Für mehr feministische Utopie und schillernde Weirdness im Pop: Ein Gespräch mit RAHEL

RAHEL (Fotos: Daria Savytska)

An der österreichischen Musikerin RAHEL kommt gerade niemand vorbei. Zwischen zuckrigen 2000er-Melodien sickern Texte hindurch, die sich der Schwere der Welt bewusst sind, aber sich nicht davon erdrücken lassen. Worauf man sich in ihrem Debütalbum „miniano“ freuen darf, warum Traumwelten bauen so wichtig ist und was der Barsch mit alledem zu tun habt, erfahrt ihr hier.

Entgegen der Fischreferenz ihres neuen Songs treffe ich die Musikerin im Posh Teckel, einer Neuköllner Bar mit Dackelthema. Die Fotos auf Google Maps zeigen, dass hier Pommes und sogar die Gurke im Gin Tonic in Hundeform serviert werden und ich freue mich mal wieder über die Kapazität dieser Stadt für jede erdenkliche Nische einen Platz zu finden. Auch RAHEL ist sehr angetan vom Ambiente. In Wien, wo sie lebt und wirkt, gäbe es solche Lokale nicht. Als sie vorhin in der U-Bahn saß, erinnerte sie sich an ihre erste Begegnung mit Berlin zurück: „Damals habe ich eine coole Band namens Hex Hex gesehen, die niemand kannte. Ein Freund und ich meinten erst es ist The xx – wir waren auch schon etwas besoffen. Aber da dachte ich mir, irgendwann will ich mal in Berlin ein Konzert spielen. Und jetzt, zehn Jahre später, in dieser Kneipe trägt es sich zu.“ In dem Moment ahnte sie wohl noch nicht, wie sie innerhalb kurzer Zeit mit ihrem deutschsprachigen Dreampunk, der viel mehr ist als bloß verträumt, auf vielen Bühnen stehen würde. Bis vor kurzem zierte auch der Satz „this could be your safe space“ RAHELs Instagram Bio – dass ihre Musik dies versucht ausstrahlen, hat einen Stellenwert in ihrem Tun.

„Ich habe das Gefühl, dass ich immer mehr dort ankomme, bei dem was ich machen mag“, erzählt sie, als dann das Wort Debütalbum fällt. Zur Zeit unseres Gespräches denkt sie noch sehr scharf über einen passenden Titel nach, jetzt ist klar: Es wird „miniano“ heißen und uns auf eine räselhafte Reise mitnehmen. „Lustige, kleine Sounds von einer Melodica sind zum ersten Mal dabei. Alles wirkt vielleicht ein bisschen hippie-esque, aber mit etwas Grunge und NDW. Ich kenne eigentlich nicht viele Leute, die diese Sachen so vermischen.“ Inspiration dafür kam für die Künstlerin, wie man erahnen kann, aus verschiedensten Ecken. Manche hören während des Schreibprozesses keine andere Musik, was sie spannend findet, jedoch gar nicht nachempfinden kann. Bei ihr liefen Platten von Mazzy Star bis hin zu dem Nino aus Wien. „Letztens bin ich aber auch ein bissel in Max Raabe reingekippt: ‚Ich möchte mich bei einem Kraken zärtlich unterhaken‘ sind Zeilen, die ich sehr fühle und die mir in der Poplandschaft fehlen. Manchmal wünsche ich mir mehr von so einer schillernden Weirdness.“

„Ich saß da entrüstet,
Hast du es geschafft,
Ein Panzer ist was Schweres,
Vielleicht hat was geknackt“

RAHEL – zum tag des barsches

Dass mehr Glitzern und Meerestiere den Weg in die Musikszene finden, dazu trägt RAHEL höchstpersönlich bei. Ihre Doppelsingle „bitte nicht in blicken / zum tag des barsches“ bewegt sich zwischen tiefem In-die-Augen-Gucken und harten Panzern vor Herzen – aber was hat das jetzt alles mit dem Fisch zu tun? „Das bleibt ein Rätsel… Aber es ist so, vier Tage nach Release soll anscheinend wirklich der Tag des Barsches sein. Man weiß jedoch nicht sicher, ob er existiert, denn am selben Datum ist auch der Tag der künstlichen Tierbefruchtung.“ Wir sind uns einig, dass diese Feierlichkeit als Songtitel wahrscheinlich zu lang geworden wäre. Währenddessen schlüpft die Musikerin aber auch gerne in andere Rollen innerhalb ihrer Texte: Im Falle von „bitte nicht in blicken“ versetzt sich das lyrische Ich in den unnahbaren Macho hinein, der eigentlich meist von Männern eingenommen wird. So findet sie gruselig bekannte Worte, die man von so manchem Tinderdate kennen könnte, welches sich vor Bindung scheut – nur poetischer. „Sexuelle Gleichberechtigung ist mir ein großes Anliegen, denn Gleichberechtigung sollte sich durch alle Bereiche des Lebens ziehen. Wenn man das Lied hört, versteht man glaube ich nicht sofort, dass ich darauf hinauswollte.“

Der Selbstschutz, der sich aus Angst vor Verletzung und wirklicher Innigkeit aufgebaut hat, wird in ihren spielerischen Metaphern zum Panzer. Wie aber nun schellt man nicht daran ab, wie bricht man einander auf ohne sich wehzutun? „Nicht alle Panzer sind dazu da geknackt zu werden, aber es kann sehr schön sein, wenn es passiert. Und das schafft man nur mit Vertrauen, vor allem in sich selbst.“ In „zum tag des barsches“ knackt es schlussendlich. Begleitet von romantischen Gitarrensounds haucht sie nun „Kann keiner sagen, ob er fliegt oder fällt“ ins Mikrofon, als wären es zwei Seiten derselben Medaille. „Ich denke, dass diese Sachen stets zusammenhängen. Ganz schlimme und ganz schöne Zustände sind sich vielleicht auch ähnlich – so habe ich auch ein EP namens ‚Die Allerschönste Angst‘ geschrieben. Man muss immer ein bisschen sterben, damit man fliegen kann“, sagt sie ernst und daraufhin müssen wir über die Dramatik des Satzes lachen. „Das ganze Album wird sehr dramatisch.“

Keine*r schafft es gerade so gut wie RAHEL Lichtblicke und große Gefühle in Liederform zu verpacken. Mit „Schaffner“ baute sie sich eine Traumwelt in Gestalt eines Sonderzuges, in dem Frauen im Stehen pinkeln und Schnurrbarthaare rosa sind. Im Gespräch betont sie wie wichtig es ist, auch utopisch zu denken, gerade innerhalb feministischer Kämpfe. „Wahrscheinlich könnte ich nicht existieren, wenn ich mich nicht manchmal in so etwas flüchte.“ Nun hat sie sich mit dem Album „miniano“ eben so einen Ort geschaffen, in den wir bald eintreten dürfen. Ein anderes, kleines Stück Utopie bieten auch die Auftritte der Künstlerin, wie an jenem Abend im Posh Teckel, welches im Rahmen des von FLINTA* geführten Newsletters ZWISCHEN ZWEI UND VIER stattfand. Bevor sie zum Soundcheck verschwindet, fallen noch die Schlussworte: „Ich hoffe, dass alle die harte Zeiten wie diesen Winter überstehen und vielleicht auf meine Konzerte kommen, um die Schwere dieser Welt kurz zu vergessen.“

RAHELs Debütalbum „miniano“ erscheint am 08.03.2024, hier könnt ihr sie begleitend dazu live auf ihrer „Auf die weiche Tour“-Tour erleben:

10.04.24 » Postgarage » Graz (AT)
11.04.24 » Posthof » Linz (AT)
13.04.24 » Arge » Salzburg (AT)
20.04.24 » Musik-Kulturclub Lembach » Lembach (AT)
24.04.24 » Milla » München (DE)
25.04.24 » Tsunami » Köln (DE)
26.04.24 » Häkken » Hamburg (DE)
27.04.24 » Badehaus » Berlin (DE)