Von Antiperfektionismus, wässrigen Metaphern und einem Überleben im Fluss des Musikmarktes: Streichelt im Portrait

Streichelt im Palmengarten (Alle Bilder: Elsa Hädge)


Wer nach Songs mit Synthies, Sprudelwasser und einem Wechselbad der Gefühle sucht, wird bei Streichelt fündig. Wie der Nürnberger Musiker wohl auf diesen Namen kam? Picky hat ihn an einem regnerischen Julitag getroffen, um darüber, das Überleben als Newcomer im digitalen Zeitalter sowie Songwriting als Verarbeitungsprozess zu sprechen.

Ein lauwarmer Nachmittag, der Sommer hadert noch mit sich. Ich sitze an einem verlassenen Schwimmbecken im Grünen, analoge Kamera im Schoß, und checke minütlich das Regenradar. Es scheint, als ob das Wetter es heute nicht so gut mit mir meinen will, aber vielleicht bleibt uns noch ein trockener Moment. Da biegt Hannes aka. Streichelt um die Ecke, in der einen Hand sein Fahrrad, in der anderen zwei kühle Flaschen Bier. Wir sind uns direkt einig, dass die Farbe des Himmels nichts Rosiges verspricht und beeilen uns mit den Bildern. Schnell ein Shot im leeren Pool, ein paar weitere in den verwachsenen Gängen des Leipziger Palmengartens – es ist ein passender Zufall, dass sich die Wege in dieser Stadt kreuzen. Hannes absolviert hier gerade sein Praxissemester im Bereich Media Engineering, ich schlage keine Gelegenheit aus in meine Heimat zu fahren, wenn auch nur für eine Nacht.

Bis jetzt blieb dem Nürnberger Musiker nicht viel Zeit in den neuen Wohnort einzutauchen, neben einem Arbeitsalltag und Auftritten außerhalb an den Wochenenden, doch er schätzt, was er schon kennenlernen durfte. “Ich mag sehr, wie viel in den jungen Szenen im Osten gemacht wird – hier steht ein bisschen mehr leer als in Bayern, dadurch scheint es mehr Ermöglichungsraum zu geben, habe ich das Gefühl. Man kann durch die ganze Stadt gehen und entdeckt immer irgendetwas in einem versteckten Hinterhof.” Genauso wie die Subkultur in Leipzig aufblüht, genauso zieht auch die Gentrifizierung ihre Furchen durch das Stadtbild. Uns fallen direkt mehrere Beispiele ein, welche in den letzten Jahren ihre Tore schließen mussten oder es bald tun werden. Die Kultkneipe Goldhorn auf der Eisenbahnstraße ist gerade nur eins von vielen, welches durch einen neuen Eigentümer trotz ewigem Bestehen vertrieben wird. Dabei sind eben diese Orte so wichtig für die Entfaltung von Kultur mehr abseits vom Kommerz; es ist kein gutes Zeichen, dass die Möglichkeiten zugänglicher, selbstorganisierter Bühnen schwindet.

“Ich glaube fest daran, dass gute Musik ihren Weg findet, durch all die Algorithmen hindurch.”

– Streichelt über Erfolg in Zeiten einer digitalen Schwemmung im Musikmarkt

Das wissen insbesondere Newcomer*innen wie Streichelt. Ich komme zu Beginn unseres Gespräches nun auch nicht drumherum nach der Namensgebung zu fragen. “Wir hatten überlegt etwas mit meinem Nachnamen Weichelt zu machen und als dann die Idee fiel, war ich direkt: ‘Yo, das isses.’ Zack, überzeugt. Es bringt so viel Bildsprache mit sich und ich glaube ich bin noch nie so lange mit einem Künstlernamen zufrieden gewesen.” Wie man heraushört, handelt es sich nicht um Hannes’ erstes Musikprojekt. Doch mit Streichelt verlässt er nicht nur den Indie-Bereich, in dem sich beispielsweise seine Band Figure Beach bewegt, sondern macht ebenfalls nun nicht mehr Musik innerhalb eines Gruppenkontextes. Wie ist wohl dieser Wechsel zur Arbeit auf eigene Faust? “Am Anfang stand schon der Gedanke, alleine und frei das zu tun, worauf ich gerade Bock habe. Ich genieße diesen kreativen Entstehungsprozess, der jederzeit in meinem Zimmer passieren kann. An einem guten Tag sitze ich acht Stunden vor’m Laptop mit Tunnelblick und danach steht fast ein ganzer Song. Was mir aber fehlt, ist sich die Bühne mit mehreren Leuten zu teilen – beim Indie-Rock war immer alles live und handgemacht. Ich bin zwar gerade dabei die Besetzung für Konzerte auszubauen, aber da muss man dann abwägen, was man sich leisten kann, um gleichzeitig von der Musik angemessen überleben zu können.”

