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Zwischen Liebe und allem Blutigen: Panik Deluxe über Nahbarkeit, Inspiration und Elstern, die Gefühle stehlen

Panik Deluxe (Alle Bilder im Beitrag: @soft.as.snow)

Es ist kaum ein Jahr her, dass Lily Elektra aka. Panik Deluxe mit Texten, die wie offene Wunden wirken, und ihrem Dark-Wave Wellen schlug. Jetzt hat die österreichische Künstlerin die EP “I was an apple and I got peeled” veröffentlicht – im Gespräch mit Picky erzählt sie von animalischer Symbolik und Verletzlichkeit, wie ihr elektronischer Sound Kanten bekam sowie von der Qualität des Twilight Soundtracks.

Flackernde Bilder von Ruinen und Vögelschwärmen, ein Synthesizer, der sich in die Schädeldecke gräbt. Da umgibt etwas die Arbeit von Panik Deluxe, das nicht wie von dieser Welt wirkt. Vielleicht liegt es an der Intensität, die entsteht, wenn sie verschiedene düstere Klänge übereinander legt, vielleicht sind es die sich um Dystopie drehenden Texte. In den Visualisierungen ihrer Songs bewegt sie sich meist durch ein ungewisses Dunkel, wie ein Tier eingefangen in Nachtsichtkameras. Wir treffen uns auch zu einem Zeitpunkt, an dem es draußen schon längst nicht mehr hell ist. Beim Bestellen von etwas Koffeinhaltigem scheitert es jedoch an sprachlichen Unterschieden, wie eine Tasse Kaffee hier im Gegensatz zu Österreich bezeichnet wird. Panik Deluxe lebt und wirkt in Wien – wenn man die Musik betrachtet, die vor allem aus dieser Stadt fließt, fällt auch hier ihr Sound aus dem Raster. “Alles was mich musikalisch inspiriert, in dem was ich mache, kommt vor allem aus Deutschland und England. Deswegen fiel es mir am Anfang schwer etwas zu finden, zu dem ich passe. Support Shows für andere österreichische Acts zu spielen schien wie ein Ding der Unmöglichkeit.” Trotzdem sei man natürlich nicht losgelöst von dem Ort, der einen umgibt. “Es ist immer schwierig zu sagen, dass meine Heimat keinen Einfluss auf mein Schaffen hat, da ja die Erfahrungen, die man sammelt, direkt um einen herum stattfinden. Mein erstes Album habe ich in Irland geschrieben und sehr viel von diesem Regen, diesem düsteren Etwas dort habe ich dann mit nach Hause genommen und eingearbeitet.”

Die Musikerin heißt mit bürgerlichem Namen übrigens wirklich Lily Elektra, womit man die Suche nach einem Titel für das eigene Projekt eigentlich schon direkt beenden könnte. “Ich dachte damals, was wäre, wenn ich irgendwann keinen Sound mehr in diese Richtung machen will – mittlerweile bin ich mir aber sicherer, dass ich dabei bleibe. Der jetzige Name stammt jedoch daher, dass eine Freundin den Medizinaufnahmetest machte und ich sie kurz vor der Prüfung gefragt hatte, wie es ihr geht. Daraufhin hat sie bloß geantwortet ‘Ich hab’ Panik Deluxe’ und ich war so ‘Okay, das isses’.” Seitdem hat ihr zitternder Dark-Wave Ecken und Kanten bekommen, an der rauen Oberfläche ihres Klangs auf der Anfang November erschienenen EP kann man sich schon fast schneiden. “I was an apple and I got peeled” schreckt nicht zurück vor intensiven, überwältigenden Emotionen. Fällt es ihr leichter, jene durch ihre Lyrics oder das Musikalische herauszulassen? “Die meisten Gefühle passieren bei mir in der Musik und ich nutze die Texte eher, um das zu akzentuieren. Fast immer fängt es mit vier Takten an und sobald diese mehr werden, schreibe ich vielleicht mal ein paar Zeilen dazu. Daraus entsteht dann ein riesiger Schneeball, der sich irgendwann zu einem Song entwickelt.” Der soundliche Fokus ist direkt auf dem Opener der EP zu spüren, Lilys Stimme verheddert sich mit den kratzigen Tonspuren als wäre sie auch ein Instrument. “twigs” erzählt von einer destruktiven Beziehung und ich frage mich, warum wir manchmal so bereit sind, uns für Personen aufzuopfern, wie der Text es spiegelt.

„Cut me open / slice me up / consumed all of my trust for lunch“

Panik Deluxe – twigs

“Manchmal sabotiert man sich selbst damit anderen zu helfen, dann hält man seine eigenen Grenzen nicht ein. Ich glaube der Ursprung dessens ist vor allem Bewunderung für jemanden – was ja etwas Schönes sein kann, solche Menschen nahe zu haben, für die man so etwas tun würde, aber nicht bis zu dem Punkt, an dem man sich selbst hintergeht.” Diesen Punkt abzupassen ist nichts Einfaches, denn bis zu einem gewissen Grad gehören Kompromisse und Hingabe auch dazu. “twigs” treibt das ins Extreme, findet kannibalistische Ausdrücke für diese Gefühle als etwas Konsumierendes, voll Einnehmendes. Die Inspiration dafür mag überraschen. “Als der Song entstand, habe ich sehr intensiv Grey’s Anatomy geschaut – wirklich zehn Staffeln in kürzester Zeit. Damals hatte ich starke Schlafprobleme und musste immer irgendetwas laufen lassen. Diese Ambivalenz zwischen Liebe und allem Blutigen finde ich auch einfach spannend.” Kein Wunder, dass Lily einmal erwähnte, sie wäre als Panik Deluxe gerne auf dem Twilight Soundtrack vertreten. Wir beide sind uns hier einig: Trotz vielleicht fraglicher Qualität des Inhalts gibt es wenig besser kurartierte Musik als in jener Reihe. “In Irland habe ich mal ein Kinoseminar belegt.”, beginnt sie daraufhin sich zuückzuerinnern. “Als dort die Frage nach guten Soundtracks aufkam, hab’ ich mich getraut vor den ganzen Top-Filmstudent*innen ‘New Moon’ zu erwähnen und die Professorin hat mich sehr entsetzt angeschaut.” Diese Frau hat wohl noch nie die ersten Akkorde von Bon Ivers “Roslyn” vernommen, wie es scheint.

Neben blutigen Metaphern kommt auch immer wieder Animalisches vor, ihre Cover ziert mal ein Hase oder das verzerrte Antlitz eines Wolfs. Welche Bedeutung haben diese Darstellungen, gerade wenn sie Sätze wie “Tonight, I’ll bark and bite you” haucht? Tiere liebe sie über alles, wie sie erzählt. In diesem Sommer verbrachte sie beispielsweise drei Wochen im wilden Norwegen, um Elche zu beobachten. “Mit den Tieren hat das alles angefangen. Nachdem ich das Bild für mein erstes Album ‘without hope I am nothing’ entdeckt habe, sind die Songs erst mehr entstanden. Das Kunstwerk kommt von einer tollen Frau, die in England auf dem Land lebt und vor allem totes Wild fotografiert. Danach hat sich gar nicht die Frage gestellt, ob ich diese Symbolik weiter verwenden will.” Jedes Tier drückt für Lily etwas anderes aus. Was bei der ersten Platte der schwarze Hase war, sind nun ein Schwarm Vögel. Sie spricht von einer diebischen Elster, welche Gefühle stiehlt und wie sie die Geschichten innerhalb ihrer Musik weitersponn. Mit Aaron (@soft.as.snow), der ihre Visuals mitkreiert, begab sie sich dafür auch mehrmals zu einem Präparator mit einem Lager voller ausgestopfter Tiere. Eine schräge Erfahrung, meint sie.

