Vor einiger Zeit hatte ich bereits eine erste Aufzählung der ersten sechs Konzertbesucher, die du kennen musst, verfasst. Da diese echt gut angekommen ist, habe ich mir ein Herz und meinen Laptop gefasst und nochmal sechs Charakter und einen kleinen Bonus für dich aufgelistet. Um bei diesem Artikel auf das 100% Spaß-Level zu kommen, solltest du dir allerdings erstmal den anderen Artikel durchlesen! Ich hoffe sie gefallen dir mindestens genauso gut wie die ersten und vielleicht entdeckst du dich ja in einer dieser Figuren wieder 😉
1. Der Regisseur
Den Regisseur findest du meistens schon beim Warten in der Schlange. Das Smartphone X wird krampfhaft umklammert und alle zwei Sekunden gecheckt. Es werden kurz drei Nachrichten beantwortet, eine Insta-Story abgesetzt und zwei Snaps verschickt, dann klickt das Telefon wieder und der Bildschirm wird schwarz. In dem Moment, in dem der Transpirant anfängt zu arbeiten, drückt der Regisseur auf den Record-Button und lässt sein Gerät von diesem Moment an mitlaufen. Der Blitz wird natürlich angeschaltet, sonst könnten andere Besucher ja das Konzert genießen! Der Regisseur tanzt nicht, der Regisseur singt auch nicht mit. Nein, wie ein Fels in der Brandung steht er in der bebenden Masse und hält er das Smartphone wie ein Gymbal-System das komplette Konzert über auf derselben Position. Da freuen sich die 6 Follower auf Twitch, dass sie einen verpixelten Videomitschnitt irgendeiner Band sehen – und Mami ist natürlich auch mächtig stolz auf ihr talentiertes Influencer-Kind.
2. Der Entspannte
Der Entspannte ist einer der angenehmsten Konzertbesucher auf den man den treffen kann, hat aber trotzdem seine Tücken! Du erkennst ihn meistens an den schulterlange Haaren und dem kleinen Bauchansatz, der sich unter dem ausgewaschenen Band-Shirt seinen Weg in die Welt bahnt. Dazu trägt er tiefe Chucks in der Farbe, bei der ich mich immer frage, wer kauft die? Senfgelb oder blau. Ach so. Wenn du dich, egal ob absichtlich oder nicht, vor den Entspannten stellst und dich dann umdrehst, um zu schauen, ob du jemandem die Sicht versperrst, dann winkt er nur ab und lächelt. Das passt schon! Kein Problem. Der Entspannte ist die Art von Mensch, die sich sogar noch bei dir bedankt, wenn du dich vor ihn stellst.
Wichtig: Fange kein Gespräch mit dem Entspannten an, was du nicht auch zu Ende bringen willst. Denn wenn du ihn eine Sekunde zu lange anlächelst, sieht er dies als Einladung zum Gespräch in Zimmerlautstärke und fängt an mit dir tiefgründige Konversationen zu führen. Diese beginnen meistens ganz harmlos mit Fragen über andere Bands die du noch so hörst. Doch ehe du dich versiehst, bist du dabei, die Fleischindustrie vor diesem Veganismus zu rechtfertigen. Dabei wolltest du doch nur das Konzert genießen.
Um dieser Falle zu entkommen, gibt es nur eine Möglichkeit: Entferne dich physisch von diesem Konzertbesucher. Hinter dem Tänzer oder dem Transpiranten ist bestimmt noch Platz. Oder stellst du dich doch lieber vor die Zwergin?
3. Die Skepsis
Die Skepsis in Person sieht aus wie jemand, der eigentlich gar nicht da sein will. Und auch nicht weiß, warum er überhaupt da ist. Die Skepsis siehst du den ganzen Abend an der selben Position stehen, meistens der besten oder zweitbesten im ganzen Raum. Was für eine Verschwendung. Der Dresscode: Bootcut-Jeans, dazu ein Karohemd im C&A-Muster, Dockers, eckige Brille, und lieblos gestylte Halbglatze. Die Arme sind immer konservativ vor der Brust verschränkt, immer. Manchmal findet sich noch eine schwarze Kunstlederjacke dazwischen, aber das halten viele auch nur für ein Gerücht. Wie der Regisseur auch, tanzt die Skepsis nicht, sie singt auch auf keinen Fall mit. Manchmal fragst du dich, ob die Skepsis überhaupt geistig anwesend ist. Ist das Konzert zu Ende, verlässt die Skepsis auf direktestem Wege und wortlos den Raum, ohne auch nur auf eine Zugabe oder einen Merchstand-Besuch der Künstler abzuwarten.
4. Die Verzweifelten
Damit meine ich nicht Sylvester Stallone oder Arnold Schwarzenegger. Damit meine ich meistens ergrauende Frauen, die leicht an der Auszeichnung „milf“ vorbeigealtert sind und sich dessen langsam bewusst werden. Um noch mal alles zu geben, wird sich also betont jugendlich gestylt: Festival-Frisuren aller Art werden ausprobiert, Leggings und kleine Rucksäcke mit cuten Anhängern werden getragen. Diese Konzertbesucher bewunderst du insgeheim, denn du zollst ihnen Respekt dafür, dass sie in dem Alter so einen F*ck auf die Meinung anderer geben. Interessant wird es dann aber nach dem zweiten Gin Tonic, wenn sich die Eizelle nach Gesellschaft sehnt, und alles angegraben wird, dessen Alter sich im Bereich eigenes Alter geteilt durch zwei bewegt.
In diesem Moment bist du dann peinlich berührt, weil du kurz an deine eigenen Eltern denkst. Doch du wirst ganz schnell aus deinen Gedanken gerissen, denn der Tänzer holt von links gerade zum letzten Angriff aus und von links verfolgt dich immer noch der Seriöse.
5. Der Pseudo-VIP
Der Pseudo-VIP ist die Art von Mensch, die du in australischen Hostels an der Rezeption treffen würdest. Oder die Art von Mensch, die die erzählt, wie geil Ibiza war, obwohl er jeden Abend alleine nach Hause gegangen ist. Dementsprechend peinlich wird er dann auch vor den Augen aller anderen Konzertbesucher vom humorlosen Security, der den Backstage-Eingang bewacht, gekorbt. Geknickt von dieser Ablehnung, die natürlich nicht an ihm lag, fängt er an, die ihm am nächsten stehende Person, also dich, unaufgefordert damit vollzulabern, mit wie vielen Bands er schon Backstage abgehangen hat.
Auf deine Nachfrage, ob es davon Fotos gibt, bekommst du nur etwas gestammelt-ausweichendes als Antwort. Pikant: Gerade noch auf Instagram gepostet, ist plötzlich der Handy-Akku leer und der Benutzername vergessen. In der Situation wünschst du dir nur einen Jonathan Frakes herbei, der mit einem amerikanischen Wir-haben-Atomwaffen-Lächeln sagt: Sie haben geglaubt diese Geschichte sei wahr? Da muss ich sie leider enttäuschen, sie ist frei erfunden. Die Situation überfordert dich, deswegen begibst du dich an den Rand der Menge und dort erwartet dich
6. Der Kenner
Der Kenner ist inzwischen ein seltenes Exemplar geworden, denn mit dem Verschwinden der Plattenläden, stirbt auch ihr natürlicher Lebensraum langsam aus und die jungen sind noch nicht bereit, in dieses gigantische Erbe zu treten. Den Kenner siehst du immer am Rand stehen. Er hat einen langen grauen Pferdeschwanz, ein limitiertes Band-Shirt und eine alte, abgefetzte schwarze Lederweste. Keine Jacke. Eine Weste. Sein Blick ist sehr angestrengt, die rechte Hand stützt das Kinn und die linke Hand stützt den rechten Ellenbogen. Egal wie lange es die spielende Band schon gibt, er war 1972 als Roadie mit den Jungs auf Tour. Das waren wilde Zeiten.
Doch du solltest ihn nicht unterschätzen, denn sein Musikwissen ist gigantisch. Seine Plattensammlung ist wahrscheinlich größer als das Ego von Kanye West. Der Kenner nickt dir nur freundlich zu, denn er hat schon alles gesehen, alles mitgemacht und alles gehört. Es gibt wahrlich nichts mehr, was ihn noch schocken könnte. Der Gandalf der Konzertbesucher praktisch. Du bist geblendet von seinem Heiligenschein und drehst dich weg. Daraufhin siehst du
7. Das Pärchen (Bonus)
Das Pärchen gehört zu der Variante von Menschen in Beziehungen, die nach abgeschlossener Fusionierung prinzipiell nur noch in der Wir-Form antworten. Luggas, noch’n Bier? Ach ne, wir gehen eh gleich. Wer, wir? Du und dein Über-Ich? Auf dem Konzert siehst du das Pärchen als verkrampft-verschlungene Zweisamkeit etwas seitlicher stehen, da sind die wilden Singles nämlich nicht so verzweifelt am tanzen. Meistens werden eher ruhigere Konzerte besucht, denn es macht eben viel mehr Spaß, dem zerbrochenen Singer-Songwriter zuzuhören, wie er von seiner ersten und letzten Jugendliebe singt, die ihn mit ungefähr jedem betrogen hat, wenn man dabei die schwitzige Hand des Partners halten kann.
Sobald der erste melancholische 7er-Akkord angespielt wird, drehen sich beide Köpfe zum jeweils anderen und es werden liebevolle Blicke á la Fühlst du es auch? ausgetauscht. Dieses kleine Spielchen wird bei jedem neuen Song von vorne gespielt und am Ende des Konzertes hast du das Gefühl in einer Dreier-Beziehung zu stecken. Denn natürlich stehst du hinter dem Pärchen und notwendigerweise musst du ja auch nach vorne zur Bühne schauen und da das Universum sich ja nur um die beiden dreht, denken die beiden, du schaust sie an und das erzeugt ein komisches Gefühl von der beobachtet uns Luggas, mach was. Luggas ist allerdings überfordert und geht erstmal auf Toilette.
Und zu guter Letzt
Da ist es nun, dein freies Blickfeld, bis sich der Riese vor dich schiebt, der Tänzer dir einen Handkantenschlag auf den Nacken verpasst, der Entspannte sein Gespräch weiterführen möchte, die Verzweifelte dich angräbt, der Seriöse seine Freundin auf dich angesetzt hat, der Transpirant in der Endform ist und sein Tanktop ausgezogen hat. Und der Regisseur filmt natürlich alles. Außer die Skepsis, denn die ist schon längst weg.
Das waren sie also, die 12+1 Konzertgänger! Ich hoffe du hattest beim lesen genau so viel Spaß wie ich beim schreiben! Und wenn du das nächste Mal auf ein Konzert gehst, kannst du dir ja mal das Publikum anschauen und überlegen, wer später welche Figur spielen wird! Da vergeht die Wartezeit im Nu! Hab es selbst ausprobiert! 😉
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