Blush Always steht kurz vor Veröffentlichung ihres Debütalbums (Foto: Still aus „Coming Of Age“)
Blush Always ließ mit ihrer Debüt-EP “Postpone” vergangenes Jahr viele Gitarrenmusik-Liebhaber*innen aufhorchen. Morgen erscheint ihr Debütalbum “You Deserve Romance” via Embassy of Music.
Genau einen Monat vor Release ihres Debütalbums “You Deserve Romance” treffe ich Blush Always in einer Bar im Grindelviertel. Katja und ihre Band sind gerade auf Durchreise zum NORDEN Festival in Schleswig – Ein Zwischenstopp in Hamburg war zum Glück noch drin. So sprechen wir an einem spätsommerlichen Nachmittag über Sally Rooney, den Status quo von Gitarrenmusik in Deutschland und den Mut, die Scham zu überwinden. Doch zuerst erzählt Katja die Geschichte davon, wie sie überhaupt zum ersten Mal so richtig mit alternativer Gitarrenmusik in Berührung gekommen ist.
Nach dem Abitur verschlägt es sie nach Neuseeland, dort lebt Katja vorübergehend mit zwei Kunststudent*innen in einer WG zusammen, die sie mit in ihren Freundeskreis aufnehmen, der zu großen Teilen aus Musikschaffenden besteht (unter ihnen auch die australische Indie-Rock-Band The Beths). Auckland entpuppt sich schnell als ein von der ansässigen Musikszene geprägter Ort: DIY-Konzerte stehen auf der Tagesordnung, jeder spielt mit jedem in den unterschiedlichsten Konstellationen und Bands zusammen. “Manchmal gab’s da Bands nur für so ein Konzert, aber die Leute sind dann wieder auf einmal in einer anderen befreundeten Band gewesen. Das war für mich das erste Mal, dass ich gesehen habe, dass man auch Musik machen kann, wenn man nicht Avril Lavigne ist. Man kann das einfach mit seinen Freunden machen und das macht voll Bock.” Der inspirierendste Faktor war allerdings folgender, erinnert sich die derzeit in Leipzig lebende Musikerin: “(…) Das war alles Gitarrenmusik mit ultra vielen Frauen auf den Bühnen. Das kannte ich bis dahin irgendwie nicht. Dann fand ich die alle so cool und lässig mit ihren Gitarren und dann wollte ich das auch unbedingt machen.” Zurück in Deutschland schreibt sich Katja für ein Psychologiestudium in Kiel ein und nimmt, ein Glück, will man sagen, fortan selbst die E-Gitarre in die Hand.
Nun steht die Veröffentlichung ihres ersten Albums bevor, das eine mehr oder minder schwere Geburt hinter sich hat. Beinahe ironisch erzählt sich der Titel von Blush Always Debüt-EP “Postpone” im Albumprozess weiter, als Katja im vergangenen November verkündete, das Release von „You Deserve Romance“ bis auf Weiteres zu vertagen. “In der Zwischenzeit sind dann viele neue Songs entstanden, die auch thematisch gut zum Album gepasst haben”, erzählt sie. So werden vier Songs auf dem Album noch ausgetauscht. Anstatt die bereits bestehenden EP-Songs mit auf die Platte zu pressen, gesellen sich neue dazu. Unter ihnen die drei Singles “Coming Of Age”, “Oddly Romantic” und “Your Call”. Thematisch sollen die neuen Songs noch mehr gepasst haben und viel wichtiger als das: Es habe sich einfach besser angefühlt. “Die vier neuen Songs sind jetzt auch mit meine Liebsten auf dem Album, es passt so, wie es jetzt ist, besser zu mir“, gesteht Katja, nachdem wir vorne an der Theke bestellen und uns im Hinterzimmer an einen Tisch setzen, um in Ruhe über die Geschichten, Einflüsse und Gefühle, die mit am Album hängen, zu sprechen.
Eine dieser Geschichten ist der Albumtitel selbst. 2021 fällt Blush Always Sally Rooneys Bestseller Schöne Welt, wo bist du in die Hände. “Ich weiß noch genau, dass es in einem Teil des Buches darum geht, dass zwei Freundinnen, die nicht mehr in der gleichen Stadt wohnen, E-Mails schreiben. Diese E-Mails sind total lang und ausführlich wie eine Brieffreundschaft. Am Ende einer E-Mail schreibt die eine Freundin der anderen, in der sie sich über ihre Beziehung austauschen, You deserve romance.” Dieser Appell – so simpel wie auch berührend – erreicht Katja in einer Zeit, in der sie sich wünschte, er wäre ihr früher begegnet. Doch weil spät bekanntermaßen besser als nie ist, wird Rooneys Phrase zu Katjas Note to self. Jetzt, wo die Platte rauskommt, mutiert die an sich selbst gerichtete Notiz langsam aber sicher zu einem Friendly Reminder für die Allgemeinheit.
“Ich habe jetzt noch mal in dem Buch gesucht, wo genau der Satz steht und ich habe ihn einfach nicht mehr wiedergefunden. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es da drin stehen muss.” (lacht)
Wer die Seite wiederfindet, möge sich bei Blush Always melden. Danke. (Foto: Hannes Meier)
Das Album zeugt von einer sorgfältigen Kuration romantischer Begegnungen, intimen Tagebucheinträgen („Page 200“) und schmerzhaften, aber umso wichtigeren Erkenntnissen, die zwischenmenschliche Beziehungen betreffen. All das gebettet in einen nostalgisch angehauchten Sound, der Gitarrenmusik in den Kontext der Jetztzeit versetzt und mit klugen Details und spielerischen Momenten punktet.
Daran nicht ganz unbeteiligt ist Produzent Magnus Wichmann (u.a. Es brennt). Aufgenommen wurde “You Deserve Romance” in den lala Studios Leipzig, dem Wohnzimmer und kreativen Spielplatz Wichmanns, der auf “Postpone” bereits seine Finger im Spiel hatte. “Ich wurde von Lennart und Jakob (Anm. des Verf.: Leoniden) an ihn vermittelt, wir kannten uns vorher nicht“, erzählt Katja über den Beginn ihrer Zusammenarbeit. “Ich hatte generell keine Ahnung von Produzent*innen. Meine Vorstellung von Produzent*innen war absurd, glaube ich. Aber ich dachte irgendwie, dass das so Business Leute sind, die voll das Sagen haben. Ich hatte so Angst vorm Studio, aber dann kam ich da rein und da saß Magnus in seiner kleinen Bude, der alles andere als das ist: total einfühlsam, mir Zeit gibt und vor allem sofort verstanden hat, wo ich mit meiner Musik und meinem Gitarren-Sound hin will. Ich musste ihm nicht viel sagen, er hat direkt gecheckt, was meine Referenzen sind. Manchmal habe ich sogar das Gefühl gehabt, er konnte mir das von den Augen ablesen. Von da an war mir klar, dass ich mich dort sehr wohl und gut aufgehoben fühle und auch das Album mit ihm machen möchte“, führt Katja aus und betont im Anschluss: “Magnus schafft’s einfach, dass man sich wohl und gesehen fühlt und gibt einem das Gefühl, dass die eigenen Gedanken wertvoll sind, obwohl man nicht besonders gut musizieren kann (…)”.
Ähnlich sei es mit Dave (Gitarre) und Dennis (Bass) gewesen, die heute beide in der Live-Band mitspielen und im Aufnahmeprozess an ihren jeweiligen Instrumenten beteiligt waren. So arrangieren die vier auf Basis von Katjas Lo-Fi-Gitarren-Demos, die erstmal “mit so wenig wie möglich auskommen”, in einer Woche das Album fertig. Acht Songs in sieben Tagen, teils bis zu 13 Stunden am Stück wird gewerkelt, experimentiert und aufgenommen. Dabei bleibt der Maßstab aller Dinge das Gefühl: “Als mein Teil schon getan war, habe ich den Prozess dahingehend angeleitet, wie es sich anfühlen soll. Die Übersetzung in die eigentliche Musik haben die Jungs gemacht. Das heißt, der Indikator war eigentlich immer, ob sich das richtig anfühlt. (…) Wir haben alle gleichzeitig super viel in diesem Raum experimentiert und deswegen sind ein paar dieser Experimente auch auf den Songs zu hören. Ich selber bin eigentlich gar nicht detailverliebt, ich schreibe die Songs auf Gitarre eher basic.”
Umso besser funktionieren Katjas Demos als Fundament für den Aufnahmeprozess und lassen Raum für spielerische Ideen und Sound-Experimente. Diese Philosophie prägt die Studiozeit. So spielt Katja ihre, wohlgemerkt, rote Gitarre immer als erstes zusammen mit Gesang ein. “Das haben wir dann quasi als Backing-Track benutzt, uns einen Part rausgesucht, den geloopt und dann hat jeder für sich drauf rumgespielt und ausprobiert. Wenn jemand was Geiles hatte, haben wir es direkt aufgenommen und immer so weiter. Am Ende haben wir dann in jedem Part das rausgeschmissen, was wir nicht mehr brauchen”, erläutert sie die Vorgehensweise. Eine Destillation der nachhaltigsten Ideen.
Blush Always sagt der Scham den Kampf an
Das Gefühl taucht als Parameter bei Blush Always immer wieder auf – nicht nur beim Arrangieren. Das Offensichtlichste in diesem Zusammenhang ist die Scham, wie der Projektname bereits andeutet. In “Coming Of Age” wird sie lyrisch zum ersten Mal konkret benannt. Die Scham zu überwinden, sie sogar zur eigenen Marke werden zu lassen, habe gedauert: “Erstmal habe ich voll lange gebraucht, um zu erkennen, dass das, was mich davon abhält, Sachen zu machen, Scham ist. Das Gefühl überhaupt benennen zu können und zu erkennen, dass es so ein krasses Vermeidungsverhalten bei mir ausgelöst hat, hat gedauert.” Dieses Vermeidungsverhalten soll zur Konsequenz gehabt haben, dass die Scham immer größer, de facto unaufhaltsam wurde. Wie eine nicht zu stoppende Lawine, die dafür gesorgt hat, dass Katja sich fürs Erste zurückhält. “In Bezug auf Musik habe ich mich jahrelang nicht getraut, Songs zu schreiben, das Leuten zu zeigen oder mich auf eine Bühne zu stellen. Vor allem, weil ich immer rot geworden bin. Dann hatte ich Angst vorm Rotwerden, also die Angst vor der Scham selbst. Der Wunsch, Musik zu machen und in einer Band zu spielen, wurde immer größer, weil ich es nicht konnte, aber so sehr wollte.” Der Weg da raus? Sich selbst Rückgrat beweisen. “Irgendwann ist die Bombe zum Glück geplatzt, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Der einzige Weg daraus war, zu mir selbst zu stehen. So habe ich mich mit meinem Namen auch ein bisschen selbst ausgetrickst, weil ich mir damit automatisch erlaubt habe, rot auf der Bühne zu werden.”
Aus diesem Schritt schöpft Katja neues (Selbst-) Bewusstsein. Für sich selbst, aber auch für ihre Musik. “Es war auf jeden Fall empowering für mich, diese Scham zu überkommen, indem ich einfach gesagt habe: ‘Ich mache jetzt Musik’. Und dann habe ich auch ganz viel über die Musikindustrie gelernt – leider muss man sagen, aber auch zum Glück. Zu erfahren, wie das überhaupt ist, mit einer Band auf Tour zu gehen, wie das ist, vor Leuten zu spielen, die sich überhaupt nicht für dich interessieren, wie schwer das in Deutschland mit Rock- und Alternative-Musik ist.”
In dieser prägenden Zeit kristallisiert sich heraus, wer oder was Blush Always überhaupt ist: “Ich habe gelernt, wie ich als Künstlerin sein will und wie ich in Deutschland stattfinden kann und wie auch nicht. Ich gehöre, glaube ich, nicht auf diese großen Festivalbühnen, wo ich am Anfang vielleicht gerne hin wollte. (…) Auf Festivals wird einem gerne suggeriert, dass man nur ein guter Act ist, wenn man die Menschenmasse zum Hüpfen bringt – das sehe ich anders. Ich wurde von meinen Lieblingsacts noch nie dazu animiert, irgendwas für sie zu tun. Never. Und ich hab’s trotzdem jedes Mal genossen, da zu stehen und die Musik zu hören. (…) Sich nur auf die Musik und nicht das Drumherum zu konzentrieren, macht ein Konzert nicht schlechter, sondern true. Damit verbaut man sich aber auch, glaube ich, den Mainstream-Weg. Aber das nehme ich gerne in Kauf. Vor anderthalb Jahren hab ich das noch nicht so gesehen, das war auf jeden Fall ein Prozess.”
Auch wenn das Schärfen der eigenen künstlerischen Identität Einbuße bedeutet, Katja weiß, wo ihr Platz ist und wo nicht. Dabei habe vor allem das live Spielen geholfen: “Aber das ist ja auch eine Art von Selbstbewusstsein zu wissen, welche Musik man macht und wofür. So mega toll ich das auch finde, dass es viele andere junge Frauen gibt, die in Deutschland Gitarrenmusik machen, wir sind ja auch alle untereinander vernetzt, brauchte es einfach Zeit, um zu sehen, wer welchen Weg geht. Dass wir halt nicht alle gleich sind und in einen Topf geschmissen werden, sondern dass wir alle trotzdem auch sehr unterschiedlich sind. Da war für mich auch wichtig zu erkennen, was mich als Musikerin ausmacht. Was ist eigentlich unique an Blush Always? Das weiß man erst, wenn man paar mal live spielt.”
An dieser Stelle sagt Katja etwas Entscheidendes, das mich auch noch nach Verlassen des Cafés beschäftigen wird. Während deutsche Musikmedien dazu neigen, Gitarrenacts mit weiblicher Besetzung als eine homogene Bewegung darzustellen (touché an der Stelle), wird leider nur selten auf die Alleinstellungsmerkmale und Nuancen innerhalb der Szene eingegangen. Sicherlich ist das Betonen der Vielzahl der Acts und Bands, die in den vergangenen ein bis zwei Jahren regelrecht aus dem Boden geschossen kamen, gut gemeint gewesen. Doch wer Vielfalt wirklich fördern möchte, täte wohl gut daran, sich auch auf eben jene innerhalb der Subszene selbst zu konzentrieren. Das Pauschalisieren und Vergleichen ist trotz der löblichen Absichten wahrscheinlich nichts weiter als eine erneute Reduzierung aufs Geschlecht. Das Bedürfnis nach Einzigartigkeit ist vor diesem Hintergrund nicht nur legitim, sondern absolut nachvollziehbar. Ein wichtiger Einwand, mit dem man sich auseinandersetzen sollte.
Also hake ich nach: Hat Katja es als problematisch empfunden, dass weiblich gelesene Gitarrenacts aus Deutschland, wie sie selbst sagt, “in einen Topf geschmissen” wurden? “Ich habe mich eher gefreut, weil ich das Gefühl hatte, ich bin Teil von einer Szene, die ich vorher nicht gesehen habe. Wir sind halt alle zufällig zur gleichen Zeit ins Rennen gestartet und es sind ja auch immer die gleichen üblichen Verdächtigen. Mich hat es nie gestört, dass wir oft in einem Atemzug genannt wurden und trotzdem ist es mir wichtig, anders zu sein.” Ein berechtigter Wunsch, dem Blush Always auf ihrem Debütalbum nachkommt.
13 Songs, die facettenreicher nicht sein könnten, ohne dabei den Indie-Rock als musikalischen Bezugspunkt aus den Augen zu verlieren. Dennoch: Für Überraschungsmomente sei auf dem Album gesorgt. Mal sind es punchige Fuzz-Gitarren, die sich in die Gehörgänge drängen, ein andermal trifft Blush Always mit einer sanften Piano-Ballade direkt ins Gemüt. “You Deserve Romance” ist ein Album der Gegensätze, das in sich selbst einen Ruhepol errichtet. Unprätentiös, verletzlich, selbstermutigend.
Blush Always ist im Prozess dieses Albums erwachsen geworden, hat ihre Träume bei den Hörnern gepackt und sie in Gitarren-Melodien gegossen, die man nicht mehr missen lassen möchte. Es geht um (fehlendes) Selbstvertrauen, romantische Utopien und den Zauber uneingelöster Versprechen – wobei eins definitiv erfüllt wird.
Ein rot-blau-gelbes Versprechen
Blush Always ist zweifellos ein bedeutender Teil der aufkeimenden und paritätischer werdenden Indie-Alternative-Szene hierzulande, die zwischenzeitlich dem kreativen Koma zu erliegen drohte. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass sich das Projekt seine Einzigartigkeit nicht nur bewahrt, sondern in einer Dringlich- und Lässigkeit hervorhebt, die ihresgleichen suchen. Dieses Album verspricht nicht nur Gitarrenmusik, es lebt sie durch und durch. Music definitely is a feeling – listening to Blush Always feels damn good.