“Vor jedem einzelnen Release bei dieser EP habe ich mich gefürchtet”, antwortet Lily dann auf meine Frage, wie sie es wahrnimmt, sich als Künstlerin nahbar zu machen. Mit Zeilen wie “I don’t have wounds, I am one” zeigt sie nicht nur buchstäblich ihre Verletzlichkeit. “Meine Worte sind viel direkter geworden. Bei Konzerten bin ich zwar auf der Bühne sehr bei mir, aber ich habe danach so schöne Resonanz gerade zu den Texten bekommen. Es bringt einen mit den Leuten näher zusammen und dann zu hören, dass sie sich darin auch wiederfinden können, ist etwas total Besonderes.” Musikalisch spürt man auch auf “I was an apple and I got peeled” den Post-Punk-Einfluss, aber die Klänge erscheinen noch brachialer, unverhersehbarer. Die Parallele zur momentanen Aufleben der NNDW ergibt sich hier nicht nur durch das Feature mit lauenburg. Was reizt sie daran, einen älteren Sound neu zu definieren? “Anfangs wollte ich schon stark versuchen, diesen 80ies Stil nachzuahmen und es hat für mich nicht funktioniert. Ich wusste auch einfach handwerklich nicht wie. In diesem Lernprozess habe ich mir dann das Produzieren selbst beigebracht und parallel viel Electronica gehört, sodass meine Musik sich natürlich daraus entwickelt hat. Bei der EP merkt man aber, wie sie sich nun von dem Vergangenen wegbewegt.” Während der Entstehung lief bei Panik Deluxe beispielsweise religiös Crystal Castles sowie Young Fathers und sie nennt das Erscheinen von Charlie XCXs “Von dutch” als prägenden Moment. Genauso fallen Namen von Bands wie Fontaines D.C. und Chalk – die Zeit in Irland hinterließ Spuren in der Schwere ihres Sounds.

Wenn man sich nun die Künstler*innen aus dem deutschsprachigen Raum ansieht, die in diesem Revival der 80er-Jahre vor allem präsent sind und auf großen Bühnen stehen, ist die Mehrheit immer noch männlich gelesen. Auch wenn sich die Spielregeln in den letzten Jahrzehnten geändert haben, sitzt das Patriarchat doch noch in den Knochen so mancher Genres. “Mir fällt schon auf, dass es in dieser Musikrichtung eine unfassbare Menge an Dudes gibt. Es ist frustrierend zu sehen, wie stark sich Männerbands auch gegenseitig hochpushen. Viele geben sich zwar Mühe FLINTA*s zu fördern – Supportanfragen von bekannteren Acts kommen fast ausschließlich von Männern – aber man erreicht irgendwie nie dasselbe Level.” Lily entschuldigt sich daraufhin für eine vulgärere Beschreibung der Lage und ich versichere ihr, dass ihre Wortwahl mehr als angemessen ist. “Natürlich ist es ein allgemeines Problem, nicht nur in der einen Szene. Was aber zum Glück existiert und einen Funken Hoffnung darstellt, sind FLINTA*s, die dagegen wirken wie MODULAR mit den Bande Konzerten. Ich bin auch sehr dankbar für Bands wie My Ugly Clementine, mit denen ich auf Tour sein konnte.” Für Lily, die mit Panik Deluxe noch ganz am Anfang ihres Schaffen steht, ist es nicht nur deswegen ein Privileg zu wissen, dass Menschen die Songs hören und schätzen. “Es klingt immer so kitschig, weil ich das Gefühl habe, dass jede*r Musiker*in das sagt… aber wenn man auftaucht und Leute dem Aufmerksamkeit schenken, sich die Kunst einer Person anschauen, dann hat das etwas so Schönes und Warmes.”

Hier könnt ihr in die neue EP „I was an apple and I got peeled“ von Panik Deluxe direkt hineinhören: