Foto: Christoph Eisenmenger
Ende September schmeckt die Luft meist nach Umbruch und dem ersten Herbstregen. Das Sommerloch schließt sich und die Musikwelt pilgert nach Hamburg, um herauszufinden, welche Bandnamen ihr bald nicht mehr aus dem Kopf gehen werden. Wir waren auch beim diesjährigen RBF wieder vor Ort – hier kommt nun ein kleiner Spaziergang durch die Festivaltage.
Nachdem ich an der Reeperbahn ankomme, versuche ich erst einmal zu koordinieren, wie ich heute Abend bei drei Konzerten gleichzeitig sein werde. Die große Bandbreite an Acts erweist sich wie immer als Fluch und Segen, die Wahl fällt am Ende auf Anda Morts im Indra. Punk auf Deutsch, aber aus dem Nachbarland Österreich: Der Künstler weiß, wie man Wut und Melancholie verbindet, wie man humorvoll über Eltern singt, die einen immer noch nicht ganz verstehen. Live werden die Gefühlswelten noch spürbarer, graben sich durch Basslines in den Körper. Zwischen den Liedern sickert dann auch der Linzer Dialekt durch, wenn die Soundtechnik um kleine Anpassungen gebeten wird. Bei jeder dieser Pausen sage ich mir, dass ich nun wirklich nach dem nächsten Song gehen werde, um den Act danach auf meiner Liste nicht komplett zu verpassen. Irgendwann schaffe ich es mich versteckt inmitten applaudierender Hände hinauszustehlen und jogge Richtung UWE.
Schon von der Treppe aus wird eine vertraute, verhallte Melodie vernehmbar und ich nehme gleich mehrere Stufen auf einmal. Es sind die ersten Töne von „Into Your Eyes“, eines der softeren Stücke von Flawless Issues. Während Synthiesounds durch den Raum strömen, steht der Musiker in tiefrotem Licht zwischen einer Menge Rosen – ein Bild wie aus einem Traum, an den man sich nach dem Aufwachen nur schemenhaft erinnern kann. Doch ab dem nächsten Track ist es, im positivsten Sinne, mit der Ruhe vorbei. Der Moshpit öffnet sich und schließt eigentlich nicht bis zum Ende des kompletten Sets. Flawless Issues selbst wirft sich immer wieder hinein, singt seine Worte direkt in die Gesichter um ihn herum und sie singen zurück. Blumen fliegen durch die Luft, von denen zum Schluss nicht viel mehr übrig bleibt – so zerliebt sind sie von der Ekstase.
Voll Energie ist auch die Menge bei Fuffifufzich, als sie in Glitzeranzug unter Applaus die Bühne im Uebel & Gefährlich betritt. Sollte sich Aufregung in ihrem Gesicht breitmachen, verbirgt sie diese hinter ihrer Sonnenbrille. Was folgt, sind schillernde Darbietungen ihrer Diskografie, bei denen die Künstlerin genau weiß, wie sie ihre Zuschauer*innen abholen kann. So schreit auf die Frage hin, wer denn hier alles an Heartbreakerei leidet, erstmal ein ganzer Saal seinen Schmerz heraus – und es hat etwas merkwürdig Befreiendes an sich. Dass das Publikum sogar bei der Zugabe, die sich als Cover von Herbert Grönemeyers Song „Alkohol“ entpuppt, komplett textsicher ist, überwältigt dann auch sogar Fuffifufzich selbst.
Das Reeperbahn Festival lebt aber schlussendlich von den Überraschungen, von Auftritten, bei welchen man kurz innehält zwischen all dem Herumrennen – Baby’s Berserk war einer davon. In einem vollen Molotow Club um drei Uhr nachmittags herrscht durch die Performance der niederländischen Gruppe für einen Moment ein anderes Jahrzehnt. Robot-Dance und Sprechgesang, zurückgegelte Haare und schwarz umrahmte Augen: So eine immersive Bühnenpräsenz wie die der Frontsängerin hatte ich schon lang nicht mehr erlebt. Als ich da nun versunken stehe, denke ich daran, dass mein Vater wohl in seiner Jugend zu solcher Post-Punk inspirierten Elektronikmusik getanzt haben muss und werde ein bisschen neidisch. Gleichzeitig ist es ein schöner Gedanke, dass ein Festival den Raum bietet, um solche Entdeckungen überhaupt machen zu können.
Das Reeperbahnfestival fand dieses Jahr zwischen dem 20. und 23. September statt – hier bekommt ihr auch noch einen visuellen Einblick: