Los Retros und Retrospect: Ein Wortspiel mit der Zeit

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Los Retros aus den USA ist das zurückgelehnte LoFi-Indie-Projekt von Mauri Tapia. Seine Debüt-EP Retrospect kommt ziemlich gut und macht Bock auf mehr.

Wann genau ich das erste Mal was von Los Retros gehört habe, weiß ich nicht mehr. Es könnte in meinem Release-Radar für den Juni gewesen sein, aber wer weiß. Unwichtig. Jedenfalls war der Erstkontakt Someone To Spend Time With. Und der Song war sofort in meinem Bewusstsein – großartiger Text mit hohem-relatable Faktor. Und auch die Musik hatte genau den richtigen Winkel, um sich zurückzulehnen und einfach den Moment zu genießen. Los Retros fand ich als Name auch witzig. Meine Assoziationswolke bestand dabei aus Los Pollos Hermanos von Breaking Bad, einem Taco der in der Hand zerbricht und wie eine Latina „Mami“ ausspricht. #ifyouknowwhatimean

So oder so ist die Single Someone To Spend Time With bisher eines der Highlights von 2019. Daher war ich auch freudig erregt wie ein Hund, als ich erfuhr, dass bald die Debüt-EP Retrospect erscheinen wird. Das Wortspiel mit Retros und Retrospect fand ich eher semi-witzig, ich heb mir den Lacher dann für die Rente auf. Obwohl, so schlecht wars auch wieder nicht…

Retrospect in der Prospektive

Den Opener macht Never Have Enough. Wäre ich jetzt ein realitätsferner Literatur-Prof an irgendeiner verstaubten Uni, würde ich den Titel jetzt auf das Konsumverhalten und das Ego der westlichen Gesellschaft beziehen und mich dann dafür abfeiern. Gut, dass ich das nicht bin. Der Song ist angenehm zu hören, öffnet einem die Türen im Ohr für Los Retros Sound und allgemeine Stimmungskulisse.

Dann geht es weiter mit Friends. Die Nummer kam schon im Mai raus und hat einen ziemlich smoothen Drive. Wir haben ein super simples aber effektives Schlagzeug, welches die groovige Grundlage für den ganzen Song bildet. Obendrauf gibt es eine knackige Bassline die ordentlich rollt wie Kiffer am 20. April und richtig Laune macht. Hier und da blitzt mal eine wellige Gitarrenmelodie auf. Dazu singt Mr. Los Retros irgendwas Neu-Romantisches vor sich hin. Der Song gefällt mir ziemlich gut. Das ist genau mein Jam. Ich bin gespannt wie es weitergeht.

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Erinnert mich irgendwie etwas an Azteken-Malereien oder so..

Die Mitte der Platte macht Love Tape. Spannender Anfang, gebe ich zu, allerdings ist mir der Song dann doch etwas zu schief in der Gesamtheit. Lo-Fi schön und gut, man kann es mit dem Detune-Effekt aber auch etwas übertreiben. Das schwebende Schlagzeug rettet einiges an Stimmung, allerdings klingt auch der Gesang eher nach Blechdose. Einzig die Bassline überzeugt erneut und macht mich ganz glücklich. Wie Gooshers (Bei 00:36)

Mit Nostalgic Vibrations geht dann wieder die Sonne bei mir auf. Schönes Gitarren-Riff. Tempo und Vibe stimmen. Mal gucken was passiert. Ich fühle mich sehr an Mac DeMarco und Kohorten erinnert. Los Retros hat seine Hausaufgaben gemacht und sogar rechtzeitig abgegeben. Meine Schneidezähne gehen beim hören langsam auseinander, meine Socken ziehen sich hoch, ich bekomme lange Haare und verliere jegliches Zeit-Gefühl. Die Metamorphose schreitet langsam voran, liebe Freunde

Die ersten vier Songs waren für ein Debüt tatsächlich ziemlich „okay“. Ich sage nicht „nett“, sondern „okay“. Nichts was mich vom Hocker haut, aber auch nichts, was meinen Ohren weh tut. Vom Feeling her fühlt es sich gerade so an, wie wenn deine Lieblingsmannschaft beim Fußball in der Nachspielzeit noch ein Tor macht.

Und dieses Tor heißt Oh Grace. 

Gemeinsam mit Friends ist der Song bisher mein Fave auf der ganzen EP. Kurz vor knapp kommt dann noch die verträumteste Nummer. Die Akkorde klingen dynamisch, der Groove ist laidback und auch den Gesang finde ich hier sehr harmonisch. Etwas kurz, man könnte aber auch kompakt dazu sagen.

Last Day On Earth ist wahrscheinlich der beste Song zum Beenden einer Platte, den ich jemals gehört habe. Zum einen vom Titel her und zum anderen vom Sound. Die Parcels haben auf ihrem Debüt ja auch sowas ähnlich gemacht (was ziemlich nach hinten losging), allerdings finde ich diesen Abschluss hier deutlich passender. Diese Nummer räumt mit allem auf und holt alle vercheckten Hörer ab, die beim Hören irgendwo runtergefallen sind.

Es gab Hochs, es gab Tiefs, am Ende entlässt mich Last Day on Earth aber mit einem guten, leicht melancholisch-nostalgischen Gefühl wieder in die Realität. Tolles Synthie-Solo, der Gesang gefällt mir und auch die Bassline überzeugt wieder.

Los Retros und Retrospect: Ein bisschen wie milde Salsa

Ist die Überschrift ein bisschen drüber, wie du mit deiner Uni-Abgabe? Vielleicht, aber ich mag eben treffenden Vergleiche. Retrospect ist über alle Songs hinweg auf jeden Fall eine gelungene EP. Keine Frage. Manche Songs haben großes Potenzial und Charakter, andere wiederum sind eher schwach und so wie der Dude, der den ganzen Abend auf der Party nur im selben Stuhl sitzt. Man nimmt ihn zwar wahr, aber so richtig warm wird man nicht miteinander. Los Retros hat definitiv den Style und das Talent (nein, keine KayOne Referenz an der Stelle), um in Zukunft noch was zu reißen. Allerdings fehlt mir an manchen Stellen etwas die Power und Inspiration, eine ausgeleierte Gitarre überall reinzupacken ist auf Dauer dann doch etwas eintönig. 

Enttäuscht bin ich definitiv nicht, richtig mitgerissen wie bei einem Haiangriff wurde ich aber auch nicht. Mein Favorit bleibt trotzdem noch Someone To Spend Time With. Das Musikvideo unten solltest du dir definitiv anschauen – und am besten noch mit Ton! 😉