Das Reeperbahn Festival gilt seit vielen Jahren als zentraler Treffpunkt für die deutsche Musikszene. Jedes Jahr im September treffen hier Musiker*innnen, Journalist*innen, Manager*innen, Labels, Promoagenturen, Booker*innnen, Bloger*innen und viele weitere Menschen aus dem popkulturellen Bereich aufeinander. Es wird sich ausgetauscht, Vitamin B-Kontakte werden geknüpft und Konzerte von Newcomer-Bands in romantischster Clubatmosphäre rundum auf St. Pauli genossen.
Traditionell schließt das Reeperbahn Festival die Open Air- und Festivalsaison ab und läutet die im Herbst folgende Clubsaison ein. Auch dieses Jahr fand das Festival leider pandemiebedingt nur in einer abgespickten Version statt – dennoch gibt es viel zu erzählen. Von langen Schlangen, teils chaotischer Orga, aber auch bereichernden Paneldiskussionen und euphorischen Konzerten. picky Sofia und picky Elsa durften auf dem RBF 21 gastieren und berichten euch, wie es war.
Die Acts: Von Edwin Rosen über Sharktank bis hin zu Trümmer und Schmyt ist alles dabei, was das Indie- und Newcomerherz begehrt.
Edwin Rosen in Begleitung von Flawless Issues
picky Elsa: Am Freitagabend füllt Edwin Rosen das Gruenspan: Der Raum ist dunkel, in stiller Vorfreude bewegt sich jeder zu seinem aufgeklebten Punkt. Dann betreten zwei Gestalten im Schatten der Beleuchtung die Bühne. Der „neueneuedeutschewelle“-Künstler bringt zu den Shows stets Flawless Issues mit, der instrumental unterstützt und die leider nur kurze Setlist mit seinen Songs erweitert. Gemeinsam kreieren sie eine kaum greifbare Atmosphäre im Saal, arbeiten mit hallenden Stimmen und ganz viel Synthies – Alles scheint wie eine Traumsequenz, aus der man gar nicht mehr aufwachen will. Ein Glück, dass heute auch noch mitleerenhänden herausgekommen ist und das Konzert um einen weiteren Track verlängert.
Sharktank mit den süßesten Bühnenoutfits und einer 1A Performance im Indra Club
picky Sofia: Sharktank haben mit Get It Done in meinen Augen nicht nur eine der stärksten Platten des Jahres hingelegt, auch live performt die Band souverän und überzeugend. Ihre Fusion aus Indie-Riffs und Rap-Passagen bringt des österreichische Trio gekonnt auf die Bühne. Sänger und Rapper Mile ist ein richtiges Energiebollwerk. Wenn er mit seinen Parts an der Reihe ist, gibt es kein Halten mehr. Der Bühnensteg im Indra Club lässt zwar nicht all zu viel Bewegungsspielraum übrig, dennoch tanzt und springt Mile auf den knapp zwei Quadratmeter, die ihm zur Verfügung stehen, ausgelassen. Auch wenn sich das Publikum nicht bewegen darf, zuckt hier und da doch der Fuß bei einigen Besuchenden. Auch so ist die Energie im Raum spürbar. Absolute Konzertempfehlung meinerseits. Im Ernst: Schaut euch Sharktank mal live an, wenn ihr könnt. Dankt mir später.
Nand gießt dir im headCRASH einen Aperol Spritz ein
picky Elsa: Etwas Gutes haben die ewigen Schlangen vor den Konzertvenues ja an sich. Man kommt mit den anderen Wartenden ins Gespräch und kann noch in Ruhe Abendbrot (höchstwahrscheinlich vom Dönerladen um die Ecke) essen. Wer dann auch wirklich den Club betreten darf, ist besonders ausgelassen und die Acts bekommen eine unglaublich motivierte Crowd zu spüren. So muss es Nand am Samstagabend gegangen sein, als er im headCRASH auftrat. Aperol Spritz, kleine Tanzeinlagen und Trompetensolos werden mit großem Jubel begegnet und man sieht ihm an, wie glücklich ihn dieser Moment gerade macht. Er erzählt auch, wie das Schreiben von Wohlfühlen ihn aus einer Depression zog und ihm nun Menschen mitteilen, dass das Lied ihnen geholfen hat wieder glücklich zu sein. Neben seinen bekannten Veröffentlichungen spielt er ebenfalls gleich mehrere unreleasede Songs, die ein bisschen dynamischer, düsterer daherkommen – und Bock machen, sich diese irgendwann in Dauerschleife auf Spotify anzuhören.
Everyone’s Darling: Schmyt bringt Gift auf die Bühne
picky Sofia: Schmyt ist einer dieser Künstler, auf den sich genreübergreifend gerade alle irgendwie einigen können. Und obwohl der ehemalige Sänger der Band Rakede bisher nur sieben Solo-Songs am Start hat – dementsprechend war das Set leider auch etwas kurz, jedoch wurde das Publikum mit noch unveröffentlichten Songs angeteast – ist das Uebel & Gefährlich im Hamburger Bunker an der Feldstraße bis auf die letzte Bodenmarkierung voll. Bereits bevor Schmyt die Bühne mit seiner Liveband betritt, ist die Stimmung im Club ausgelassen. Aus allen Ecken hört man die Leute erwartungsvoll tuscheln, mancher geht noch kurz rüber an die Bar, um die Stimmbänder mit einem Kaltgetränk seiner Wahl zu ölen, bevor es mit dem Set losgeht. Die Kronleuchter, die im Club von der Decke hängen, sorgen nochmal für einen extra gemütlichen Vibe.
Schmyt betritt in Begleitung von lauten „Uhhhhh“-Rufen und Klatschen die Bühne, ehe er seine Show mit der kürzlichst erschienen Single Keiner von den Quarterbacks beginnt. Man merkt der Crowd von Sekunde eins an, dass sie textsicher ist – obwohl die Lippen unter den vielen Masken nicht zu erkennen sind. Besonders textsicher scheint das Publikum bei Taximann zu sein. „Lass es brennen, Kumpel, fahr‘!“ schallt es durch den Club während Schmyt seine Arme im Schatten des Lichtsetups auf und ab schlängelt. Alles in allem ein sehr gelungener Auftritt.
Trümmer im Knust nach 4 Jahren Konzertpause
picky Sofia: Ich bin ehrlich. Seitdem ich mich in die Trümmer-Single Aus Prinzip gegen das Prinzip verliebt habe (hier nachlesen), konnte ich es kaum abwarten Trümmer endlich mal live zu erleben. Wie es der Zufall dann so wollte, sollte am Festival-Freitag im Knust dann meine Chance kommen. Ich darf als eine der ersten den Konzertraum des Knust betreten während Trümmer noch soundchecken.
Bassist Tammo gibt einem Mitarbeiter zu verstehen, dass die Besucher*innen, die noch im Vorraum warten, bereits hereingebeten werden dürfen. So trudeln nach und nach Menschen in den kleinen Konzertsaal während die vier noch den einen und anderen Song unter Beifall anspielen. Da muss Sänger Paul schmunzeln und richtet ein „Danke, das ist sehr lieb“ an die Stimmungsmacher. Als der Sound wenige Minuten später stimmt , verschwindet die Band in den Katakomben, um wenige Minuten später in gedimmten Licht die Bühne wieder zu betreten.
Dann geht’s auch schon mit Weißt du noch aus dem aktuellen Album Früher war gestern los. Die Setlist ist ein gesunder Mix aus alten Trümmer Hit-Songs, wie etwa Wo ist die Euphorie, und neuen Stücken. Nach jedem Song holen sich Trümmer ein „JAWOLLO“ (wahlweise auch „JAWOHL“ oder ein „JAWOLL“) vom Herren schräg hinter mir ab. Zwischenzeitlich wird Paul vom selben Herren dazu angehalten gefälligst einen Song „für die 200 Leute, die draußen warten“ (das fasst das Reeperbahn Festival dieses Jahr eigentlich ziemlich gut zusammen) zu spielen. „Das nächste Lied ist für euch“ entgegnet dieser, bevor die Band in ihrem Set fortfährt. Wollen wir mal hoffen, dass die Menschen auf dem Lattenplatz die Widmung mitbekommen haben.
Das Reeperbahn Festival in der Vorreiter*in-Rolle
picky Sofia: Das Reeperbahn Festival hat auch dieses Jahr erneut unter Beweis gestellt, wie divers die deutsche Musikszene eigentlich ist. Und dass man diese Diversität in einem Line-Up auch abbilden kann, wenn man nur möchte. Das RBF ist seit längerer Zeit Partner von KEYCHANGE, die sich für mehr Sichtbarkeit von unterrepräsentierten Geschlechtern in der Musikszene einsetzen. Dafür gibt es auch von Antje Schomaker bei ihrem Gig auf der Arte Concert Stage ein riesiges Shoutout. Zurecht. Looking at you, Rock am Ring… „Macht mal einen riesigen Applaus für das tolle Booking vom Reeperbahn Festival!“ fordert Antje die Menschen auf dem Heiligengeistfeld auf. Dem können wir uns nur anschließen. Bis nächstes Jahr!