zur Feier des Tages gnädig mit Berlin sein zu wollen. Ich lese mir in der U-Bahn noch einmal die Fragen durch, die ich Mavi Phoenix gleich stellen werde. Die Sonne blendet dabei ein bisschen. Mehrere Jahre sind nun schon verstrichen seit ich über seine Songs gestolpert und ab da nicht mehr losgekommen bin. Vielleicht weil ich lange in Österreich gelebt habe, vielleicht auch wegen dem offenen und damit sehr bestärkenden Umgang mit seiner Selbstfindung als trans* Person. Mit der Zeit konnte man als Zuhörer*in sehr gut miterleben, wie Marlon persönlich – und auch musikalisch – wuchs. Letzten Sommer erwähnte ich noch sein Debüt „Boys Toys“ in unserem Pride Special, in welchem man erkennen konnte, wie viel wohler er sich in seiner Identität fühlte. Und jetzt?
Jetzt sitzt er mir gegenüber, ein neues Album in der Hinterhand, und wirkt noch glücklicher mit sich selbst. Ich frage ihn, inwiefern der Nachfolger „Marlon“ an sein erstes Werk anschließt. „Boys Toys war für mich das Alter Ego. Auch der Titel der EP Young Prophet zeigt schon diese Selbstfindung. Ich merke im Nachhinein, dass ich immer versucht habe, jemand anderes zu sein. Und nun ist mit Marlon die Suche, glaube ich, zu Ende.“ Ein schöne letzte Station, finde ich. Seit dem Debüt sind neue Einflüsse hinzugekommen, er bewegt sich geschickt zwischen Genres – und auch seine Gesang ist ein anderer geworden. Wenn man eine Hormontherapie beginnt, kann das die Tonlage massiv verändern; etwas dass ich mir verunsichernd vorstelle, wenn der Job von der eigenen Stimme abhängt. „Ich habe mich willentlich in etwas hineingestürzt, was unbequem wird. Ich wusste, was ich mir hier aufgebaut hatte und das dann zu tun, war krass für mich – aber auch voll notwendig. Mittlerweile bin ich eineinhalb Jahre auf Testosteron. Natürlich hatte ich Angst damit meine Karriere zu gefährden, denn diese vorherige Person gibt es jetzt so nicht mehr, aber dann wiederum war es ja genau das, was ich wollte.“
So eine persönliche Veränderung kann aber auch neue Perspektiven in der Musik eröffnen. Beim Anhören von „Marlon“ fällt zum Beispiel auf, wie viel gitarrenlastiger die Songs sind als zuvor. Marlon fängt an zu erzählen, wie er während des Schreibprozesses das Instrument für sich entdeckte. Der Grund ist naheliegend: Mit seiner tieferen Stimme erreichte er nicht mehr die Töne, die er vorher treffen konnte und nutzte die E-Gitarre als Ersatz für das Verlorengegangene. Ich merke an, dass ich es spannend finde wie er das eher untypische Mittel in eine Stilrichtung wie Rap integriert und Genregrenzen aufbricht. Welche Musik ihn wohl dabei beeinflusst hat? „Während der Entstehung des Albums lief viel Oasis, Childish Gambino oder Rico Nasty. Von Hip-Hop über Pop bis Rock – und auch Indie. Diese Songs, die jemand lonely im eigenen Schlafzimmer komponiert hat, finde ich immer sehr inspirierend.“
Wir beginnen uns mit Songs im Speziellen auseinanderzusetzen. Gerade „Grass And The Sun“ überraschte mich sehr, als ich ihn zum ersten Mal hörte, da er so erfrischend anders war. Marlon fängt damit das Dilemma des Im-Moment-Lebens auf die sanfteste Weise ein. Doch an einer Zeile bleibe ich immer wieder hängen. „All that I felt was incomplete“ kommt wiederholt vor und ich frage mich, was es damit auf sich hat. „Das Lied ist ein magischer Song für mich, gerade da er sich so von dem unterscheidet, was ich vorher herausgebracht habe. Er hat schon immer in mir geschlummert und mir dann eröffnet, zu welcher Musik ich sonst fähig bin. Und die Lyrics spielen auf jeden Fall auf das Transsein an.“ Über Letzteres sprechen wir viel. Während des Outings vor ein paar Jahren teilte er seine Gefühle und Unsicherheiten offen mit, insbesondere wenn man an das „Bullet In My Heart“ Video denkt. Ob es rückblickend richtig für ihn war, die persönliche Entwicklung so öffentlich und sich selbst so verletzlich zu machen? „Man geht ja durch’s Leben und macht das, was sich im Moment richtig anfühlt und dort dachte ich, dass ich keine andere Wahl hätte. Ich habe es nicht mehr ausgehalten anders gesehen zu werden, wobei man das eh nicht kontrollieren kann. Es gibt immer noch genug Leute, die mich nie als Mann anerkennen werden und auch wenn das schlussendlich ihr Problem ist, wollte ich es damals nicht auf mir sitzen lassen. Aber retrospektiv traue ich mir zu sagen – Bisschen mehr Geduld von meiner Seite wäre nicht schlecht gewesen.“ Ich nicke verständnisvoll und füge hinzu wie, auch wenn die meisten denken was sie wollen, eine offene Kommunikation die Menschen etwas sensibler für die Thematik der Identitätsfindung macht.
