
Los Bitchos auf der Bühne – keine Lyrics, dafür umso mehr Leidenschaft für die Musik. (Foto: @hnsrud)
Geballte musikalische Qualität, der Glamour des Londoner Undergrounds und viele kleine Momente der Euphorie treffen aufeinander, wenn Los Bitchos das Tor zu ihrem besonderen Klangkosmos öffnen. Diesen Monat spielten die vier Musikerinnen sechs Konzerte in Deutschland. Wir waren in Heidelberg dabei.
Ein Freitagabend im April, einer der ersten warmen Frühlingstage: Etwa 200 Menschen sind in die Heidelberger Commissary für den Auftritt von Los Bitchos gekommen. Einst war das überdimensionale Gebäude ein Supermarkt für die amerikanischen Soldat*innen und ihre Familien, die in der nahegelegenen ehemaligen Wohnsiedlung jahrzehntelang lebten. Heute nutzt das Heidelberger Metropolink Festival den Bau als Kreativspace für Straßenkunst, Musik und als Eventlocation.
Ein bisschen Coachella im Heidelberger Industriegebiet
Es kommt nicht allzu oft vor, dass eine Band in der Rhein-Neckar-Region spielt, die in den letzten Jahren bei Coachella, Glastonbury und mehrfach beim legendären Musiksender KEXP aufgetreten ist. Für die vier Girls von Los Bitchos ging es seit ihrer Bandgründung 2017 steil bergauf. Letztes Jahr veröffentlichten sie ihr zweites Album „Talkie Talkie“. Es klingt etwas discolastiger als ihre erste Veröffentlichung „Let the Festivities Begin!“ aus dem Jahr 2022. Ihrem Erfolgsgeheimnis sind die Londonerinnen jedoch treu geblieben: Ohne Scheu fusionieren die Instrumentalistinnen ihre vielfältigen kulturellen und musikalischen Prägungen. Gitarristin Serra ist Australierin und hat türkische Wurzeln, Agustina (Keytar und Synths) kommt aus Uruguay, die Bassistin Josefine ist Schwedin und die Britin Nic spielt Schlagzeug. Heraus kommt ein einzigartiger multikultureller Instrumentalsound, der irgendwo zwischen Psychedelic, Surf Rock, Disco, Latin und anatolischem Rock liegt.
Urban, weltoffen, groovy
Bei Show vier von sechs der Deutschlandtour zeigen Los Bitchos schnell, wie sie sich innerhalb weniger Jahre eine globale Fanbase und den Respekt der Kritiker*innen erspielt haben. Ihre Performance ist eine tanzbare Mischung aus urbaner Coolness und weltgewandter Leichtigkeit. Wie der Bandname vermuten lässt, nehmen sich die vier Girls abseits der Bühne nicht so ernst. Auf der Bühne zeigt jedoch jede von ihnen eindrucksvoll, was sie musikalisch draufhat. Der Blick wandert immer wieder von einer der Musikerinnen zur nächsten. Serra, der Kopf der Band und die Komponistin der meisten Songs, verzieht beim Spielen ihrer eingängigen Gitarrenriffs immer wieder prüfend das Gesicht. Neben ihr Josefine, die mit ihren groovigen Basslines ganz besonders zum psychedelischen Sound der Band beiträgt. Etwas abseits der beiden bewegt sich Agustina durchgehend zum Beat, während sie an den Keys performt. Nic überzeugt an den Drums und pusht ihre Kolleginnen immer wieder nach vorne. Kurzum: Es macht enorm viel Spaß, dem Quartett zuzuschauen.
Liebe auf den zweiten Blick?
Durch die vielen Einflüsse ist der Klangkosmos von Los Bitchos etwas komplexer gestrickt als der anderer Bands. Auf Lyrics verzichtet die Band weitgehend und auch zwischen den Songs verlieren die Girls in Heidelberg nicht allzu viele Worte. Für manche mag sich die Musik dadurch zunächst unnahbar anfühlen. Doch dann sind da diese kleinen ausgelassenen Momente voller Euphorie, die auch die letzten Zweifelnden überzeugt haben dürften: Ja, es ist genau richtig, all diese Genres in einen Topf zu werfen! Spätestens beim nach Lebensfreude und Sehnsucht schreienden Song „La Bomba“ vom aktuellen Album steht niemand mehr still. Am Ende geben die Musikerinnen ihre Punk-Version des The-Champs-Klassikers „Tequila“ zum Besten. Dabei verbergen sie nicht ihre Vorliebe für die rohen Spielarten des Rock. Die Vielseitigkeit und Qualität erinnert an die Psychedelic-Masterminds King Gizzard and the Lizard Wizard, mit denen die Musikerinnen durch gemeinsame Touren und Auftritte verbunden sind. In Heidelberg setzen Los Bitchos ein Statement, dass auch ihnen musikalisch grundsätzlich alles zuzutrauen ist. Auf der Bühne verspürt die Band nicht die Notwendigkeit, sich erklären zu müssen. Der Sound spricht für sich. Das ist erfrischend, wholesome und lässt hoffen, dass Los Bitchos bald wieder nach Deutschland zurückkehren.
Das aktuelle Album von Los Bitchos „Talkie Talkie“ erschien am 30. August 2024 via City Slang. Hier reinhören: