FRISO reflektiert auf „10qm“ die letzten drei Jahre und malt gemeinsam mit Produzent SOMA neue Soundbilder. (Foto: Finn Dubbeld)
FRISO veröffentlicht nach „Lost Tapes“ seine zweite, ausschließlich deutschsprachige EP „10qm“. Wir haben den Newcomer zum Interview getroffen und Eindrücke bei der Release-Show in Hamburg gesammelt.
An einem Dienstagabend im Oktober öffnet das Haus73, gelegen am Hamburger Schulterblatt, seine Tore für ein ausgewähltes Publikum. Eine Woche zuvor hatte FRISO, seines Zeichens Gastgaber des heutigen Abends, an dem er seine zweite EP exklusiv vorstellen wird, eine Anzeige geschaltet.
Wo sich normalerweise hilflose Studierende vergeblich auf die Suche nach bezahlbarem Wohnraum in der Hansestadt machen, wurde Interesse auf ein Zimmer bekundet, das es so eigentlich gar nicht gibt. FRISOs „10qm“ inseriert auf WG-Gesucht. Wer sich auf das imaginäre Zimmer bewarb, konnte sich mit etwas Glück einen der Plätze für die Release-Show am heutigen Tag sichern.
Ein paar Tage zuvor treffe ich den Newcomer vor dem Café La Maison im Karoviertel; rund einen Kilometer Luftlinie vom Haus73 entfernt. Die Release-Show liegt zu diesem Zeitpunkt noch vor FRISO. „Ich muss bald mal anfangen dafür zu proben. Alles wieder ein bisschen chaotisch, so wie immer“ (lacht). Also sprechen wir erstmal über das, was schon war: die letzten drei schnelllebigen und intensiven Jahre, den mühseligen aber auch inspirierenden Entstehungsprozess der EP und alles was drumherum noch dazugehört.
Diese letzten Jahre sind sehr prägend für FRISO gewesen, als Künstler aber auch für den Menschen dahinter. Sie vergehen im Vollsprint: zahlreiche Shows als (nun ehemals) Live-DJ von Paula Hartmann, diverse Single-Veröffentlichungen (mal eigene, mal als Feature-Gast) die erste eigene EP, die Arbeit an dem ebenfalls jüngst erschienenen Tooloudfortheroom Album und nun das zweite größere Solo-Projekt namens „10qm“.
Dass da kaum Zeit zum Durchatmen bleibt, verwundert kaum. In dieser Zeit sammelt FRISO vielerlei Erlebnisse, die er später auf „10qm“ lyrisch verarbeiten wird. Vor allem der EP-Closer „Seitenstechen“ erzählt von den Auswirkungen, ständig auf Achse zu sein. Der unermüdlcihe Lifestyle hat definitiv Spuren hinterlassen: Im EP-Intro „Alles“ singt FRISO von „schweren Phasen in einer guten Zeit“, davon, wie er „verpeilt durch die Zeit [s]eines Lebens“ läuft. Gemeinsam lassen wir diese Zeit bei einem Café Revue passieren, wir beginnen unsere Rückschau auf die letzten drei Jahre mit einem Konzertabend im Oktober 2021.
„Nur weil gerade ziemlich viel passiert in meinem Leben, muss ich trotzdem nicht noch täglich drüber reden. Doch du hörtst nicht auf zu fragen, gib mir Luft zum atmen“
– FRISO in „Seitenstechen“
Damals organisiert FRISO zusammen mit ein paar Freunden eine Collab Show im Knust. Rückblickend wird er diesen Tag als Geburtsstunde des Kreativkollektivs Tooloudfortheroom deklarieren: „Das war der Grundstein für Tooloud, wie man es jetzt kennt.“
An selbigem Abend performt auch eine gewisse Paula Hartmann zum ersten Mal ihre bis dato zwei veröffentlichten Singles „Nie verliebt“ und „Truman Show Boot“ live. „Ich glaube, das war auch das erste Mal, dass sie Reaktion auf ihre Songs bekommen hat, was auch krass war und danach hat sich vieles eingefädelt, irgendwie. Dass ich von Paula gefragt wurde, weil sie dann einen Support-Slot für Jeremias angeboten bekommen hat, ob ich vorstellen kann, das mit ihr zu machen, weil ich einfach zu dem Zeitpunkt immer so ein bisschen aufgelegt habe Zuhause. Ich bin dann mitgekommen und nach diesen zwei Shows war es so, okay, lass erstmal by sticken und das weitermachen. Das war halt irgendwie sehr wichtig.“, diagnostiziert der Hamburger.
„Es war so das erste Mal, dass wir alle so in einem Kosmos so auf einer Bühne standen und etwas zusammen auf die Beine gestellt haben Und ich glaube, danach war so ein bisschen die Überzeugung da, dass alle da Bock drauf haben und die Erkenntnis, dass es auch einfacher ist, sowas in einem Kollektiv zu machen und zu planen, ohne indutrielle Strukturen dahinter.“
– FRISO über TOOLOUDFORTHEROOM
Zur gleichen Zeit lernen sich die Tooloudfortheroom Mitglieder untereinander noch besser kennen. Harburg und Altona connect. So beginnt FRISO enger mit Tooloud‘s Haus- und Hofproduzenten SOMA zusammenzuarbeiten und die englischsprachige Debüt-EP „Lost Tapes“ entsteht. Eine sehr „unverkopfte“ EP, erinnert sich FRISO, die dennoch den künstlerischen Anspruch der beiden erfüllen sollte. Deutlich synthiebasierter und inspirierter von den Soundbildern anderer internationaler Künsler*innen wie etwa LANY, Lorde und auch den elektronischeren The 1975.