Das Durchkommen als Newcomer*in scheint heute einfacher und schwerer zugleich zu sein. Auf der einen Seite sind Produktionsbedingungen und das Teilen mit der Welt sehr viel zugänglicher als noch vor ein paar Jahrzehnten, andererseits bedeutet dies auch einen Überfluss. “Der Musikmarkt wird mit so viel Zeug geschwemmt, auch mit viel Scheiße, muss man sagen. An sich finde ich aber den niedrigschwelligen und günstigeren Möglichkeiten super, alles selbst machen zu können. Man ist nicht mehr auf Labels angewiesen, man hat mehr in der Hand durch die Verbreitung im Internet. Social Media kann aber natürlich auch anstrengend sein, wenn das Marketing dann nicht mehr Label-Sache ist. Den Artists wird damit ein zusätzlicher Job auferlegt.” Dort konsistent zu bleiben und sich immer wieder zu präsentieren, hat seine Hürden. Dass es Beispiele in der Szene gibt, die sich dem nicht komplett beugen und trotzdem rein durch ihre Arbeit Erfolg erzielen, freut Hannes zu sehen. “Ich glaube fest daran, dass gute Musik ihren Weg findet, durch all die Algorithmen hindurch.” Mit Streichelt bahnt auch er sich seinen Pfad durch’s dichte Spotify-Dickicht. Durch den Antiperfektionismus der NNDW, in der sich das Projekt bewegt, gewann er Mut seine Songs selbst zu produzieren und mit dem Endprodukt zufrieden zu sein, wie er erzählt.

Sein Sound leuchtet dabei ein bisschen auf in der Düsternis, die sich sonst durch diese Welle zieht. Die Zeiten, in denen Hannes nur melancholische Musik machte, liegen nun hinter ihm, dafür habe er gerade keine Muße mehr. Gibt es eine Schwere in seinen Lyrics, scheint er sie nun immer wieder mit subtilem Humor auszugleichen. Passiert dies bewusst? “Ich habe mir noch nie gedacht: ‘Oh, jetzt muss ich etwas Witziges in den Song packen, um es leichter zu gestalten.’ Wenn ich Texte schreibe, lasse ich diese einfach kommen und dafür muss ich in dem Moment gerade in der Stimmung sein. Das kann ich auch nicht forcieren.” Die Texte tauchen also auf, wenn sie auftauchen wollen. Und wenn es soweit ist, spielt er gern mit Metaphern und schätzt das Kryptische, das Uneindeutige – denn am Ende interpretiere jede*r die Zeilen sowieso für sich selbst. Ich frage mich trotzdem, ob das Schreiben von Liedern eine Form für ihn ist, um eigene Themen zu reflektieren, ob sie in turbulenten Momenten eher aus ihm herausfließen. “Ich bin sehr davon abhängig, eine Inspiration zu haben und diese kommt natürlich oft aus dem privaten Umfeld. Songs sind bestimmt eine Art und Weise, Dinge zu verarbeiten, auch wenn ich manchmal gar nicht merke, dass ich dies aktiv tue.” In “Biochemie” beispielsweise besingt Streichelt den Wunsch, seinen Gefühlen nicht mehr ausgeliefert zu sein. In unserem Gespräch beschreibt er sich als eigentlich rationalen und pragmatischen Menschen, doch Medikamente, die er im letzten Jahr nehmen musste, schlugen ihm auf die Psyche. Auf einmal fand er sich als viel emotionaler wieder, inmitten von ständigen Stimmungsschwankungen.

Wenn man nun genau hinsieht, scheinen alle seine letzten Singles sich mit dem Wechselspiel von großen Gefühlen und Gefühllosigkeit zu beschäftigen. “Das Lied ‘Eines Tages’ ist das absolute Gegenteil von der Momentaufnahme von ‘Biochemie’ – da geht es um die Problematik des Zu-Wenig-Fühlens, dort spreche ich über mich, so wie ich normalerweise bin. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt während des Schreibens entfernt sich das Lyrische Ich immer auch von mir, sonst wäre es mir zu offen, zu nackt. Persönliche Geschichten spinne ich gerne einfach weiter.” Wir bleiben bei emotionaler Träge und sprechen über das etwas ältere Stück „13 Tage“, welches ein Sentiment des Dahinlebens auf den Punkt bringt. In Referenz zu den Lyrics frage ich Hannes, ob er mittlerweile einen Weg gefunden hat, sich wieder etwas zu geben. Er bejaht lachend. “Ich habe eine Autoimmunerkrankung, die mich gerade während Corona sehr beschäftigt und eingeschränkt hat. Dadurch bin ich damals schon in eine Art Loch gefallen und habe mich sehr sozial zurückgezogen. Es hat eine Weile gebraucht, um wieder zur Normalität zurückzufinden – ich dachte auch eine Weile, dass ich jetzt einfach alt geworden bin, dass diese Veränderung das Erwachsensein ist, von dem immer alle reden.” Ich verstehe direkt, was er meint. Auf uns wird wohl in den nächsten Jahren noch viel Aufarbeitung bezüglich der Pandemie zukommen, aber gerade möchte man einfach nur wieder das Gefühl haben, alles sei wieder wie es einmal war.

“Auch in jenem Song’ gibt es die Zeile ‘Ein Blatt löst sich vom Baum, und führt im dreidimensionalen Raum ein Kunststück auf, doch niemand achtet drauf’.”, erwidert Hannes nach kurzem Überlegen auf die Frage nach seinem liebsten Text, den er geschrieben hat – jedenfalls unter den bis zu dem Zeitpunkt veröffentlichten Tracks. Nun hat auch mittlerweile seine neuste Single “Mit Spritz” das Licht der Welt erblickt, welche ewig bloß als Skizze in seinem Computer herumgeisterte. “Fast über ein Jahr hat sie sich entwickelt, da ich immer wieder einen Part dazugefügt habe, aber nie richtig damit zufrieden war. Zum Glück arbeite ich mittlerweile zur Finalisierung mit Jan Kersher zusammen, der auch wunderbar songwriten kann. Inhaltlich ist es voll das Potpourri, der Entstehungsgeschichte geschuldet, und findet sich irgendwo zwischen Verarbeiten, sich selbst verzeihen und Sprudelwassersucht wieder.” Nichts in Richtung spritzigem Sommerhit, wie der Titel erahnen lassen könnte, dafür lethargischer Synth-Pop, mit dem Streichelt sich in neue Gewässer abseits der NNDW begibt. Man darf gespannt sein, wohin es ihn in der Zukunft noch treibt. Um uns herum regnet es seit einer Weile auch in Strömen, ganz passenderweise. Als wir uns verabschieden, klart der Himmel jedoch langsam auf. Ich wische ein paar Tropfen von meiner Kamera, schaue nach oben und wünsche mir insgeheim, dass die warme Jahreszeit bald kommt, um zu bleiben.

Hier könnt ihr in Streichelts neuen Song „Mit Spritz“ und mehr direkt hineinhören:

Dieser Beitrag entstand in Kooperation mit Pop auf‘m Schirm, eine Initiative des VPBy zur Unterstützung für Musikacts aus Bayern und finanzieller Unterstützung für mediale Formate aus Bayern, die diesen eine Plattform geben.