„Immer nach Gefühl“: Ein kleiner Gedankenaustausch mit Dagobert

Dagobert (Foto: Fritz Fechner)

Dienstag, der 31. Oktober 2023. Draußen ist es grau und regnerisch, ich sitze vor meinem Laptop. Um 11 Uhr bin ich verabredet mit Dagobert. Ich möchte mit ihm über sein neues Album „Schwarz“ sprechen und über seine Art Musik zu machen. Die fasziniert mich nämlich schon seit vielen Jahren.

Ich war tatsächlich noch zu jung um den Hype um ihn in den frühen 2010ern miterlebt zu haben. Meinen ersten Berührungspunkt mit Dagobert hatte ich also erst 2016 durch Caspers „Lang lebe der Tod“. Danach folgten viele Stunden, in denen ich, fasziniert von seiner Art, etliche Dagobert-Interviews und Alben durchwälzte.

Über sieben Jahre später überkam mich nach dem Hören von „Todessehnsucht“ erneut das Dagobert-Fieber und ich konnte nicht widerstehen, ein Interview mit dem schweizer Chansonnier anzufragen. So kam es, dass ich nun, an Halloween, vor meinem MacBook sitze und darauf warte, dass Dagobert das Zoom-Meeting betritt. Als dann pünktlich um elf ein Bild auf meinem Laptop erscheint, sehe ich in das Gesicht eines – schwierig das hier nicht schmierig klingen zu lassen – herausgeputzten jungen Mannes.

„Todessehnsucht“ zu Beginn

Vor der Veröffentlichung des Albums gab Dagobert uns mit „Todessehnsucht“, „Rabensinfonie“ und „Schwarz“ erste Einblicke in das was kommen soll. Für mich schien es ganz simpel: Ein Album voll von Tristesse. Beim ersten Hören der Platte war dann allerdings schnell klar: So einfach ist es nicht, so einfach sind Dagoberts Werke nie. Zwar macht „Todessehnsucht“ den Auftakt, danach folgt aber „Dagobert und die Blumen“, ein Liebeslied. Auch viele weitere der insgesamt neun Songs, wirken eher positiv. Auf die Frage, weshalb er sich genau für diese Vorabveröffentlichungen entschieden hat, hat Dagobert eine simple Antwort:

„Ich habe mir ehrlich gesagt, wie immer, nicht so viele Gedanken gemacht. Für mich ist ‚Todessehnsucht‘ der wichtigste Song. Ich wollte ein ganzes Album machen, das diesen Vibe vermittelt, aber insgesamt nicht so negativ ist, dass man es nicht aushält. Deswegen wollte ich auch unbedingt ein paar sanfte Songs dazu machen, die aber dennoch passen“. Am Ende wollte Dagobert „extreme Emotionen reinkriegen“. In beide Richtungen. Für ihn war nur wichtig, mit „Todessehnsucht“ zu starten.

Über die Anordnung der Tracks

Auch wenn „Schwarz“ einige sanfte und positive Tracks beinhaltet, ist es dennoch ein Album, das lange nachwirkt. Vielleicht mag das auch etwas an der Reihung der Songs liegen. So beginnt und endet die Platte nämlich mit zwei Liedern, die von nichts geringerem als Trübsinn, Resignation und zwischenmenschlicher Abstumpfung handeln. Als ich „Schwarz“ zum ersten Mal hören durfte, hat es mich stark mitgenommen. Ich habe es erstmal ein paar Stunden sacken lassen müssen um die Songs für mich einordnen zu können. Dagoberts Antwort auf die Frage nach dem Grund für die gewählte Anordnung ist simpler als gedacht:

„Naja, ich mach mir sehr wenig Gedanken zu all diesen Dingen. Ich mache einfach nur Musik und die Entscheidungen, die ich in der Musik treffe sind nie rational. Das kommt dann irgendwie – Immer nach Gefühl.“

Immer nach Gefühl, das kann man kaum glauben, wenn man sich Dagoberts Alben ansieht. Deshalb fügt er noch an: „Niemals! Ich denke mir nie irgendwas dabei. Also nicht einmal beim Texte schreiben. Also wirklich jetzt, ich weiß gar nicht wie die entstehen. Die sind dann halt da“.

Nachdem er den Satz beendet hat, nimmt er einen großen Schluck aus einer Tasse mit einem dicken „DAGOBERT“-Schriftzug. Ich muss ein wenig grinsen.

Organisch statt programmiert

Wer genau hinhört, wird bemerken, dass die Instrumentenwahl bei „Schwarz“ aus dem typischen Pop-Rahmen fällt. So wurde auf Schlagzeuge verzichtet und stattdessen auf Harfen, Geigen, Flöten, analoge Synthies und sogar Orgeln gesetzt: „Wir haben das größtenteils in der Schweiz aufgenommen. Und dann fand ich es auch irgendwie schön meine Familie mit einzubeziehen. Meine Nichte spielt Harfe, meine Schwester spielt Geige und Flöte. Mein Bruder ist Pfarrer, der hat eine Kirche, da stand dann die Orgel. Dann haben wir einfach all das integriert. Das war also nicht so konzept-mäßig, sondern einfach naheliegend“.

Produziert wurde das Album von Robin Völkert, „ein Tontechniker und Multi-Instrumentalist der nicht nur jedes Instrument unglaublich gut spielen kann, sondern die auch alle zuhause hat“, wie Dagobert mir mitteilt.

Während das Weglassen von jeglichem Schlagwerk erstmal ungewöhnlich wirkt, macht es für den Singer-Songwriter komplett Sinn: „Alle Songs, die ich schreibe, haben zu Beginn keine Beats. Das kommt dann mehr am Schluss. Bei der Songauswahl dachte ich, ich bleibe einfach dabei. Ich mache überhaupt keinen Rhythmus rein. Dafür soll es organisch klingen und nicht so programmiert, wie sonst immer alles von mir“.

Musik und Poesie

Ob ihm die musikalische oder die poetische Seite seiner Songs bedeutsamer ist, beantwortet Dagobert wie aus der Pistole geschossen (lustig, weil Dagobert in seinen Musikvideos, wie auch auf seinem Instagramkanal immer wieder mit Jagd-Gewehren zu sehen ist).

„Ich mach immer erst mal die Musik komplett fertig, das ist mir viel wichtiger.  Und wenn das erledigt ist, dann ist auch das Grundgefühl zu hundert Prozent da. Dann muss ich nur noch Texte finden, die nicht scheiße sind oder nerven. Die man tausend Mal singen kann und es ist immer noch okay. Aber inhaltlich habe ich nicht unbedingt eine Botschaft, die ich vermitteln will. Niemals. Ich brauche halt irgendwas, was ich singen kann. Also ich singe auch gerne und Worte sind schon auch schön. Aber es kommt immer erst an zweiter Stelle.“

In diesem Zuge erzählt Dagobert auch von den Ambient-Alben, die er unter dem Namen „Fang“ veröffentlicht. Allein 2023 sind es bereits neun Alben, das letzte trug den Namen „Wie es sich anfühlt Dagobert zu sein“. Demütig fügt er noch hinzu „Also ich mein das hört kein Mensch. Das musst du dir auch nicht antun“. (Kleine Notiz am Rande: Falls ihr auf Ambient steht, tut es euch mal an. Es lohnt sich!)

„Doch ich vermisse dich und würd viel lieber bei dir sein.

Und wie es scheint die Blumen auch, denn ihre Köpfe

hängen runter so wie meiner bis zum Bauch. Und weinen

tun sie auch.“

Dagobert – Dagobert und die Blumen

Das lange Rauschen nach „Schwarz“

„Schwarz“ lässt sich Zeit, es wurde nicht auf Spotify-Algorithmen oder ähnliches geachtet. „Ich wollte mir einfach für jeden Song genug Zeit lassen, deshalb gibt es auch längere Intros. Ich wollte nicht alles gezwungenermaßen in dieses Pop-Format reinpressen“. Dagobert fügt außerdem hinzu: „Beim letzten Song ‚Schwarz‘ gibt es ein besonders langes Fade-Out, wo nur noch Rauschen zu hören ist. Das liegt daran, dass es von einem Traum handelt, den ich vor Jahren mal hatte. In dem habe ich mich selbst umgebracht. Ich habe mich dann aufgelöst und dann war da alles schwarz und nur noch so ein Rauschen da. Deshalb wollte ich das auch da in dem Song drin haben. Weiß natürlich kein Mensch. Das kann man auch nicht so direkt nachvollziehen wahrscheinlich. Aber für mich war es wichtig, dass der dann noch eine Weile rauscht zum Schluss. Deswegen.“

Quasi eine Momentaufnahme

Dagoberts letztes Album „Bonn Park“ wurde von verschiedenen Musikjournalist:innen in die Trash-Pop Schiene geschoben. Verständlich, „Ich will ne Frau die mich will“, „Warum Wieso Weshalb“ oder auch „Du fehlst mir“ eignen sich wirklich gut zum betrunken in einer Altherrenkneipe zu schunkeln. „Schwarz“ fällt da erstmal aus der Reihe und zeigt wieder mehr einen düsteren, schwermütigen, aber auch sanften Dagobert. So ist das nun mal mit Künstler:innen und ihren Alben. Sie verändern sich mit der Zeit und das ist auch gut so. „Ja, es ist anders. Das liegt auch sehr an der Wahl des Produzenten und der Songauswahl natürlich. Aber ich werde wieder in alle Richtungen weiter machen. Ich werde jetzt nicht nur noch so düsteres Zeug veröffentlichen. Das ist jetzt eine Momentaufnahme quasi“

Das neue Album „Schwarz“ erscheint diesen Freitag. Bis dahin kannst du dich mit „Todessehnsucht“ schon mal drauf einstimmen: