Zwischen Zukunft und Vergangenheit: Caspers „Alles war schön und nichts tat weh“

Foto: Chris Schwarz

Vergangenen Freitag war es endlich soweit: „ALLES WAR SCHÖN UND NICHTS TAT WEH“ durfte sich in die Diskografie von Casper einreihen. Picky Hannah ist übers Wochenende hinweg im Album versunken und hat ihre Gedanken dazu sortiert und aufgeschrieben. Das Ergebnis lest ihr hier.

Der Rapper aus dem Extertal “wollte immer jemand anders sein”, wie er auf dem Titeltrack seines neuen Albums “ALLES WAR SCHÖN UND NICHTS TAT WEH” rappt. Irgendwo zwischen “Hinterland” und “XOXO” besinnt sich Casper zurück auf den Sound seiner beiden erfolgreichsten Alben zurück, der nun mit Hilfe von Produzent Max Rieger (Die Nerven, All diese Gewalt) zukunftsweisend ausgetüftelt wurde. Sein neues Album ist noch größer gedacht, das hört und spürt man.

Casper weiß, wie man ein solches Album zu beginnen hat

Geradezu euphorisch-nachdenklich eröffnet Casper sein fünftes Soloalbum, orchestral eingeleitet durch Streicher, Klavier und Chor. Der Titeltrack gleicht einer Hymne. Einer Hymne über das Voranstolpern, über das Kaputtdenken der Dinge und über das Lossagen von all dem Ballast. Und zu allem Überfluss spricht er dabei allen Zerdenker*innen dieser Welt aus der Seele. Denn auch “Ich hab’ heute wieder dran gedacht, dass ich mir zu viel Gedanken mach’.” Geschickt bricht die E-Gitarre die nachdenkliche Stimmung der Strophen und leitet die Hook ein, die mindestens so episch ist, wie das Intro des Songs. Auf diesem Song zeigt sich Benjamin Griffey von seiner besten Seite.

Baut ihm ’ne Statue vorm Stadion!

Das Summen von Bienen, das Heimland Bee Orchestra, wie Casper unter einem Instagram-Post schreibt, leitet zu “LASS ES ROSEN FÜR MICH REGNEN” über. Gelinde ausgedrückt: Dieser Song steckt voller Überraschungen. Direkt ausgedrückt: ein erschlagend guter Rap-Track mit namhaften Features, einem hämmernden Beat und wieder epischem Charakter. Diesmal aber mehr so Stadion-like. “In diesem Song spürt man meine Liebe zur Rapmusik.”, sagt Ben selbst. Ja, das tut man. Wenn ein Song dazu prädestiniert ist eines Tages unter Flutlicht eine Casper-Show auf der Bielefelder Alm zu eröffnen, dann dieser hier.

Beflügelt flowt er über den Oldschool-igen Hiphop-Beat. Dass unter anderem Beat-Big-Brain Ahzumjot am Track mit geschraubt hat, ist unverkennbar. Zu Beginn des Songs und auch in der Hook schreit Vincent, der Sänger der Band Provinz, den Hörer*innen ins Ohr “Lass es Rosen für mich regnen!” Wie soll man ihm denn bei seiner vokalen Meisterleistung diesen Wunsch abschlagen? Von Caspers Seite hagelt es Punchlines und Referenzen, darunter nicht zuletzt die Line “Alles gut, bin entspannt / Im Haus am See, bitte ruf’ mich nicht an”, die auf Peter Fox’ “Haus am See” vom legendären “Stadtaffe”-Album anspielt. Am Ende des Songs säuselt keine geringere als Lena (Meyer-Landrut) nochmal die Hook. Andere Stimmfarbe, andere Melodieführung – für meinen Geschmack einfach ein bisschen zu gegensätzlich. Aber alleine um die lang anhaltenden öffentlichen Diskussionen über die gemeinsame Folge “Durch die Nacht” zu begraben, ist das Feature auf einer symbolischen Ebene schön. 

Frage der Zeit bis das alles hochgeht

Als drittes folgt “TNT” mit einem weiteren Bombenfeature: Tua. Der Song passt in das Gesamtkonzept des Albums wie die Faust aufs Auge. Präzise fasst Casper seine Gefühle bezüglich mentaler (Un-)Gesundheit zusammen. Dabei greift er die Overthinker-Problematik aus “ALLES WAR SCHÖN UND NICHTS TAT WEH” wieder auf, denn er hat “seit [er] denken kann, zu viel nachgedacht”. So fühlt sich dieser Track fast an wie eine energische und irgendwie auch frustrierte Fortsetzung des Titelsongs. Die Streicher im Hintergrund, die an das Intro von “AWSUNTW” erinnern, verstärken diesen Effekt.

Mit Parts voller sprachlicher Bilder versucht er in Worte zu fassen, was quasi nicht in Worte zu fassen ist: Stimmungsschwankungen von “Everest [bis] Marianengraben”, unreparierbare Leere, Verlustängste. Die Vollendung erreicht der Track nicht etwa durch die atmosphärischen Chöre im Hintergrund, sondern durch Tuas Kopfstimme in der Hook. Sein Gesang klingt mitgenommen, verzweifelt, hilflos. So bringt er ganz genau das auf den Punkt, was in Caspers Parts geschildert wird.

Hier kannst du dir die Live-Version des Songs anschauen:

Nerv der Zeit

Emotional aufreibend geht es weiter, denn es folgt “BILLIE JO” samt Prelude. Rohe, heruntergebrochene Klavierakkorde gepaart mit Interviewschnipseln versuchen die Hörer*innen darauf vorzubereiten, was kommt: Eine tragische Geschichte über einen Army-Captain, der seine Ehefrau und seine beiden Kinder erschießt, bevor er das Haus seiner Familie anzündet und Suizid begeht. Eine Geschichte, die auf Geschehnissen innerhalb Griffeys US-amerikanischer Familie beruht. Der Song offenbart seit letzter Woche traurigerweise eine noch größere Projektionsfläche: Die Ukraine ist dem Angriffskrieg Russlands ausgesetzt. Das Album wurde unleugbar in eine düstere Zeit hinein geboren.

Wie ein kalter Schauer läuft mir der Text vor diesem (neuen) Hintergrund den Rücken herunter. Auf bewundernswerte Art und Weise nutzt Casper Bilder und Metaphern, um so die Geschichte auf einem solchen textlichen Niveau zu erzählen, wie es nur wenige können. So steht zum Beispiel der “Affe […] aus Bagdad” in der Pre-Hook, ausgehend vom englischen Sprichwort “Monkey on one’s Back”, repräsentativ für die Drogensucht des Soldaten. Am Ende des Songs ist ein Ausschnitt eines Fernsehberichts über die Tragödie zu hören. Eine weibliche Stimme fasst die Geschehnisse zusammen und beendet den Beitrag mit den Worten “Two beautiful kids, a smiling wife, a nice home. All of what should have been a happy life.”

Die Vergessenen

Wer Caspers Album “XOXO” gehört hat, kennt “Die Vergessenen Pt. 1” und den zweiten bereits. “Der Druck steigt” und “Blut sehen” sind treibende, aggressiv klingende Abriss-Tracks. Mit “ZWIEBEL & METT (Die Vergessenen Pt. 3)” und “DAS BISSCHEN REGEN (Die Vergessenen Pt. 4)” wird dieses Muster gebrochen, die Reihe aber fortgesetzt.

Das Intro von “ZWIEBEL & METT” erinnert an Nirvanas “Heart-Shaped Box”. Hier erleben wir einen gesellschaftskritischen Casper, dessen beinahe sarkastischen Kommentare im Refrain von Chören untermalt werden, die sich mittlerweile klar als einer von vielen roten Fäden dieses genialen Albums herausstellen.

“Wo die Fahne weht fürs Vaterland, genäht und ‘Made in Pakistan’ / Erzählt man sich bei Rakı-Schnaps, wen man fickt / Nicht, wen man wählt, das bleibt privat, verdammt” 

Casper – ZWIEBEL & METT (Die Vergessenen Pt. 3)

“DAS BISSCHEN REGEN” ist konkreter, emotionaler und zynischer. Über einen von Drums und Klavier getragenen Beat erzählt Casper vom Hurrikan Katrina, der 2005 über New Orleans herzog. Mit der sich zuspitzenden Emotionalität in den Parts steigert sich auch das Instrumental. Zu Beginn des Songs spielt allein das Klavier, bedrückend und ominös. Dann kommt zum zweiten Part das Schlagzeug hinzu, geradezu erschlagend und drückend, wie die im Text beschriebenen Wassermassen. Streicher und Klavier begleiten den vierten Part. So spitzt sich auch instrumental die Lage zu, während sich die Kick des Schlagzeugs langsam wieder anbahnt. Und so fasst Casper eine der verheerendsten Naturkatastrophen und die Erfahrungen, die seine in New Orleans lebende Mutter machen musste, in Worte. Genauso gut sind die Zeilen aber auch auf die Klimakatastrophe im Allgemeinen anwendbar. 

Keine Verschnaufpause

Gefühlsaufreibend geht es auf “WO WARST DU?” weiter, einem Song über eine Beziehung, die so gar nicht funktioniert. Voller anfänglicher Hoffnung rappt Casper „‘Das wird unser Jahr’“, nur um später feststellen zu müssen, dass man sich immer weiter voneinander entfernt. So wird es schließlich “antarktisch kühl” und erinnert damit an seinen Song “Alaska” vom Album “XOXO”.

Caspers Moshpit-Hymne

Der wohl am heißesten ersehnte Track des Albums dürfte spätestens seit den Reaktionen der #catchcasper4-Gewinner*innen “GIB MIR GEFAHR” sein. Mit der Bekanntmachung des darauf vertretenen Feature-Gasts absolut verständlich: Felix Brummer. Für mich ist dieser Song die ultimative Schnittmenge aus Caspers Alben seit “XOXO”. Die Chöre noch vor dem ersten Part erinnern an “Hinterland”. Das E-Gitarren-Riff gleich zu Beginn samt der düster klingenden Sounds im Laufe des Songs rufen Erinnerungen an “Lang lebe der Tod” hervor. Und nicht zuletzt ist da dieses neue Gefühl, das mit “ALLES WAR SCHÖN UND NICHTS TAT WEH” einhergeht. Felix Part klingt wieder ganz nach alten Krafktlub-Songs und irgendwie gibt es nichts, was diesen Song perfekter machen könnte. Er macht Lust aufs “Jugend verschwenden” und Konzerte “inmitten der Menge”. Vom Spannungsbogen, der deutlich von den Drum-Einsätzen im Song geprägt ist, bis hin zu choralen Elementen und raffinierten Sounds markiert dieser Song einer von vielen musikalischen Höhepunkten auf diesem Album.

Das Ende: Euphorie und eine Ode an die Freundschaft

Abschließende triumphierende Euphorie versprüht “EUPHORIA”, auf dem Teute, der Sänger der Beatsteaks, die Hook singt – auf deutsch! Fanfarenartig kündigt sich der Song an und lässt vermuten dieses Casper-Album würde ein geradezu positives Ende nehmen. Gemeinsam mit dem Summen der Bienen aus dem Intro und Titeltrack, das wieder aufgegriffen wird, wäre dieser Song ein gelungenes, rundes Outro.

Das tatsächliche Outro bildet der siebenminütige Brecher “FABIAN”. Brecher ist im besten Sinne gemeint, sowohl thematisch als auch musikalisch ist dieser Song nämlich alles andere als leichte Kost. Instrumental unglaublich vielschichtig und dazu noch die herzergreifende Geschichte eines an Leukämie erkrankten Freundes. Beim Gänsehaut-verursachenden “Coming Home”-Outro des Songs sehe ich vor meinem inneren Auge schon jetzt die erhobenen Feuerzeuge auf den Konzerten. Und ganz zum Schluss sind sie da doch nochmal, die Bienen, und runden die Platte ab. Der Track ist sicherlich nicht der radiotauglichste und nicht der, den man mal eben zwischendurch hört. Aber das will und muss er auch gar nicht sein. 

Hier performt Casper „FABIAN“ zusammen mit dem sagenumwobenen Rundfunk Tanz Orchester Ehrenfeld:

Fazit

Casper zeigt uns auf diesem Album, dass er das Rappen ganz und gar nicht verlernt hat. Im Gegenteil: Seine musikalische und textliche Leistung ist beachtlicher denn je, was sicherlich auch an dem Team grandioser Musiker*innen liegt, die an diesem Album beteiligt waren. Neben Max Rieger, Ahzumjot und Drangsal sind das nämlich noch eine Reihe weiterer begabter Köpfe wie etwa Lisa Morgenstern oder Sam-Vance-Law gewesen. Benjamin Griffey zeigt sich auf diesem Album ganz genau so, wie wir ihn kennen und lieben – nur raffinierter und gewissermaßen ausgereifter. Zahlreiche Soundelemente erinnern an unerreichte Casper-Klassiker. Hochkarätige Feature-Gäste geben Songs das, was sie brauchen. Eine unglaubliche Bandbreite an Atmosphären, die sich beim Hören der Tracks wie eine Decke über einen legen. Eines hat Casper auf jeden Fall nicht verlernt: Texte schreiben, die mitten ins Herz und den Zeitgeist treffen.