Tempelhof Sounds im analogen Rückblick: Wie war das neue Indie-Festival?

So war’s bei der ersten Ausgabe des Tempelhof Sounds in Berlin. (Alle Bilder im Beitrag: Elsa Hädge)

Mitten in Berlin erstreckt sich ein riesiges Stück Nichts. Das ist etwas sehr Besonderes für eine Großstadt, die sonst aus allen Nähten platzt – und lädt nur so dazu ein, kreativ genutzt zu werden. Wie eine leere Leinwand liegt das Tempelhofer Feld da und nimmt kein Ende, egal wohin man schaut. Potential darin für Konzerte hat schon das Lollapalooza gesehen. Lange dort geblieben ist es nicht. Da wirkt es nicht ganz risikofrei, ein komplett neues Festival aus dem Boden zu stampfen und mit fortschrittlichen Ideen zu werben. Das Tempelhof Sounds hat es aber gewagt. Ob es funktioniert hat? Wir waren, tja, live dabei.

Es ist eine Weile her, dass mir an einer Hausmauer ein zerfetztes Plakat ins Auge sprang, das behauptete Florence + The Machine, The Strokes, Alt-J und alles andere, was das Indieherz so begehrt, an den gleichen Platz zu bringen. Der Name Tempelhof Sounds sagte mir gar nichts, aber mein Interesse war geweckt. In Deutschland haben wir zwar einen Haufen Festivals, aber keines setzte den Fokus so spezifisch auf Indiemusik, die nicht aus der Heimat kam. Diversität auf der Bühne und Nachhaltigkeit sollten ganz groß geschrieben werden. Also begab ich mich mit unserem Redaktionsmitglied Basti ein paar Monate später mit tausenden anderen zwischen dem 10. und 12. Juni auf eines der ersten großen Live-Events seit der Pandemie, die Kamera stets umgeschnallt und einsatzbereit.

Direkt vor dem Gebäude des ehemaligen Flughafens hatten die Veranstalter*innen das Areal hochgezogen, das trotz seiner betrachtlichen Größe nur einen Bruchteil des Tempelhofer Felds einzunehmen schien. Die Idee, entweder die Hauptbühne in der Mitte oder die beiden kleineren Stages an der Seite zu bespielen, funktionierte gut, und auch sonst lief die Organisation erstaunlich reibungslos. Keine ewigen Schlangen weder am Eingang, noch bei den Toiletten, die Shows starteten meist pünktlich. Wer sich mal nicht in die Massen begeben wollte, hörte auch weiter weg bei den Getränkeständen (dass es Bier hier nicht unter fünf Euro gab, musste zu erwarten sein) mehr als genug. Nur etwas mehr Schatten wünschte man sich – Das Wetter war mit dem plötzlichen Temperaturanstieg zwar sehr gnädig, aber die Besucher*innen sammelten sich stets wie Fliegen unter den sporadisch aufgespannten Segeln als die Sonne im Zenit stand.

Wir kamen vorbereitet. Mit Sonnencreme und auswendig gelernten Texten im Gepäck tanzten wir uns die Füße kaputt, nahmen fast jeden Act mit. Direkt am Freitag Nachmittag wurden wir von My Ugly Clementine überrollt. Die Band versprüht eine Energie auf der Bühne, die, im positivsten Sinne, kaum auszuhalten ist. Gerade Kem Kolleritsch beeindruckte mit einem markerschütternden Schlagzeugauftritt und gleichzeitigem sehr cleanen Gesang. Die Kinnlade war eigentlich konstant am Boden. Mit Two Door Cinema Club ging dann ein kleiner Teenage Traum in Erfüllung und meine Stimme flöten. Man muss den Herren lassen, dass sie trotz neuer Alben primär die alten Hits wie „Undercover Martyn“ runterspielten – weil sie ganz genau wissen, dass es das Beste ist, was sie je geschrieben haben.

In Worte zu fassen, wie es sich anfühlte als Florence Welch abends die Bühne betrat, ist kaum möglich ohne wie ein Sektenmitglied zu klingen. Sie meinte selbst irgendwann in die Menge: „You are now part of the cult of Florence + The Machine.“ Bis jetzt habe ich noch nie eine*n Künstler*in erlebt, die es so schafft das Publikum bis in die letzte Reihe in ihren Bann zu ziehen (und die Erde wortwörtlich zum Beben zu bringen). Im einen Moment schwebt sie förmlich über die Bühne, die Stimme flüstert zärtlich und warm „Hold onto eachother…“, im nächsten bricht sie aus sich hervor, reißt jedes Herz heraus. Für mehr Zuneigung plädieren aber auch die Idles am Tag darauf: Mit dem stärksten Akzent, den man sich vorstellen kann, schreit Frontsänger Joe Tablot aus Wales die Leute an sich doch bitte lieb zu haben. Das Tempelhof Sounds setzt auf Musik von der Insel und das erklärt die Dichte an britischen Besucher*innen, die Joe ein freudiges „Fuck yeah!“ zurückwerfen.

Etwas Zuhause bekommt man bei Fil Bo Riva zu hören, die zwar bei strahlender Sonne spielen, aber trotzdem das Gefühl einer Clubshow vermitteln. Es ist ihr erstes Festival seit langem – die Vorfreude merkt man ihnen an und wird mitgerissen. Alt-J wiederum scheint nicht für Festivalbühnen gemacht zu sein. So sehr ich es mir auch wünsche und fast jeden Song innig lieb habe, holt der Auftritt mich und das verhältnismäßig ruhige Publikum nicht ab. Dagegen überrascht eine weitere englischsprachige Band am finalen Tag: Fontaines D.C. gilt als neue Hoffnung des Post-Punk, düster und energetisch. Beim Zuschauen erinnert mich nicht nur das Aussehen des Sängers, sondern auch die Art, wie er sich ruckartig über die Bühne bewegt, an Ian Curtis von Joy Divison. Das neues Album „Skinty Fia“ höre ich auf der U-Bahnfahrt nach Hause durchgehend.

So langsam neigen sich die Kräfte und das Festival dem Ende zu. Auch beim The Strokes Frontman Julian Casablancas, der sich trotz Kranksein durch den Abend kämpft. Wie ein verletztes Tier schleicht er über die Bühne und reißt Witze um die Verschnaufpausen zu überbrücken. Wir, die alle drei Tage ausgekostet haben, sind eher unterhalten von der Show als Abschluss, Zuschauer*innen, die nur für die eine Indiegröße gekommen sind, dürften etwas geknickt sein. Alles in allem hat sich die Zeit gelohnt. Endlich wieder in Menschenmengen schwimmen, endlich wieder Livemusik tagelang am Stück – und das gut organisiert. Das Tempelhof Sounds ist vielleicht noch nicht dort wo es sein will (trotz des Diversitätsstempels besetzten außer Florence fast nur Bands voller Männer die Main Stage), aber die Ideen sind da. Und aus dem Nichts ein Festival zu kreieren, was die Lücke in vielen Indieherzen so perfekt füllt, muss man auch erstmal hinbekommen. Wir freuen uns darauf, was das nächste Jahr bringt.