Girlwoman im Interview: „Ich mag diese Sounds, die nicht wie von dieser Welt wirken.“

Abgespaced beschreibt die Musik der Künstlerin Girlwoman, die eigentlich Axana heißt, sehr passend. Mit ihrem frisch veröffentlichten Debütalbum „Das Große Ganze“ spielte sie sogar im November noch ein paar Konzerte, eins davon in Berlin. Ich habe sie und Produzent Rasmus daraufhin auf einen Kaffee getroffen – Was Verlorensein, die Nacht und Mario Kart mit ihrer Musik zu tun haben, erfahrt ihr nun hier.

Als ich mir spontan Konzerttickets für Girlwoman kaufe, kenne ich nur einen Song. Weiter schlimm finde ich das nicht, ganz im Gegenteil. Es ist ein bisschen wie ins Kino gehen ohne sich vorher den Trailer angeschaut zu haben – Natürlich kann der Film ein Reinfall sein, andererseits wird man vielleicht mehr als positiv überrascht, wenn man sich blind in etwas hineinbegibt. Also taste ich mich im Dunkeln nach vorne und werde prompt von der Bühnenpräsenz von Axana überrollt. Wie gerade frisch auf der Erde gelandet steht sie im Scheinwerferlicht, singt und erzählt den Zuschauer*innen von ihrem eigenen, kleinen Kosmos. Untermalt von primär elektronischen Sounds verwandelt sich das Konzert zum Ende hin fast in ein Rave. Ganz benebelt von dem Erlebten kann ich nicht anders als nach einem Interview zu fragen. Etwas in mir möchte besser verstehen, wie sie die Welt betrachtet und in Songs verpackt. Und so kommt es, dass ich ihr und ihrem Bandkollegen Rasmus eine Woche später in einem Café wiederbegegne.

Als ich den Raum betrete, sitzen die beiden schon gemütlich hinten in der Ecke, Axana strickt. Nachdem dann auch ich ein Heißgetränk vor mir stehen habe, beginnen die beiden von der vergangenen Show zu erzählen. „Es war eine schöne Erfahrung, dass es auch live funktioniert. Ich wusste ja vorher gar nicht wie man mit den Menschen in den Austausch geht, die dort sind.“, schwärmt Axana. Für sie war der Auftritt gerade deswegen besonders, da das Projekt und die ersten Releases im Lockdown überhaupt erst entstanden sind. Auch das Debütalbum wurde da im Biotop der eigenen vier Wände kreiert. Sie erzählt wie es sich anfühlt einen Teil von sich selbst, der noch so unbeurteilt ist, hinauszuschicken. Allein schon in der Mixing-Stage. „Dadurch dass andere Menschen es sich anhören, es auch anders hören und Dinge soundtechnisch herauskitzeln, verändert sich viel. Und wenn es dann wirklich herauskommt, musst du es loslassen und gucken, wie die Welt es aufnimmt.“

Und da ist es nun, Das Große Ganze, gespickt mit abgespaceden Schallwellen und digitalen Metaphern. In Fata Morgana stehen beispielsweise die Zeilen „Du konstruierst mein Glasfaserherz“, aber trotzdem bezeichnet Axana sich als analogen Menschen. „Die Kontraste finde ich so cool. Wir leben natürlich gerade in einer Welt, die immer digitaler wird – Daran stoße ich mich und begeistere mich auch. Aber wenn man mir kein Handy in die Hand drücken würde, ich würd’s nicht benutzen. Da kommt eine Flut an Informationen und man muss immer offen sein, alles aufnehmen. Genau das spielt in Fata Morgana eine Rolle.“ Deswegen verbringt sie ihre Zeit viel abseits davon, gerade mit Illustrationen. Das Coverart des Albums und noch weitere Bilder, die thematisch mit den Songs verschmelzen, stammen von ihr. Mich interessiert, inwiefern die beiden Arten, sich künstlerisch auszudrücken, Hand in Hand gehen. „Ich nutze viele visuelle Eindrücke in meiner Musik. Diese Bilder sind schon in meinem Kopf kreiert und ich singe, aber male auch darüber. Es entsteht sozusagen aus einer Quelle und wirkt dann zusammen.“

Wir sprechen auch über die Dinge hinter den visuellen Bildern. Gerade Lyrics über das Verlorensein sickern immer wieder in Girlwomans Liedern durch, in denen man sich – paradoxerweise – wiederfindet. Axana führt dies darauf zurück, dass es ihr schwer fällt ein Heimatgefühl zu entwickeln. Ihre Familie kommt ursprünglich aus Russland, aufgewachsen ist sie hierzulande, und diese Mischform verschiedener Sprachen sowie Kulturen hindert sie daran sich zu verorten. „Es ist immer noch schwierig zu sagen wo ich herkomme, ich bin immer noch auf der Suche nach meinem eigentlichen Zuhause. Bestimmt spielt auch Tradiertes aus meiner Familiengeschichte eine Rolle, da meine Verwandschaft in abgetrennten deutschen Dörfern in Russland gelebt und weder in das eine Land, noch in das andere ganz reingepasst hat.“

