Friedberg (Alle Bilder im Beitrag: Lewis Vorn)
Es ist schon über fünf Jahre her, dass der Name Friedberg auf der Bildfläche auftauchte und nicht mehr verschwand. Nun erschien vergangenen Freitag endlich das Debütalbum “Hardcore Workout Queen”, welches einen energetischen Einblick in den Kopf von Sängerin Anna Friedberg gibt. Mit Picky sprach sie über den Enstehungsprozess, ihre namensgebende Heimat in Österreich und wie wichtig eine Verbundenheit von FLINTA*-Personen gegen die gesellschaftlichen Ideale ist, die sie in Konkurrenz zueinander setzen.
Mit “Go Wild” grub sich die markante Stimme von Anna Friedberg ins Gedächtnis und war danach auf dem FIFA Soundtrack und riesigen Bühnen zu hören. Da existierte etwas in der Art, wie sie sich zwischen einer Alt-Rock-Attitüde und poppiger Verspieltheit bewegte, als wäre es kein Balanceakt. Auch jetzt sitzt die Künstlerin an einem sonnigen Septembertag entspannt auf dem Sofa, die langersehnte Debüt-LP im Gepäck. Die Reise hierhin sei lang gewesen, gerade weil es ihr schwer fällt, Entscheidungen zu treffen – sie müsse stets tausend Versionen anfertigen, bis sie wisse, welche die richtige sein soll. Doch nun passiert der nächste Schritt, so langsam wird alles greifbarer, wie sie erzählt. “Du kommst jetzt hierher und bist vorbereitet wegen einem Album, das ich gemacht habe? Total absurd!”, meint sie lachend zu mir. Ich frage mich daraufhin, wie wohl ihr Teenager-Ich reagieren würde, könnte sie ihr zeigen, wie ihr Leben gerade aussieht. “Die würde es gar nicht packen, glaube ich. Die würde denken, ich spinne. Es ist ein Privileg, mit so coolen Leuten Musik machen zu dürfen, und das nicht nur als Hobby. Zuhause hat mich damals nie jemand stark supportet, es fielen eher Sätze wie ‘Studier’ doch was Richtiges’.”
Anna wuchs in einer Gemeinde in der österreichischen Steiermark auf, welche ebenfalls den Namen Friedberg trägt. Mittlerweile bewegt sie sich zwischen London und Berlin, ein Alltag weit weg von dörflicher Realität. Sie kennt auch das Sentiment, das mit einer Rückkehr in den kleinen Heimatort aufkommen kann, nachdem man sich sein Leben woanders aufgebaut hat – als hätte man irgendwie einen Schritt zurückgemacht. “Trotzdem finde ich es immer schön, denn ich habe gute Erinnerungen an den Ort. Und meine Familie ist eben da, deswegen hänge ich eigentlich nur mit denen ab. Natürlich gibt es allgemein nicht so viele Leute dort, die wirklich verstehen, was ich mache. Es wird dann gefragt ‘Wann kommt die CD raus?’. Doch ich gehe nicht mit der Erwartung hin, mich erklären zu wollen.” Tja, nun kann es wirklich bald CDs geben, die einen physischeren Beweis liefern, für das, was Friedberg schaffen. Instrumental eröffnet eine ganze Platte natürlich auch mehr Raum sich auszuprobieren. Auf “Hardcore Workout Queen” experimentiert die Band mit Krautrock-Elementen und Synthesizern, traut sich verträumter zu sein, erzählt Anna. Als ich sie nach Künstler*innen frage, die während des Entstehungsprozesses des Albums in ihrer Musikbibliothek auftauchten, fallen Namen wie ESG, LCD Soundsystem, Fontaines D.C. und Courtney Barnett. Auch wenn es nicht sinnvoll erscheint direkte Vergleiche zu ziehen, sind fast immer Spuren spürbar von den Sounds, die Musiker*innen persönlich bewegt.
„Das Witzige dabei ist natürlich, dass es in diesem Lied um Entscheidungen treffen geht – man kann sich nicht festlegen, man will alles auf einmal und bleibt am Ende mit nichts zurück.”
– Anna über „The Greatest“ und dessen verschiedene Versionen
“Es ist ein humorvoller Blick auf diesen Selbstoptimierungswahn”, beschreibt Anna dann den Titel des Albums. “Aber auf liebevolle und nicht wertende Weise, mir sind einfach ganz viele Bilder in den Kopf gekommen. Zum Beispiel wie ich im Bett sitze, meinen Arsch nicht hochkriege und mein zweites Frühstück vorspeise, während du draußen zum fünften Mal ums Haus joggst – ich feuere dich dabei an, finde es cool, dass du das heute machen kannst und vielleicht ist es morgen umgekehrt. Aber klar, auch ich bin von diesem Wahn nicht losgelöst.” Der Grat zwischen einem gesunden Achten auf sich selbst und dem Verfolgen eines nicht erreichbaren Ideals kann dabei natürlich sehr schmal sein. Unsere Vorstellungen von unseren Körpern und wie sie auszusehen haben, sind strukturell bedingt und keine rein individuell ausgedachten Probleme, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Dafür sind wir zu sehr medial von Prototypen umgeben, wie auch das Video zur titelgebenden Single zeigt. Der Song möchte dabei jedoch eine verbindende Message transportieren – zu oft müssen sich FLINTA*-Personen im Vergleich zueinander wahrnehmen, anstatt in Allianz gegen jene Rollenbilder.
Diesbezüglich fällt es schwer, nicht direkt daran zu denken, wie Charlie XCX sich diesen Sommer auf dem Song “Girl, so confusing” mit Lorde versöhnte. Das war mehr als bloß ein popkultureller Moment, in dem sich zwei weibliche Musikerinnen, die innerhalb der Musikindustrie gegeneinander ausgespielt wurden, verbündeten. Wie ist hier wohl Annas Erfahrung als Künstlerin? “Mit der Band habe ich jetzt zum ersten Mal das Gefühl, es gibt nur gegenseitigen Support, anstatt irgendeine Art von Konkurrenz – man ist eine Einheit. Das gibt es teilweise noch viel zu wenig unter Frauen und das sollte sich auf jeden Fall ändern.” Wir tauchen daraufhin ab in andere Songs auf dem Album, ich komme nicht darum herum, nach einer Zeile aus “Venice 142” zu fragen, die sich in meinem Kopf festgesetzt hatte. ‘You can make an empty moon full, it’s just that no one sees it but you’ haucht Anna zu Anfang des Liedes und so schwer deutbar die Sätze wirken, auf einer Gefühlsebene scheine ich sie verstanden zu haben. “Das geht mir auch immer so! Dann will ich es in Worte fassen, aber ich kann es nicht”, antwortet Anna lachend. Sie versucht es netterweise trotzdem. “Es geht um jemanden, der an das Gute glaubt, aber allein damit ist, die Welt so zu sehen. Eine Person mit einer ‘strange mind’, in die man einen Einblick bekommen möchte.”
Es sickert, wie in diesem Beispiel, eine gewisse Melancholie durch die Platte hindurch, die man noch nicht so von Friedberg kennt. Anna meint, dass es ihr nicht leicht fällt, sich in den Texten zu öffnen. “Ich probiere es schon immer in Bilder zu verpacken, damit man es nicht sofort erkennen kann. Denn ich mag es lieber, wenn man sich selbst etwas vorstellen darf, anstatt es auf dem Servierteller präsentiert zu bekommen. Und natürlich macht es das Nutzen einer Fremdsprache einfacher, da diese einem nicht so nah ist.” Genauso balancieren sie trübere Aussagen mit upbeat Melodien aus, sodass diese gar nicht zu schwer im Magen liegen können. Die Musik komme dabei stets zuerst auf, komme oft von selbst und daraufhin verbringt Anna eine Unmenge an Zeit mit den passenden Zeilen. “Bei ‘The Greatest’ hatte ich zwei komplett verschiedene Texte geschrieben, beide im Studio eingesungen und mich dann für einen entschieden. Das Witzige dabei ist natürlich, dass es in diesem Lied um Entscheidungen treffen geht – man kann sich nicht festlegen, man will alles auf einmal und bleibt am Ende mit nichts zurück.” Und wie löst man sich davon “The Greatest” oder irgendwer anders sein zu müssen? “Irgendeine Entscheidung fällen, denn keine Entscheidung bedeutet Stillstand.” Der Albumprozess hat ihr dabei ebenfalls geholfen, wie sie erzählt. Nun gibt es kein Zurück mehr, jetzt kommen die Songs in Berührung mit der Welt, so wie sie sind. Das Warten hat ein Ende.