Mittlerweile ist Marlon schon fortgeschritten in diesem Prozess, jedoch findet man auf Spotify noch alle Veröffentlichungen vor seiner Transition. Manche queeren Künstler*innen nehmen diese lieber aus dem Netz, da sie sich davon nicht mehr repräsentiert fühlen. Als ich ihn auf seinen Umgang mit der eigenen musikalischen Vergangenheit anspreche, zögert er ein bisschen. „Ich habe halt für mich entschieden, dass das ja alles ich bin, nur zu einer anderen Zeit. Jetzt bin ich der, der ich sein wollte und damals war es vielleicht okay, die zu sein, die ich war. Ich merke, wie ich noch mehr akzeptieren lernen muss, aber ich bewege mich immer weiter dorthin, dass ich mir nicht davon den Tag versauen lasse, wenn jemand mir alte Bilder schickt mit der Nachricht ‚Krass wie du damals aussahst‘. Get over it. Du warst auch vor fünf Jahren mal komplett anders. Jede*r verändert sich die ganze Zeit. Und bei mir ist es halt nun mal das Geschlecht.“
Eine eher problematische Metapher, die in diesem Kontext immer wieder auftaucht, auch in LGBTQ+ Kreisen, ist die des Im-Falschen-Körper-Geborenseins. Mich interessiert, wie Marlon dazu steht. „Ich finde das immer schade und auch unfair. Warum ist mein Körper falsch, nur weil er nicht cis ist? Zwar verstehe ich den Gedanken und man will ja auch einen anderen Körper, aber es geht einem glaube ich besser, wenn man es nicht so formuliert.“ So binär funktioniere Geschlechtsidentität auch nicht, werfe ich ein, es gäbe ja nicht „den anderen Körper“. Da verschwimmt viel zwischen dem, was männlich und was weiblich sein kann. Wir philosophieren weiter und weiter, irgendwann versuche ich wieder auf die Musik zu lenken. Denn Ende März soll Marlon auf Tour gehen, die ersten Liveshows nach der Transition. Er zeigt sich sehr vorfreudig und hofft auf Gnade von Seiten der Pandemie. Ich stimme zu und denke an all die verstaubenden Konzerttickets in meiner Schublade, die ich leichtgläubig für die nächsten Monate gekauft habe.
Schlussendlich gebe ich ihm die Möglichkeit, so wie am Ende jedes Interviews bei Picky, etwas loszuwerden, was ihm noch wichtig ist. Er entscheidet sich für einen Appell. „Geht raus, es ist ein schöner Tag, macht auf was ihr Bock habt und lasst euch nicht unterkriegen.“ Das nehme ich mir gleich zu Herzen, als ich wieder in die Sonne hinaustrete. In einem Café um die Ecke hole ich mir einen Kaffee, an dem ich mir meine Zunge fast verbrenne. Auf meinen Kopfhörern läuft „Grass And The Sun“.