Während FRISO sich auf den „Lost Tapes“ noch bewusst für die englische Sprache entscheidet, um sich im Asudruck seiner Gefühle weniger angreifbar zu machen, passiert der Übergang zum Deutschen „ganz organisch“. Und das obwohl FRISO aus Trotz auf den Industrie-Sprech „Mach doch mal auf Deutsch“ auf Englisch weitermachen wollte: „Ich hatte so Homeoffice und habe so in einer freien Minute halt einfach da in der Küche gesessen und irgendwie Type-Beats durchgehört. Und dann kam halt was raus. Da bin ich sehr dankbar für im Nachhinein.“
FRISO – SEKUNDE
Von da an ist ein neuer Spirit bei FRISO geboren. So kommt „10qm“ urbaner daher, direkter in der Sprache, pointierter im Sound, ohne dabei die spielerischen Elemente zu verlieren. Mit mehr Hip-Hop-Einflüssen rückt das Großstadtleben als Sentiment ins Zentrum der EP, verbunden mit all den Schwierig- und Leichtigkeiten der Post-Adoleszenz und FRISOs Lifestyle. Allem voran jedoch nimmt uns FRISO auf den sechs Tracks mit in sein „10qm“-Heim, verschafft „Zugang zu [s]einem Kopf“.
Das Projekt hat eine langjährige Vorgeschichte. Immer wieder findet man Hinweise und Referenzen in seiner Diskografie und Social-Media-Präsenz. Wie zum Beispiel auf „Damals“ mit Tooloud-Kollege ELEF oder auf dem gemeinsamen Song „10 sqm room“ mit Moritz.
„Dieses 10qm-Konstrukt war am Anfang unbewusst. Ich habe nur gemerkt, dass ich es in sehr vielen Songs, auch Skizzen, die noch rumliegen, immer wieder benutzt habe. Das mit Moritz zum Beispiel, das ist eine Skizze auf Englisch, die ich damals noch bei meinen Eltern gemacht habe und auch da schon die Referenz benutzt habe.“
Das WG-Zimmer, der Keller im Elternhaus, in dem die ersten musikalischen Gehverusche stattfinden, das Studio von Produzent SOMA – alles um die zehn Qudratmeter große bzw. kleine Zimmer, in denen FRISO lernt, sich musikalisch auszudrücken. So wird aus real existierenden Räumlichkeiten, das Konzept eines Schutzraums, in dem man em ehrlichsten sein kann: „Wenn ich in mein Zimmer gehe, die Tür zu mache, dann bin nur ich da. Da ist alles sehr intim. Und es bleibt auch intim, weil ich kann alles machen, was ich möchte, ohne dass irgendjemand darüber urteilen kann. Keiner sieht, was dort drin los ist. Sobald die Tür aber auf geht, gehen die Gedanken mit raus.“ Genau diese Gedanken sind es, die FRISO auf „10qm“ (mit)teilt.
„Ich glaube, jeder lebt am liebsten in Ordnung. Das ist auch mein Anspruch, aber ich kriege es halt nicht so gut hin. Und ich glaube, ohne dieses Chaos im Kopf würde vieles nicht entstehen, weil es halt da sein muss, damit man sich irgendwie ausdrücken kann. Und wenn alles aufgeräumt ist und man voll im Reinen mit sich selbst ist, dann fehlt irgendwo ein bisschen auch das, wo man anecken kann. Deswegen ist dieses Chaos voll wichtig, dass es da ist. Und ich glaube, das ist ähnlich im Kopf, dass halt ganz viel Chaos da ist, aber auch selbst verschuldet, wie halt ein unordentliches Zimmer. Man räumt es selbst nicht weg. Und wenn man es kurz aufräumt, ist es super, aber das hält meist nicht lang.“, holt FRISO aus und ergänzt: „Ich wünsche mir natürlich, dass diese „10qm“, das reale Zimmer und in meinem Kopf, immer alles aufgeräumt ist, dass man einfach harmonisch darin leben kann. Aber ohne das Chaos wäre alles andere, glaube ich, nicht möglich.“
„Ist die Tür auf, dann siehst du mein unverändertes Ich und alles, was in meinem Kopf und zehn Quadratmetern ist.“
FRISO – Alles
Die Tür zu diesem Chaos soll am Abend der Release-Show einen Spalt weit geöffnet werden, zumindest metaphorisch. In Tiny Desk-Manier hat FRISO im Haus73 sein Set-Up von Zuhause auf der Bühne des kleinen Saals aufgebaut, um seine EP (passend zum Konzept) in heimeliger Atmosphäre vorzustellen. Von allen sechs Songs wurden speziell für diesen Abend einmalige Versionen angefertigt.
Auf einem etwas in die Tage gekommenen Holzstuhl sitzt FRISO vor seinem MIDI Pad, Synthesizer und Laptop, die zwischen Pflanzen auf seinem Schreibtisch stehen und teilt Anekdoten zum Entstehungsprozess mit dem Publikum. Eine Akkustikgitarre hat sich ebenfalls mit ins Inventar geschlichen und kommt im Interlude „einfach“ zum Einsatz. Im Hintergrund hört man Autos über das Kopfsteinpflaster am Schulterblatt rasen.
„Ich hab Jahre darauf gewartet das zu machen und jetzt ist es gefühlt in 2 Wochen vorbei“, sagt FRISO schmunzelnd, bevor er zur Zugabe unter anderem „Sekunde“ performt – den Track, mit dem der Kurswechsel zum Deutschen begann und somit der Grundstein für die „10qm“, wie wir sie jetzt kennen, gelegt wurde. Scheint so, als sei FRISO am heutigen Abend, an dem alle Fäden final zusammenlaufen, nach einem endlosen Sprint endlich über die Zielgeraden gelaufen.