Von letzten Küssen und schmerzlichen Verlusten: TEMMIS‘ Debüt-EP „Klinge“ ist da

TEMMIS (Foto: Marvin Schmidt)

TEMMIS sind, gemeinsam mit Edwin Rosen, wohl die angesagtesten New Wave-Sternchen aus dem Großraum Stuttgart. Jetzt haben sie ihre Debüt-EP „Klinge“ veröffentlicht und nehmen uns mit auf eine schwermütige Reise im „ICE 579“ Richtung Verletzlichkeit, Sehnsucht und Enttäuschung.

Blutverschmierte Traumspaziergänge

Mit Nirvana-esquem Sound eröffnen TEMMIS die „Klinge“ EP auf dem namensgebenden Track. Verzerrte, übersteuerte Sounds mischen sich mit Gitarrenmelodien und einer erschlagenden Drum-Machine. Auf dem ersten Song singt Roman voll Willenlosigkeit und bedingungsloser Hingabe:

„Wirf mich vor den nächsten Zug, tu‘ einfach was du tun musst.“

TEMMIS – „Klinge“

„Klinge“ klingt signifikant anders und doch ungewöhnlich gewohnt. Ein Song, der ganz klar die Handschrift von TEMMIS trägt und sich doch vom Rest der EP abhebt. Und dennoch hört man instrumental auf diesem Song mehr als auf allen anderen, dass die Tübinger Gruppe anfangs englischsprachige Indie-Hits auf deutsch gecovert haben. Man ist glatt gewillt der Band zu unterstellen, sie schrieben sich ungefiltert jeden Schmerz und Gedanken von der Seele, aber dafür sind die Texte zu gut. Zu gut, um bedenkenlose Hirngespinste zu sein.

Mit 200km/h in die Enttäuschung

„ICE 579“ ist eingängig wie noch was. Mit seiner Ohrfeigenhagel-Drum-Machine und wummerndem Bass mag er zuerst erschlagend wirken. Aber dann kommt der erschütternd sehnsuchtsvolle Text hinzu und schmiegt sich in eine geradezu beflügelnde Melodie. Auf einmal ist man als Hörer*in im inneren Zwiespalt und mag sich gar nicht entscheiden, ob es nun gut oder schlecht ist, dass „alles anders, alles neu“ ist. Aber nach und nach wird klar: „ICE 579“ spiegelt die Erkenntnis wider, dass sich alles im stetigen Wandel befindet. Vor allem zwischenmenschliches.

Ein Hauch von Hoffnungsschimmer

Wie ein Sonnenaufgang eröffnen flächige Klänge den Track „Augenringe“. Und auch auf dem dritten Song der EP finden Anfänge und Enden in den Text. Aber auf halbem Weg der vierteiligen Geschichte scheint so etwas wie der Wendepunkt gekommen zu sein. Geradezu poppig und, man möchte es kaum aussprechen, positiv und besänftigt anmutend gibt sich die junge Band gegen Ende ihres Body of Work. Das einzige Überbleibsel der nervenaufreibenden ersten beiden Songs scheinen die „Augenringe“ zu sein.

Frieden finden im verloren Sein

Ein Schellenkranz, eine Gitarrenmelodie, organische Drums. Mit dem vierten und letzten Song der EP „Verloren wie ich (Pt. 1)“ versammeln TEMMIS noch einmal das gesamte Instrumente-Inventar. Und schon hört sich der Satz

„Du bist genau so verloren, wie ich“

TEMMIS – „Verloren wie ich (Pt. 1)

gar nicht beängstigend, sondern geradezu beruhigend an. Das zum Ende des Refrains hin immer lauter werdende Instrumental mutet an einen Fiebertraum an, der sich immer mehr zuspitzt. Hört man die EP in (sehr empfehlenswerter) Dauerschleife, schließt sich also mit „Klinge“ wiederum der Kreis. Ein Kreis, aus dem man kaum ausbrechen mag. Als wäre das nicht genug, weckt das Titel-Anhängsel „(Pt. 1)“ schon kurz nach diesem Release Hoffnungen auf mehr.

Unterm Strich…

schreien TEMMIS ihre Gefühle mit einer beachtenswerten Simplizität ins Internet. Ob poppig oder nun nischig-alternativ: Die vier zeigen auf ihrer Debüt-EP, dass sie beide Extremen des Sound-Spektrums beherrschen. Das Gefühl, die vier Tübinger nach „Wenn du da bist“ im Auge behalten zu müssen, hat sich also bewahrheitet. Und so dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis TEMMIS erst „die kleine, dann die große [Musik-]Welt“ erobern, um an dieser Stelle aus „Faust I“ zu zitieren.