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Derya Yildirim & Grup Simsek in Kassel: Emotion, Protest und psychedelische Klänge

Zu sehen sind die vier Mitglieder von Derya Yıldırım & Grup Şimşek auf der Bühne in Kassel.

Derya Yıldırım & Grup Şimşek bei ihrem Konzert im Kulturzelt Kassel. (Foto: @hnsrud)

Letzte Woche trat die Sängerin und Bağlama-Spielerin Derya Yıldırım mit ihrer Band Grup Şimşek im Kulturzelt Kassel auf. Auf dem Festival an der Fulda verkörperte die Band leidenschaftlich, warum anatolische Musik derzeit wieder über die türkische Community hinaus Wellen schlägt. Von einem Abend, der unironisch ins Herz ging.

Die Suche nach dem perfekten Sound beschäftigt viele Artists und Bands jahrelang – und manche ihr ganzes Leben. Derya Yıldırıms Musik klingt meist sehnsüchtig warm, aber manchmal zeigt sie sich auch von ihrer rebellischen und suchenden Seite. Am Donnerstag schien es in Kassel so, als sei der Grundstein für die akustische Symbiose der Sängerin und Multi-Instrumentalistin mit den drei Musiker*innen ihrer Band Grup Şimşek schon immer da gewesen.

Derya Yıldırım ist in Hamburg geboren und aufgewachsen, heute lebt sie in Berlin. Anatolische Musik nahm in ihrer Familie einen großen Stellenwert ein und wurde damit unweigerlich zum Soundtrack ihrer Kindheit und Jugend. Ihr musikalisches Schaffen ist besonders von der Bağlama geprägt. Die Langhalslaute ist das zentrale Begleitinstrument in der traditionellen türkischen Musik und für ihren schillernden Klang bekannt. Derya Yıldırım studierte an der Hamburger Musikhochschule und an der Universität der Künste in Berlin. Sie war die erste Studentin in Deutschland, die die Bağlama im Hauptfach studierte. Im Frühjahr erschien ihr drittes Album „Yarın Yoksa“ mit ihrer international besetzten Band Grup Şimşek.

Es ist die enge Verflechtung der anatolischen Rock- und Folk-Musik mit Derya Yıldırıms Identität, die beim Konzert in Kassel immer wieder durchschien. Seit dem Erfolg von Bands wie Altin Gün ist anatolischer Psychedelic Rock auch in Indie- und Alternative-Kreisen in Westeuropa angesagt. Für manche mag der Mix aus Retro-Synths, psychedelischen Melodien und Percussion eine willkommene Gelegenheit auf der Suche nach der nächsten exotischen Klangexpedition sein. Doch für Derya Yıldırım ist er weit mehr als das. Die Musik ist ein Teil von ihr. Und sie hat etwas zu sagen.

Volksmusik in neuem Anstrich

Derya Yıldırım spricht immer wieder aufrichtig über Volksmusik – so auch in Kassel. Für die meisten Menschen unter 40 weckt der Begriff Erinnerungen an irritierende Samstagabende vor dem Fernseher bei den Großeltern. Für Derya Yıldırım ist er hingegen ein persönlicher Auftrag. Ihre Mission: Sie will türkische Volksmusik ins Hier und Jetzt übersetzen. Stumpfe Nostalgie und eingefrorene Tradition? Das ist für sie nichts wert. Schon in den 1970er Jahren war der Anadolu Rock das zentrale Sprachrohr der gesellschaftlichen Linken und der Protestbewegungen in der Türkei. Die Musik als Zeichen des Protests gegen die politischen Missstände und als Mutmacher gegen die Ohnmacht – das passt auch gut in die heutige Zeit, findet Derya Yıldırım.

Statt an alte Männer in Tracht, die mit Akkordeon und Gitarre in einer Südtiroler Alpenlandschaft stehen, denkt Derya Yıldırım beim Wort „Volksmusik“ an die Dörfer in der Türkei, aus denen ihre Familie und die ihrer Freund*innen stammen. Sie singt über den Mond, der sich nachts im Meer an der Küste Istanbuls spiegelt, über die Liebe, die süß wie Honig ist und über den Schmerz, wenn die Heimat zurückgelassen werden musste. Existiert ein altes Lied in vielen Variationen, weil es in jedem Dorf auf eine andere Melodie gesungen wurde, entscheidet sie sich für die Version, die ihre Großmutter immer gesungen hat. Die Bağlama ist für Derya Yıldırım Werkzeug und Tor zum Kern dieser kulturellen Identität. Dass sie dabei einen Sound kreiert, der das Publikum auf der Fusion ebenso begeistert wie in der Elbphilharmonie, erscheint dabei fast wie ein Nebeneffekt.

Derya Yıldırım ist das, was man authentisch nennen könnte, würde der Begriff nicht so inflationär verwendet werden. In Kassel öffnete sie sich einem zunächst beobachtenden Publikum – und wurde mit Begeisterung belohnt. Neugierde und Offenheit sind der Schlüssel zu dem besonderen Gefühl, das die Musik von Derya Yıldırım & Grup Şimşek auslöst. Die Emotionen kommen an – egal ob jemand alle türkischen Wörter oder kein einziges versteht. Die Band sorgt für besondere Momente durch ihre herausragende Musik, sie vermittelt aber auch und baut interkulturelle Brücken. Künstler*innen wie sie sind heute wichtiger denn je.

Hört rein in Cool Hand“ vom aktuellen Album Yarın Yoksavon Derya Yıldırım & Grup Şimşek:

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