Rasmus wirft noch eine andere Interpretation des Themas ein. Er spricht von einer eher depressiven Verlorenheit, die er im Song Monochrom beschrieben sieht: „Es geht für mich um dieses Zerbröseln. An manchen Morgen war es für mich immer der schwerste Moment, wenn man vom Bett aufstehen und den Tag beginnen muss. Klar, ich habe den Text nicht geschrieben, vielleicht meint Axana auch etwas ganz anderes, aber als Hörer finde ich mich da voll wieder.“ Wir interpretieren weiter, aber bleiben immer wieder an der Heimatthematik hängen. Schlussendlich scheint es am plausibelsten, dass man sich manchmal aktiv für ein Zuhause entscheiden muss und nicht ewig nach einem Ort suchen kann. Oder dass es vielleicht gar kein Ort ist. „Das Wohlfühlen merke ich meistens durch die Kunst, durch Farben, durch meine Wahrnehmung. Auch in Melodien spüre ich dieses ‚Hier bin ich richtig‘, ich glaube ästhetisch gesehen bin ich irgendwo zwischen Struktur und Form beheimatet. Und es gibt mir Sicherheit, dass ich das überall finden kann.“

Der bekannteste Song von Girlwoman, Rote Riesen schlafen nicht, lässt mich immer noch nicht los. Als ich sage, dass ich trotz intensivem Hören nicht greifen kann wer die roten Riesen sind, fragt Axana ob ich es denn wirklich greifen möchte. Natürlich könnte sie mir jetzt erzählen, wer diese sind, aber dann wären meine eigenen Bilder weg. „Ich finde es viel spannender, wenn Leute mir sagen, was die Texte für sie bedeuten. Ich wurde schon sehr häufig danach gefragt, aber die schönste Nachricht, die ich bekommen habe, war ob denn die sterbenden Sterne gemeint sind. Das wollte ich gar nicht kaputt machen!“ Und was passiert, wenn rote Riesen sterben? Sie werden zu weißen Zwergen, wie Rasmus uns aufklärt. Ein guter Titel für einen nachfolgenden Song, findet er. Wir bleiben beim Kosmos und sprechen über die Nacht, ein Sinnbild, das ebenfalls immer wiederkehrt. „Du wirst ganz auf deine Sinne zurückgeworfen, wenn du nichts mehr siehst. Du bist mit dir, mit dem was du hörst, riechst, fühlst. Das macht mich ganz ehrfürchtig. Und darin steckt ein bisschen das große Ganze, die Ehrfurcht vor all dem, was du kaum fassen und nur ein bisschen ertasten kannst, mit den Sinnen die du hast.“, erklärt Axana.

Musikalisch klingt das Album auch sehr nach Weltraum. Die Zutat für diesen bestimmten Sound sehen die beiden im Zufall. „Wenn wir mit Synthesizern arbeiten, dann benutzen wir random Arpeggiatoren – also kommen zufällig irgendwelche Töne. Dann nehmen wir eine Weile auf und suchen uns daraus einen Schnipsel, der auf das Setting passt, dass wir kreieren wollen. Ansonsten spielen wir Instrumente zwar analog ein, aber durch die Elektronik haben wir die Möglichkeit in einem Song 40 Geigenspuren übereinander zu legen. Ich mag diese Sounds, die nicht wie von dieser Welt wirken.“ Anscheinend bin ich aber popkulturell ein bisschen hinterher, denn als wir über das Lied Tick Tack Trauma sprechen, erzählt Axana, dass der Titel an eine Super Mario Kart Bahn angelehnt ist. Ich hatte eher auf Momo von Michael Ende getippt. Denn ganz so beschwingt zeigen sich die Lyrics nicht – Der moderne Zeitdruck wird thematisiert. Man arbeitet sich durch’s Leben um am Wochenende anzukommen, man macht alles nur für später und diese Zielsetzung scheint ihr suspekt. Sie plädiert mehr für den Moment, in dem wir feststecken. Eine Einstellung, mit der sie Momo ähnelt, welche sich in der Geschichte immer Zeit für die Menschen nimmt, um ihnen hier und jetzt zuzuhören.

So verlieren wir uns zu dritt immer weiter in philosophischen Gedanken über die Zeit und vergessen sie gleichzeitig. Irgendwann landen wir sogar bei Quantenphysik. Axana beendet das Thema mit der Aussage, dass die schönste Weise, Momente zu nutzen, sich ästhetisch auszudrücken ist. Man schaffe Werke, die bestehen bleiben. Zum Schluss kommt natürlich, wie immer, der Blank Space vom Picky Magazine, in dem die Künstler*innen noch ihre letzten Gedanken teilen können und sie meint: „Wir sollten viel zugewandter und netter zueinander sein. Es ist wichtig, nicht wie ein garstiger Grottenolm durch die Welt zu laufen und wenigstens zu versuchen, sich den Menschen gegenüber zuzuwenden.“ Mit diesen Worten schicke ich euch in eine besinnliche Weihnachtszeit.