„Das Chaos steckt in uns“: Ein Gespräch mit Buntspecht darüber, in der Kunst Kind zu bleiben

Fotos im Beitrag: Michelle Rassnitzer, Luise Böker

Mit ihrem verspielten Sound und Texten, die eigene Welten bauen, hat die Band Buntspecht sich einen Namen gemacht. Im November erschien nun das neue Album ‘An das gestern, das nie morgen wurden darfte. Ich warte’ – ich habe die Wiener vor einem Auftritt getroffen, um ein bisschen den Entstehungsprozess zu bereden und wie wichtig es ist, in der Kreativität das Erwachsensein zu vergessen.

Während es draußen schon dunkel geworden ist und sich ein nächtlicher Frost über die Stadt zu legen beginnt, quellen warme Töne aus dem Festsaal Kreuzberg. Hier wird Buntspecht heute Abend in großer Besetzung den Winter und die Schwere der Welt verdrängen, jedenfalls für einen kleinen Moment. Der Soundcheck scheint gerade in den letzten Zügen zu sein, als ich für das Interview ankomme, Klänge prallen an den Wänden des noch leeren Raumes ab. Trompeter und Sänger Florentin sowie Schlagzeuger Florian, vorgestellt als ‘die beiden Flos’, setzen sich daraufhin mit mir in einen schallgeschützteren Teil des Backstages und wir fangen an über den Kontrast des Tourstops im Vergleich mit Wien zu sprechen. “Berlin hat für mich immer ein ganz eigenes Gefühl gehabt – extrem intensiv, extrem lebhaft und kalt auf eine Art. Das hört man auch in der Musik, die von hier kommt. Manchmal ist mir die Stadt zu viel, an anderen Tagen taugt mir das voll.”, erzählt Florentin und sein Bandkollege schließt sich an. Die Größe, die Ballung seien sie von ihrem Zuhause nicht gewöhnt.

Durch die Shows verbringt die Gruppe nun gerade viel Zeit an anderen Orten. Das erste Mal Reisen mit dem Nightliner (laut Florian ein Gamechanger), das erste Mal die frisch erschienenen Songs für gierige Ohren spielen dürfen. Auch das Publikum heute wird in wenigen Stunden durch den Saal springen, angetrieben durch die Energie von Buntspecht. Wenn ich überlege, welches Gefühl ihre Musik am meisten auslöst, komme ich jedoch schlussendlich auf Geborgenheit. Sie entführt in Traumwelten und doch fühlt man sich in der eigenen Realität irgendwie verstanden – mit welcher Hoffnung schickt die Band ihre Songs normalerweise hinaus in die Welt? “In erster Linie machen wir das für uns, aber wir haben das große Glück, dass unser Geschmack auch anderen gefällt. Ich bin trotzdem schon immer ziemlich aufgeregt davor, wie es angenommen und ob es verstanden wird.”, so Florian. Der Menge an Stimmen im Festsaal Kreuzberg nach zu urteilen, die lautstark Lyrics von ‘An das gestern, das nie morgen wurden darfte. Ich warte’ mitsingen, handelt es sich um einen Empfang mit offenen Armen.

„Jeden Tag
Steigst du in die Wolken
Für den Schlaf,
Träumst von Revolten
Am Morgen danach,
Und du trägst noch immer Blumen im Haar“

Buntspecht – Erdgeschoss (Blumen im Haar)

“Die Texte, die Grundideen kommen hauptsächlich von Luki und Florentin. Dann stöpseln sich alle so dazu, probieren aus und es wird gestritten und noch gestritten, bis man einen Konsens findet. Wiederum Lieder wie ‘Mojo Risin’ spielt man einmal und weiß direkt, dass es passt, andere bleiben auf der Strecke, da wir uns nicht einigen konnten.”, meinen die beiden, als ich nach dem Entstehungsprozess des Albums frage. Manche Stücke bräuchten auch ihre Zeit, müssten radikal auf den Kopf gestellt werden, um plötzlich für alle zu funktionieren. Sie sehen es als Vorteil eine große Band zu sein, in der jede*r aus verschiedenen Musikrichtungen kommt und damit den Sound von Buntspecht formt. “Es ist urspannend gemeinsam kreativ zu sein, Kompromisse einzugehen – trotzdem würden wir nie drüberfahren, wenn jemand Veto einlegt.” 

