Zwischen Indie-Pop-Ikonen und NNDW-Stars: Ein Rückblick auf das Campus Festival Konstanz

Alle Fotos im Beitrag: Hannah Bechmann

Irgendwo sehr weit im Süden Baden-Württembergs, da liegt Konstanz. Im Bodenseestadion der Stadt findet eines der wohl größten Campus Festivals der Republik statt – mit einem Line-up, das sich sehen lassen kann. Szene-Größen, wie Von Wegen Lisbeth und Badmómzjay, teilen sich hier mit Newcomer*innen, wie Temmis und Berq, die Bühnen. Eine Party, die wir uns nicht haben entgehen lassen.

Unser ganz persönlicher Opening Act ist niemand geringeres als Felix Berq. Der 19-Jährige scheint ein Phänomen – mit nur 2 veröffentlichten Singles spielte er Support bei Schmyt, Ennio und Paula Hartmann und hat Ende Mai eine Debüt-EP gedroppt, die schon jetzt Indie-Pop-Herzen höherschlagen lässt. Und auch live überzeugt der junge Herr auf ganzer Linie: Mit einem Lungenvolumen sondergleichen schmettert er seine Lyrics in die Crowd, dass einem die Luft wegbleibt. Die zum Zeitpunkt des Festivals noch unveröffentlichten Songs lassen beeindruckte Zuschauer*innen zurück. Und zwar mit Recht. Man kann nur hoffen, dass das Ausnahmetalent bald eine eigene kleine Tour spielt, denn dieses Erlebnis sollte sich wirklich keine und keiner entgehen lassen.

Einmal Abriss mit allem und scharf, bitte!

Mainstage, Ski Aggu und betrunkene Studierende – das ist eine Rechnung, die einfach aufgeht. Ein Party-Rap-Banger nach dem anderen wird über die Bühne gescheppert und die Crowd mosht sich fast zu Tode. Als Aggu zu „Mandala“ ganz romantisch in der Crowd rappen will, scheitert das allerdings kläglich: keine*r lässt ihn durch, und als er dann doch irgendwie irgendwo in der Crowd landet, wird der Kreis nicht aufgemacht. So muss er notgedrungen beim Rappen moshen, was semi-gut klappt. Naja, Abriss gab’s trotzdem und alle Beteiligten sind (zumindest einigermaßen) happy.

Weiter geht’s bei Domiziana, die mit Techno-Beats und einem Bass, der sich gewaschen hat, unsere Ohren auseinandernimmt. Als wäre das noch nicht genug, bringt sie zwei Backup-Dancer*innen mit, die gemeinsam mit der 26-Jährigen eine Show abliefern, die mit Auftritten von Kolleginnen, wie Badmómzjay, in jedem Fall mithalten kann. So weit, so gut – der Rahmen steht. Aber nicht „[o]hne Benzin“.

Ab zur Mainstage, ab zu Ennio. Das Münchner Indie-Pop-Sternchen hat sich seit letztem Jahr nicht nur auf die großen Bühnen der Festivals gesungen, sondern auch noch eine Band im Gepäck, die seinem Sound ganz schön Volumen verleiht. Was letztes Jahr noch Live-Gitarre und Backing Track war, ist jetzt Drums, Bass, Keys, Gitarre und eine herrliche Dynamik. Ennios Set glänzt mit ruhigen Momenten zu „Drachenfrucht“ und Moshpit-Action auf „König der Nachbarschaft“ – damit dürften dann wohl wirklich alle abgeholt sein.

NNDW-Stars treffen auf Indie-Pop-Ikonen

Auf der kleinsten Bühne des Campus Festivals schauen wir uns das Set von Neunundneunzig an. Und schnell wird klar: Die Bühne wird Nicky Papa und Saiya Tiaw nicht gerecht. Und das wird spätestens klar, als der Bereich vor der Stage so brechend voll wird, dass keine weiteren Zuschauenden reingelassen werden. Nun ja, dann wird sich eben vor den wackeligen Bauzaun neben dem Einlass gequetscht und von dort aus gelauscht und gelinst. Die seichten Sounds und zaghaften Gesänge des Duos lassen sich auch von dort aus genießen.

Sie spielt dieses Jahr auf jedem Festival, das nicht bei drei auf dem Baum ist – und das zurecht. Dilla macht spätestens seit ihren Gastauftritten auf den Touren von Schmyt und Kraftklub im letzten Jahr die Bühnen und Playlisten des Landes unsicher. So auch an diesem Samstagabend: Es wird gemosht, getanzt und zu „Junge“ geweint. Locker-flockig haut Amadea, wie Dilla bürgerlich heißt, einen Club-Banger nach dem anderen raus und macht klar: So schnell ist sie von den Festivalbühnen dieses Landes nicht mehr wegzudenken.

Den Abend beenden wir mit keinen Geringeren als den Von Wegen Lisbeths. Viel zu lange haben wir die Boys nicht mehr live erlebt und entgegen gängiger Volksweisheiten weiß man ja erst, was einem fehlt, wenn man es wieder hat. Mit einer bunten Mischung aus Klassikern, Fan-Lieblingen und neuen Song von ihrem letzten Album „EZ Aquarii“ runden sie den ersten Abend perfekter ab, als es sonst eine Band könnte. Und als wir uns schon vor Ende des Sets verabschieden, um noch vor der großen Abreise-Welle zu unserem Schlafplatz zu gelangen, klingt noch ein leises „Elon, Elon – neineinein“ nach.

Lieb mich oder lass es.

Um 16:45 Uhr heißt es für uns guMo! Denn der erste Tagesordnungspunkt nach Pizza-Frühstück/Mittagessen und Parkplatzsuche ist niemand geringeres als Makko. Falls der Wecker es noch nicht geschafft hat, rüttelt uns spätestens der alles erschütternde Bass wach. Egal ob Wecker oder Bass: Der Berliner rüttelt jedenfalls alle aus dem Schlaf – ob nun kreischende Frontrow-Fans oder Moshpit-wütige Camper*innen. In einem 45-Minuten-Set, das sich für den Rapper viel zu kurz anfühlt, rattert er Klassiker, wie „Nachts wach“ (nicht der Lila Wolken Bootleg), aber auch zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichte Songs seines aktuellen Albums „Lieb mich oder lass es Pt. 1“ runter. Und als das Set endet, fühlt es sich so an, als hätte es doch gerade erst angefangen.

Natürlich lässt sich picky Hannah Schmyt nicht entgehen. Der Ausnahmekünstler unbekannten Alters hat gerade erst seine dritte Solo-Tour gespielt und macht schon wieder die Festivalbühnen des Landes unsicher. Bei entspannter Nachmittagssonne wird zu Herzschmerzballaden nicht nur geheult, sondern auch gemosht. Wie die aufmerksame Leser*in merkt, zieht sich also ein ganz klarer roter Faden durch unseren Besuch auf dem Campus Festival Konstanz: moshen. Und auch sonst überzeugt Schmyt auf ganzer Linie: herzergreifende Balladen geben Bangern die Hand und zeigen einmal wieder, dass dieser Mann irgendwie einfach alles kann. Ganz schön frustrierend sowas.

Achtung, Süßmäuse am Mic!

Weiter geht’s zu Lena&Linus. Die zwei, die zuvor schon solo total schöne Musik hervorgebracht haben, haben gemeinsam mit Tim Tautorat eine EP geschaffen, die es in sich hat. Über eben diese EP hat sich picky Hannah mit den beiden ausgiebig unterhalten, das kannst du hier nachlesen. Jedenfalls ist es kein Wunder, dass Lena und Linus uns schon bei ihrem Support-Slot als Live-Duo bei Betterov in ihren Bann gezogen haben. Als sie nun aber mit vollumfänglichen Band-Aufgebot die Bühne betreten, sind wir wirklich sprachlos. Ähnlich wie bei Ennio macht die den Live-Sound nämlich wie zu erwarten ist noch fetter und noch logischer, als er sowieso schon ist. Da wird zu „Timothée Chalamet“ und einigen neues Songs dann schon auch die eine oder andere Träne verdrückt.

Entspannt verweilen wir vor der „Klimbim und Firlefanz“-Bühne und beäugen erwartungsvoll den Aufbau von Temmis. Und: Die Tübinger Neue-Neue-Deutsche-Welle-Sensation enttäuscht nicht. Kaum auf der Bühne ziehen die vier die Crowd in ihren Bann. Von Percussion-Einlagen mit Trittleiter-Feature bis hin zu Voicecracks – berechenbar scheint hier wenig. Und doch ist am Ende des Sets klar: Das war vielleicht der beste Auftritt des ganzen Wochenendes. Roman zieht uns mit seinen Texten in seinen Bann und die gesamte Band sorgt dafür, dass wir einfach nur – wie sagt man so schön – dumm gehen wollen.

Zwar fällt die Entscheidung zwischen Paula Hartmann, Orbit, Futurebae und Edwin Rosen wirklich nicht leicht – Closing Act wird für uns dennoch niemand Geringeres als Edwin Rosen, mit dem wir schon vor dem Lena&Linus-Slot kurz gequatscht hatten. In gewohnter Süßmaus-Manier rundet der Anfang 20-Jährige das Festival für uns perfekt ab. Und obwohl sein Repertoire sich seit unserem letzten Encounter wenig erweitert hat, überrascht er uns mit neuen Covers und zieht uns selbstverständlich auch mit altbekanntem in seinen Bann. Und als „leichter//kälter“ in unseren Ohren nachklingt wüschen wir uns für einen Moment nichts sehnlicher als einen neuen Edwin-Song.

Unterm Strich also: Alles Zucker. Bis zum nächsten Mal, Campus Festival!