Drangsal wächst im neuen Album „Exit Strategy“ über sich hinaus

Reviews sind wahrscheinlich immer etwas subjektiv. Das kann man eigentlich kaum verhindern, denn Musik ergreift einen oder sie tut es eben nicht. Genauso werden auch meine Worte über Drangsals „Exit Strategy“ sehr subjektiv sein. Einerseits, weil ich schon lange großer Drangsal Fan bin, andererseits ist es mir schier unvorstellbar, dass irgendjemand dieses Album nicht gewaltig gut findet. Nach den ersten zwei Alben „Harieschaim“ (2016) und „Zores“ (2018), vollendet der Herxheimer mit „Exit Strategy“ eine Trilogie der Entwicklung und des Wachsens, in der Musik und über sich hinaus.

Bild von Max vom Hofe

Direkt mit den ersten paar Tönen wird man als Hörer*in in die Weiten von Drangsals Gedanken entrissen. In „Escape Fantasy“ wird die kommende Exit Strategy wie ein Intro eingeleitet durch das Reflektieren der Vergangenheit. Der Gesang ist kraftvoll und stark. Gegen Ende wird der Song etwas lauter – wie beim Intro „Eine Geschichte“ vom Vorgängeralbum „Zores“. Danach bricht mit dem Titelsong „Exit Strategy“ alles zusammen. Die rockigen, Eurodance-mäßigen Vibes peitschen gegen die ständige Stille und Langeweile auf, die vielleicht auch gerade in dieser Zeit so präsent ist. Was wir hier zu hören bekommen, spiegelt musikalisch eine Art organisches Zusammenwachsen der Sounds von „Harieschaim“ und „Zores“ wider. Drangsal überwindet eigene musikalische Grenzen, probiert neue Dinge aus und es scheint zu funktionieren. Jeder einzelne Song dieses Albums ist rund, trotz der Weiterentwicklung typisch Drangsal.

„Ich bin so wie ich bin. Besser du nimmst das jetzt hin.“

Drangsal in „Ich bin nicht so schön wie du“

Nach den ersten beiden starken Songs folgen mehr oder weniger alte Bekannte. Zu „Mädchen sind die schönsten Jungs“, „Liedrian“ und „Urlaub von mir“ muss ich nicht viel sagen, da diese Songs bereits zuvor ausgekoppelt wurden. Dabei boykottiert Drangsal den „binären Komplott“, liefert mit „Liedrian“ meinen aggressiven neuen Lieblingssong und entführt in den so bitter nötigen Urlaub vom eigenen Selbst. Ein kleines Schmankerl für ewige Drangsal-Fans könnte der Song „Rot“ sein. Gefüllt ist der Song mit wunderschönen Drangsal’schen Binnenreimen und Zungenbrechern, die Drangsals Songwriting für mich so besonders machen. „Da klopft ein Beat in meinen Ohren. Ich tanz‘, doch fühle mich verloren. Jeden Tag ein bisschen mehr verdorben. Ich wünscht‘, ich wäre nie geboren.“ Tja, da klopft auch ein Beat in meinen Ohren. Denn eine Rohversion von „Rot“ gab es bereits vor ein paar Jahren mal in einer Radiosession zu hören und bereits da hab‘ ich mich in diesen Song verliebt. In „Ich bin nicht so schön wie du“ widmet Drangsal sich erneut dem Spiel mit der unoffensichtlichen Offensichtlichkeit und postuliert eine Hymne auf das Sein, so wie man ist. Im später noch folgenden „Benzoe“ kommt es schließlich zu einer Art Versöhnung: „Keine einzige Sekunde werde ich mehr vergeuden“.

„Ich dreh‘ mich ganz schnell wie ein Karussell, bis mich nichts mehr am Boden hält.“

Drangsal in „Karussell“

Ein Highlight von Exit Strategy: „Schnuckel“. Dort schlägt der ironische, schlagereske Drangsal wieder zu. Es ist ein wahrer Feelgood-Song, der mit dem Schwärmen nach einer unerreichbaren Person – der „Zuckerpuppe“ – spielt. Live funktioniert „Schnuckel“ übrigens sehr gut, besonders mit der tollen Mia Morgan zusammen (ein Duo, das ich gerne noch viel öfter sehen würde). Beendet wird dieses fantastische Album mit zwei sehr typischen Drangsal-Tracks. „Ein Lied geht nie kaputt“ fantasiert vom Ende aller Dinge, dessen Hoffnungsträger eben das unzerstörbare Lied ist. Drangsal schließt durch „Karussell“ schlussendlich mit einem lauten Knall. Der Song entwickelt sich von einer langsamen Ballade, durch einen wortwörtlichen Knall, in ein imposantes Orchester mit Chören, und endet in klaren Kirmes-Geräuschen. Drangsal ist angekommen. Die Exit Strategy ist geglückt.

Der Sound von „Exit Strategy“ ist laut, drängend und lässt einen neuen Drangsal erwachen. Die rockigen Gitarren zwischen den Pop- und Synthievibes, lassen „Harieschaim“ und „Zores“ hinter sich. Obwohl Drangsal in diesen Songs viel reflektiert, zurückschaut und auf der Suche nach sich selbst ist, wirkt er angekommen. Die „Oh Oh“-Chöre laden zum Mitsingen ein und er scheut sich nicht vor schlageresken Elemente – aber eben auf Max Gruber-Art. All das macht dieses Album zum stärksten Werk von Drangsal und ich möchte vorerst nur das hier hören. Bis zur Tour!

Beitragsbilder: Max vom Hofe