
In der zweiten Ausgabe der Eiskratzer Kolumne geht es um die digitale Wurst: KI und sämtliche Algorithmen in der Musikproduktion. Wo dürfen sie arbeiten, welche Bereiche überlässt man ihnen lieber nicht? Dem versucht Arthur anhand des aktuellen Status quo auf die Spur zu kommen.
Hochkarätige Feuilletonisten haben bestimmt schon 10mal erörtert, wo der philosophische Knackpunkt in der Entscheidung liegt, sich irgendetwas von einer KI befehlen zu lassen. Aber auch Alltägliches: “wie lange limo ins eisfach ohne platzen”, “wie viele Kalorien haben Käsespätzle”, oder “Fahrrradschloss klemmt Hausmittel” (ein Auszug aus meinem ChatGPT-Verlauf) lässt vermuten, dass wir Menschen nicht mal mehr Bock darauf haben, mehr als dreimal zu scrollen, um komfortabel Lösungen für unsere kleinen Alltagsproblemchen zu finden. Also muss eine Serverfarm irgendwo in Europa ran.
Und es kommt gleich noch schlimmer. ChatGPT kann Musik machen. Midi-Melodien ausgeben, Drumpatterns generieren, alles mit einem unvergleichlich langweiligen Youtube-Typebeat-Geschmack. Und dass Algorithmen im Milliardenwert uns bei Apple Music, Spotify oder Soundcloud Musik empfehlen, ist eigentlich auch ein viel zu großer Schritt in Richtung Monokultur der eigenen Musikbibliothek.
Ohne NTS, radio blau, Byte FM, Foundation FM oder den Plattenladen meines Vertrauens hätte ich bestimmte Genres nicht mit dem Arsch angeschaut. Aber manchmal braucht es eine super verkratzte Single für zwei Euro fünfzig, um den Horizont zu erweitern. Und keine “heavy rotation playlist”, die sich bei mir immer mehr anfühlt wie eine Lohnarbeitswoche ohne Spaßgetränke.
Also, wir finden KI scheiße. Oder? Naja. Zumindest den generativen Teil. Der Teil, der Text sprechen kann, wird von dem Duo Headache, bestehend aus Vegyn und Francis Hornsby Clark, auf einen Joyride ausgeführt. Das Album, was hier entstanden ist, heißt „The Head Hurts but the Heart Knows the Thruth„.
Es hat eine unbestreitbare Abstrusität, sich von der selben Stimme, die einem in der Youtube-Werbung unnötige Küchengadgets von Temu verkaufen möchte, wunderbar komische Lyrics ins Ohr hauchen zu lassen. Das Album hat dadurch einfach einen witzigen, zeitalterbezogenen Unique Selling Point. Und die Klangkulisse von Vegyn lässt keine Wünsche offen.
Ich glaube, die Faszination für das Synthetische ging schon los, als Kraftwerk den Vocoder in den 80ern ausgepackt hat. Von daher eigentlich klar, dass jedes neue technische Spielzeug erstmal ausprobiert werden muss. Aber die Grenze sollte meiner Meinung nach da gezogen werden, wo die musiktheoretischen Grundsätze anfangen. Die KI wird nie verstehen, warum die Amen-Breaks für Drum and Bass unerlässlich sind oder wie der ideale Skit eines Hardcore-Albums aussieht. Sie wird immer nur das imitieren, was schon da ist. Und Einheitsbrei ist halt eklig.
Jetzt könnte man natürlich sagen, dass KI schon lange in der Musikproduktion eingreift. In dem Moment, wo die Produktionssoftware vorschlägt, das Tempo des Tracks anzupassen, oder Noten auf die perfekten 16tel quantisiert. Oder für einen schmalen Taler den selbst gemachten Track online mastert. Aber seit 2020 gibt es noch abstrusere Abbilder der kompletten Robotiserung musikproduktioneller Vorgänge. Youtube-Channels für Gamer, die 24/7 KI-generierte Musik produzieren und streamen, KI-generierte Entspannungsmusik im Sauna-Bereich des Gyms, oder ganze Mashups, die nie von einer menschlichen Hand abgestimmt wurden. Mühsame Kleinarbeit geht flöten.
Vielleicht muss man ab jetzt einfach trennen: Es gibt Musik, die hat so viel künstlerischen Anteil wie Kaffee-Wandtattoos in Ferienwohnungen, und dann gibt es Musik, die einen Platz an der Wand in einer Galerie verdient. Es gibt Musik, die die Stille im Cafe oder im Fahrstuhl verdrängt, und Musik, die auf Bühnen stattfindet. Mit dieser Einteilung kommt dann das beschämte Gefühl, wenn man aus Versehen zu einem Song aus der Werbung mitsingt.
Unterm Strich sollen einfach alle selbst entscheiden, wo, wann und wie Musik im Alltag bei ihnen stattfindet. Man kann ja bekanntlich niemanden zum Jagen tragen.
Die perfomative males, die Clairo mit Absicht an der Ampel laut drehen, die Bluetoothboxträger in der Innenstadt, oder die Top 50 Charts-Playlist on repeat beim Imbiss des Vertrauens, alle konfrontieren die Trommelfelle mit anderen Realitäten als den eigenen. Und nur so kann man die verbotene Passion für fremde Genres entdecken. Ich ziehe zwar meine Comfortzone-Musik auch aus dem Für Dich-Mix von Streamingdiensten, aber der digitale Tellerrand wird dann eben von einem Algorithmus definiert. Und das wird schnell langweilig. Also ran an CD-Sammlungen der Eltern, lasst euch von euren Freund*innen auf das Metal-Konzert mitschleifen, hört Klassikradio, lest Musikreviews.