Ich spreche nun die Zeile an, die mir seit Hören der neuen Platte im Kopf nachhallt. In ‚Alles bricht (Lächerlich)‘ fallen die Worte “Würden die Dinge nicht brechen, würden sie uns niemals treffen” und Florentin versucht sie nochmals auszuformulieren. “Wenn etwas bricht, wirkt das zwar meist nicht positiv, aber es ist auch wichtig, dass es uns etwas trifft. Das Chaos steckt in uns und es gehört dazu.” Sein liebster Text ist der Monolog in ‘Oh Boy’, der wie eine Traumsequenz den Song verändert und gerade in dem Moment, in welchem man voll und ganz eintaucht, wieder vom Rhythmus verschluckt wird. Für Florian sticht eine andere Stelle heraus: “Ich finde ‘Du trägst noch immer Blumen im Haar’ kann einerseits für ein Erwachsenwerden stehen, welches das Naive, Pittoreske nicht ablegt, oder auch für den Appell ‘Komm, werde endlich erwachsen’. Es ist eine schöne Metapher dafür, diese Zeit hinter sich zu lassen, sie aber nicht zu vergessen.”

Diese Einstellung scheint sich durch Buntspechts Werdegang zu ziehen: Im Lied ‘Wir’ aus dem Jahr 2019 antworten sie auf die Frage wie man liebt mit „Wie ein Kind“, während ihren Auftritten verlieren sie nie das Spielerische. Wie wichtig ist es manchmal jung zu bleiben? Warum fällt uns das oft so schwer? “Ein spielendes Kind bildet eigentlich den Zugang zum Kreativsein – Du machst, ohne groß zu hinterfragen, was du tust. Als Erwachsener zurückzukommen in so einen Modus kann sehr schwierig, aber sehr schön sein.”, beginnt Florentin und Florian nickt zustimmend. “Sich das Spielen zu behalten ist auf jeden Fall wichtig. Zu durchdachte, konkrete Kunst funktioniert für mich auch nicht wirklich.” Der Alltag lässt dies leider selten zu, weshalb die Band sich für das Album einen Monat lang in einer Blase im Burgenland verschanzte, um sich einen Raum dafür schaffen zu können. Heraus kam eine Ansammlung von Klangkulissen, die düsterer erscheinen als die Diskographie bisher, doch von Hoffnungsschimmern durchzogen sind. Florentin, der parallel am Plattencover malte, verbildlichte unterbewusst die Gefühlswelten und Texte, wie er erzählt.

Die Musikvideos zu den Singles zeigen sich wieder verspielt: Sie bestehen primär aus den Bandmitgliedern, die Fische oder Blumen als Masken tragen, während sie sich durch Wien bewegen. “Wenn die Ressourcen und die Zeit knapp sind, muss man Ideen schnell und simpel umsetzen. Es gibt keine große Planung, wo wann welche Szene gedreht wird, sondern ‘Setz’ dir den Fischkopf auf und ich nehm’ eine Kamera mit!’ Diese Spontanität, lieber einen Gedanken verfolgen als zehn zusammenzufügen, das kann manchmal besser passen.” Wir kommen langsam zum Ende und merken, dass wir immer wieder auf die Rückbesinnung zum Kindsein stoßen. Als ich nach letzten Anliegen frage, plädiert Florian nochmals dafür, sich das Spielen zu behalten und Florentin sagt mit verheißungsvoller Theatralik: “Wie viel müssen wir vergessen, um wieder Kind zu sein?

Das Album ‘An das gestern, das nie morgen wurden darfte. Ich warte’ von Buntspecht erschien am 10.11.2023 und hier könnt ihr hineinhören: