Foto: Chimperator Productions
Zwei Jahre mussten wir warten, jetzt pumpt das lang ersehnte zweite Studioalbum “Mann Beisst Hund” des Rappers OG Keemo endlich mit ordentlich Wumms aus den Boxen.
Einen epischen Auftritt hinlegen, das kann Keemo wie kein Zweiter. Das Streicherintro eröffnet das Tape wie den Beginn von einem Arthouse Film. Es folgt, als hätte man vom Funkvater etwas anderes erwartet, ein langsam einsetzender, laid-back Beat mit wummerndem Bass. Darauf erzählt Keemo die Geschichte eines Jugendlichen, der auf “Polo-Caps, rohe Faustgewalt und Marlboro Red / Afghan-Hasch und Franzosen-Rap” steht. Der junge Mann heißt Malik – und an dieser Stelle möchte ich den genialen Reim Malik auf Mosambik festhalten, der mich mehr begeistert hat, als es vielleicht angebracht wäre. Mit Maliks Worten „Fuck it, wer hat Bock auf Business?“ folgt mit einer weiteren filmreifen Streichersequenz der nahtlose Übergang zum Raub des Honda “Civic”.
Der gleichnamige Track ist eines der Paradebeispiele für die unglaubliche Arbeit, die der Funkvater auf diesem grandiosen zweiten Studioalbum Keemos geleistet hat. Anfängliche Claps, die stark an Snoop Doggs “Drop It Like It’s Hot” erinnern, leiten den Lautsprecher-zerberstenden Beat ein. Der Bass setzt ein und legt sich wie eine von diesen heftig schweren Daunenbettdecken über die Ohren der Hörer:innen. Eine kurz anklingende, kratzige E-Gitarren bricht gemeinsam mit einer Blechbläsersequenz den drückenden und gleichzeitig treibenden Sound auf. OG Keemos stetige Betonung der ersten Silbe erinnert fast an das Bellen eines Hundes. Das “Hund Skit” führt die Handlung vom “Anfang” fort.
„So ’n Hund ist gar nicht so groß anders als wir, wenn du überlegst.“
OG Keemo – Hunde Skit
„Malik“ erzählt die Story eines in Kriminalität verwickelten jungen Mannes. Und der Beat? Schiebt natürlich. Stress schieben gehört auch dazu, gleich in der ersten Line kommt der Hörer:in entgegen: “Sag, was denkst du, was das hier ist? Meine Neun ist kein Accessoire.” Gleichzeitig malt Keemo ein Bild von einer verdammten Jugend, denn “[d]er Block ist am brennen, tote Vögel fallen wieder aus der Luft.” – schlechte Omen gehören zum Alltag in der Hood.
OG Keemo – Malik
Auf “Big Boy” wird weiter von dieser Lebensrealität erzählt. Der Bitches, Crime, Guns-Lifestyle trägt die Story weiter. Besonders beachtlich: Der smoothe Beat-Switch von “Aufs Maul um jeden Preis”-Bass-Gewummer zu einem fast smoothen Jazz-Part.
Nachdenklich geht es auf “Vertigo” weiter. Keemo rappt von den Schattenseiten und dunklen Gedanken, die mit dem zuvor idealisiert dargestellten, kriminellen Umfeld einhergehen. Im Zuge dessen verweist er in einer Adlib auf den Song “Set” seines Debütalbums “Geist”. Passenderweise erzählte er schon darauf vom Block-Leben, Gang-Zugehörigkeit und der damit einhergehenden Kriminalität und “[rennt] vor niemand außer Cops.”
Nochmal in OG Keemos „Geist“ reinhören:
Beginnt das “Mann Skit” noch mit einem halb-philosophischen Monolog zum Unterschied zwischen Mann und Hund, endet er abrupt: “Die Bull’n” sind drauf und dran, die drei Jungs hops zu nehmen und unsere Story vorzeitig zu beenden. Zum Glück scheint der Fluchtversuch zu gelingen, denn auf “Suplex” geht die Fahrt mit dem Civic weiter.
Die adrenalingeladene Mood im Wagen wird vom nach vorne treibenden, rollenden Beat untermalt. Und nicht nur der eskaliert, langsam aber sicher kehrt Keemo auch textlich wieder zum Krawall zurück und droht mit einem “Chokeslam”. Außerdem steht alles im Zeichen des Verfalls, er “[zündet] den Mercedes an / [wirft] Hunnies aus dem Zehnten, der Block steht in Flamm’n.”
„2009“ und „Petrichor“ als Ruhepole des Albums
Es folgen die Ruhepole des Albums: “2009” und “Petrichor”. Mit Piano und phasenweise souligen Chören im Hintergrund hat das Instrumental von “2009” etwas von Lounge-Musik, textlich geht es aber gewohnt biografisch zu. Keemo reflektiert nicht nur seinen Lifestyle, sondern auch seine persönliche Entwicklung: Im Gegensatz zu der “Partie Uno”, die er auf dem “Skalp”-Tape mit seinem Vater spielt, ist es mittlerweile ein “Partie Schach” geworden. Und auch seinen Erfolg erkennt er an: “Ich esse gut für ‘nen Dude ohne Abitur.”
Auf “Petrichor” wird die soulige, ruhige Stimmung von “2009” weiter ausgedehnt. Maßgeblich dafür ist das von Sumpa gesungene Intro, das gemeinsam mit dröhnenden Bassflächen und einer elektrischen Orgel den Sound des Tracks prägt. Fast schon erdrückt vom Beat legt Keemo uns mit seiner ruhigen Sprechstimme Zeilen auf die Brust wie Backsteine. Petrichor, also der Geruch von Regentropfen auf trockener Erde, “bereitet [Keemo] auf Regen”, also den darauf folgenden Track, “vor.”
Mit dem Sound von “Regen” nimmt Keemo wieder Fahrt auf, denn “wenn es regnet, regnet’s richtig.” Der Rhythmus, der mit seinem unregelmäßigen Kick-Muster nach vorne drückt, macht es quasi unmöglich nicht mit dem Kopf zu nicken. Passend zum Namen des Tracks flowt OG Keemo so locker und gekonnt über Funkvaters Beat wie selten zuvor. Nicht umsonst durften wir den Track vor Veröffentlichung der Studioversion schon bei einer COLORS Session zu hören bekommen.
Auf “Töle” kommt Keemo wieder bei virtuosen Orgelsounds zu Ruhe und lässt sogar den Bass Nebensache sein – fühlt sich auf einmal ganz komisch an, wenn einem nicht das Trommelfell zerberstet wird. Dafür kommt Keemo stellenweise sogar ganz ohne Instrumental aus und schildert aus Maliks Sicht roh und ehrlich den Verfall und Verschleiß von einem seiner Jungs – aber auch von sich selbst, denn “dieses Leben hat [ihn] Zeit gekostet / [Sein] Gehirn ist Brei, [sein] Messer ist eingerostet”. Scheinbar haben sich die Wege der beiden schon lange getrennt, denn “[er] und das Viertel war ’ne schnelle Liebe.”
Das „Ende“ und Fazit
Was zum Ende des 17-teiligen Albums deutlich wird: Kunst geht über Mainstream. Denn mit dem sechseinhalb Minuten-Track “Vögel” kommt man zwar weder in die großen Playlists, noch ins Radio aber ganz sicher in die Herzen und Mediatheken der Fans. Dramatisch mit Streichern untermalt agiert Keemo auch hier wieder als Geschichtenerzähler seiner eigenen Biografie. Sein Handwerk stellt der 29-Jährige hierauf mit seinem organischem Flow unvergleichlich zur Schau.
Das “Ende” des Albums gestaltet sich mindestens genauso episch wie der “Anfang”. In einem Monolog schildert Keemo fünf Tage vor Albumabgabe den Struggle des Schaffensprozesses. Beat-technisch scheint im Outro das gesamte Album zusammenzukommen, irgendwo zwischen wummerndem Bass und ruhiger Untermalung. Und auch textlich schließt sich ein Kreis, mit den letzten Zeilen des Albums greift er sowohl das Mann-Hund-Motiv, als auch den Protagonisten Malik auf. In der Interlude werden wir Zeug:innen eines Dialogs: “Ja, wie kommst du zurecht in der Welt voller Hunde?“ – „Ey yo, ich versuch‘ nicht gebissen zu werden“
Letztendlich scheint der gebürtige Mainzer alles gesagt zu haben. Hoffen wir, dass er sich noch genug für ein paar Alben aufgespart hat.
Zusammenfassend muss man also erkennen: OG Keemo hat mit “Mann Beisst Hund” einen unvergleichlichen Epos geschaffen. Dazu kommt Songwriting vom Feinsten: Flüssige Reimketten mitsamt Wortspielen und selbst reflektierten, tiefgründigen Lyrics, die gleichzeitig Aufs Maul-Attitüde ausstrahlen, macht er sich zum Markenzeichen.
Und als wäre all das nicht genug ist dieses Album ein Paradebeispiel für gekonntes Storytelling. Sowohl der Funkvater, als auch OG Keemo selbst geben musikalisch und lyrisch alles dafür, uns eine Welt zu präsentieren, die für eine knappe Stunde voll und ganz Besitz über uns ergreift.