NEWS

Seid laut, wir sind es auch – Musik & Politik

Auf dem Bild ist ein Auzug der Demonstration gegen Rechts in Konstanz zu sehen. Auf einem Schild steht "Menschenrechte statt rechte Menschen".

Wie der Rechtsruck die deutsche Indie-Szene prägt. Wir haben mit
SOFFIE, Marlo Grosshardt, Jakob Ude VAVUNETTHA und PFOERTNER gesprochen (Symbolfoto)

Deutschland ist mit der Bundestagswahl noch weiter nach rechts gerückt. Eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei, die marginalisierten Gruppen ihre Rechte wegnehmen will, konnte ihre Stimmen verdoppeln. Aber nicht nur rechte Stimmen wurden immer lauter – auch deutsche Indie-Musiker*innen wurden es. Eigentlich sind wir von der Indie-Bubble ja etwas anderes gewöhnt. Es geht oft um gebrochene Herzen, mal auf romantischer, mal auf platonischer Ebene oder die Suche nach dem Platz in der Welt. Wir haben SOFFIE, PFOERTNER, VAVUNETTHA, Marlo Grosshardt und Jakob Ude gefragt, wie es ihnen in Zeiten schwerster politischer Depression geht und wie sie ihre Musik als politischen Protest nutzen.

SOFFIE: „Wir haben immer noch so viel Schönes, für das es sich zu kämpfen lohnt.“

PFOERTNER: „Wir können es nicht mitverantworten, dass die Welt ist, wie sie ist.“

VAVUNETTHA: „Doch wir dürfen unruhig sein und wir dürfen auch laut sein und Dinge auch mal extrem ausdrücken, damit überhaupt hingehört wird.“

Marlo Grosshardt: „Wenn die Leute, die aktuell noch keine Konsequenzen davon tragen, […] sich nicht mehr äußern, dann wird es viel gefährlicher.“

Jakob Ude: „Wir können sehr laut sein und wir lassen uns auch nicht den Mund verbieten, nur weil wir jünger sind.“

„Wir haben immer noch so viel Schönes, für das es sich zu kämpfen lohnt.“

SOFFIE

Foto: Chiara Noemi Müller

„Ich hab neulich geträumt von einem Land, in dem für immer Frühling ist. Hier gibt es Kaviar und Hummer im Überfluss. Keiner hier, der hungert, und niemandem ist kalt“, die meisten von uns haben alleine beim Lesen der ersten Line schon eine ganz bestimmte Melodie im Kopf. Mit ihrem Song „Für immer Frühling ging Sofie aka SOFFIE letztes Jahr nicht nur mega viral, sondern schuf damit eine TikTok-Hymne gegen Rechtsextremismus. Mit ihr führe ich das erste Gespräche, um herauszufinden, wie es ihr nach der Bundestagswahl geht. 

Altersmäßig trennt uns gerade mal ein Jahr. Es dauert nicht lange, bis wir darüber sprechen, wie gespalten unsere eigene Generation ist. Denn die driftet politisch gerade ziemlich auseinander. Zwei Parteien, die unterschiedlicher nicht sein könnten, haben die meisten jungen Menschen von sich überzeugen können. 21 Prozent der 18 bis 24-Jährigen haben die AfD gewählt. Aber eine Partei, die noch bis vor kurzem eigentlich für tot erklärt wurde, konnte diesen Wahlerfolg sogar noch toppen: Knapp jede*r vierte, also 25 Prozent der jungen Wähler*innen, entschieden sie sich für die Linke – auch Sofie. Das erzählt sie nicht nur mir im Interview, sondern eigentlich der ganzen Welt. Zumindest denen, die ihr auf Instagram folgen. „Die Linke vertritt genau die Werte, über die ich über die ich in ‘Für immer Frühling’ spreche: Niemandem ist kalt, keiner hier, der hungert und es gibt für alle einen Platz am Tisch.“, sagt sie in einem Reel, was sie zusammen mit der Linken und ihrer Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek hochgeladen hat. Auch wenn Sofie diese Spaltung „brutal Angst“ macht, wie sie selbst sagt, macht es ihr Hoffnung, dass es jetzt noch eine Kraft gibt, die etwas gegen den Rechtsruck tut. 

Uns beiden ist in den letzten Monaten etwas aufgefallen, was wir so bisher nicht gewohnt waren. Nicht von den meisten Creator*innen und erst recht von Indie-Artists. Beim Swipen durch die Insta-Storys oder beim viel zu langen Scrollen durch die For-You-Page fanden wir nicht nur immer häufiger ein „Geht wählen!“, sondern auch ein „Ich wähle die Linke“. Menschen haben gemerkt, dass es mit der Demokratie langsam knapp werden könnte. „Und einfach nur zu sagen, wir wählen jetzt demokratisch reicht halt nicht mehr aus, habe ich das Gefühl, weil was genau bedeutet das?“, wirft Sofie in den Raum. Das könne man ja auslegen wie man will. „Und als eine Person mit einer großen Reichweite dann auch wirklich explizit zu werden und zu sagen, ich wähle diese Partei, das beeinflusst natürlich viele Menschen dann oder es kann einen großen Einfluss haben.“

Genau das spiegelt sich auch in ihrer Musik wider, entgegne ich ihr. Und hier spreche ich nicht nur von „Für immer Frühling“, auch zum Beispiel in ihrem Song „Die da oben“ ist das zu spüren. Während sie gesellschaftliche Missstände klar aufzeigt, bringen ihre Melodien eine Leichtigkeit mit sich, die Hoffnung gibt. Kann sie der politischen Depression trotzen und optimistisch bleiben? „Wir haben immer noch so viel Schönes, für das es sich zu kämpfen lohnt und ich weigere mich irgendwie da aufzuhören, daran zu glauben, dass es irgendwie möglich ist für alle, dass es allen gut geht.“, antwortet sie. 

Als ich nach Künstler*innen frage, die sie in ihrem politischen Songwirting beeinflusst haben, fällt der Name des belgischen Pop-Musikers Stromae, „und ich kann eigentlich gar kein Französisch“, ergänzt Sofie lachend. Er schaffe es „sehr clever und sehr cool“ aus verschiedenen Perspektiven gesellschaftliche Missstände zu beleuchten. Wir sollten uns alle übrigens unbedingt sein Musikvideo zu „Fils die Joie“ anschauen, meint Sofie. Mehr verrate ich an dieser Stelle nicht. In seinem bekanntesten Song „Alors on danse“ (sorry für den Ohrwurm), habe sie im Nachhinein sogar Parallelen zu „Für immer Frühling“ entdeckt: „Hey irgendwie ist alles ein bisschen scheiße, aber wir tanzen weiter“. Würde uns allen hin und wieder gut tun, denke ich mir. 

Zum Ende eines jeden Interviews stelle ich allen Artists die gleiche Frage. Wir sprechen über das Ohnmachtsgefühl, das sicherlich viele von uns hin und wieder verspüren, wenn es um Politik geht. Krisen eskalieren, während wir nur zusehen können. Gleichzeitig entscheiden sich immer mehr Menschen für eine politische Richtung, die Ängste schürt, anstatt Lösungen zu finden. Sofies Antwort darauf: „Ich glaube, es ist gerade so wichtig wie noch nie, dass wir einander zuhören. Und ich denke, Menschen, die die AfD wählen, aus Angst vor Migration, das ist ja nicht in der Natur des Menschen zu hassen. Ich denke, es ist in der Natur des Menschen Angst zu haben. Und ich finde, wir sollten darauf achten oder versuchen, uns gegenseitig diese Ängste zu nehmen. Und ich denke, das ist auch der einzige Weg, wie wir dieser Spaltung so ein bisschen entgegenwirken können. […] Wir sollten alle aufeinander ein bisschen mehr hören und uns nicht mehr so gegenseitig anschreien.“

„Wir können es nicht mitverantworten, dass die Welt ist, wie sie ist.“

PFOERTNER

Foto: Alexandre Relvas

„Weniger denken, mehr fühlen“ wiederholen zwei der Bandmitglieder nacheinander im Interview mit mir. Über sich selbst sagen sie, sie seien eine Band, die von Anfang an auf Konventionen geschissen hat und beschreiben sich als junger und provozierender Gegenentwurf zum deutschen „Wohlfühl-Indie“. Ihre Musik nutzen sie zum politischen Protest, der emotional aufgeladen ist, denn „ihre Emotionen sind politisch“, erzählen sie.

Für die Hamburger und Berliner Band PFOERTNER war die politische Stimmung von Angst und Hass geprägt. „Das lag primär daran, dass rechts Angst vor Migration gemacht hat und der politische Rest hatte Angst vor rechts. Und dadurch hat die politische Mitte an Standhaftigkeit verloren und ist dadurch so zur ankerlosen Boje auf der populistischen Welle von rechts geworden.“ Das trifft es ehrlich gesagt sehr gut, sage ich im Interview mit Sänger Xaver und Cellistin Rahel. Der Rest der Band hatte so spontan leider keine Zeit, aber die meisten Antworten wurden vorab mit ihnen abgestimmt. Die Band fände es schön, wenn mehr Artists mutig wären, lauter wären. Sie selbst sehen sich in der Verantwortung, auch als kleine Indie-Band „nach oben zu brüllen, werdet gefälligst lauter“. Aber da sei eben noch viel Luft nach oben. 

Ihre Songs sind wütend, direkt – und vor allem ehrlich. In ihrem neusten Song „Jaeger“ heißt es: „Du suchst ein Feindbild: bitte hier bin ich. Links grün versiffter Hippie, mit Tränen im Gesicht. Du bist gefrustet, das bin ich auch. Spuck mich bitte an, lad mich an dir aus. Denn als pseudo-Pazifist muss ich leider Gottes warten, bis du mir nen Grund gibst, dich grün und blau zu schlagen.“ Die Zeilen stehen für sich. Was hat sie dazu gebracht, sich so klar in ihrer Musik zu äußern? „​​So wie die politische und gesellschaftliche um sich greifende Ignoranz und Dummheit momentan einfach da ist, hilft es nur als Künstler*in laut zu sein und künstlerisch irgendwie seine Meinung in Kunst zu packen und das laut auszuformulieren und Haltung zu zeigen.“, antworten sie mir. Den Song hat die Band übrigens neun Tage vor der Bundestagswahl released – ein guter Zeitpunkt, um noch mal laut zu sein.

Doch auch den fünf Bandmitgliedern geht es ab und zu wie uns allen, auch ihnen wird das alles mal zu viel. In ihrem Song „Shangri-La“ geht es um einen Ort, an dem sie vor der Tagesschau flüchten. Denn sind wir mal ehrlich, die Tagesschau kann vor allem die Art von Realitätsklatsche sein, die wir oft nicht verkraften können. „Dorthin fliehen wir vor der Realität, die uns mental zerreißt. Nie ging es der Menschheit besser, gleichzeitig cruisen wir mit Vollgas, Richtung Abgrund“, erzählen sie mir.

Auf die Frage, ob sie ihre Musik auch in Zukunft noch als politischen Protest nutzen werden, antworten sie: „In der Kunst haben wir die Möglichkeit, von einer sozialen und nachhaltigen Utopie zu träumen, von der wir uns weit entfernt befinden und möglicherweise nie hingelangen. Solange wird unsere Musik politisch sein. Wir können es nicht mitverantworten, dass die Welt ist, wie sie ist.“ Ich finde, wir sollten uns alle verantwortlich fühlen, sagte ich daraufhin. 

Aber was bleibt, wenn die politische Ohnmacht überwiegt? „Lasst unsere gemeinsame demokratische Lebensfähigkeit nicht unserer individuellen politischen Lethargie zum Opfer fallen. Lasst uns mutig, laut, frech und frei sein. Das Patriarchat und der Faschismus müssen sterben, lasst dies unsere gemeinsame Aufgabe sein.“ Genau das bringen die Songs der Band auch rüber: Lasst uns zusammen dafür sorgen, dass es nicht noch schlimmer wird.

„Doch wir dürfen unruhig sein und wir dürfen auch laut sein und Dinge auch mal extrem ausdrücken, damit überhaupt hingehört wird.“

VAVUNETTHA

Foto: HerrTune

„Ich habe, glaube ich, zum ersten Mal in diesem Wahlkampf-Zeitraum-Kontext wirklich auch sehr viel geweint“, im Interview teilt die Kölner Musikerin sehr intime und emotionale Gedanken mit mir. VAVUNETTHA ist zwar in Deutschland geboren, aber ihre Eltern stammen aus Sri Lanka. Sie erzählt, dass sie sich große Sorgen mache – auch um ihre Mutter. Sie solle aufpassen, wenn sie draußen ist. Für einen Moment fehlen mir die Worte.

Für VAVUNETTHA gehöre es dazu, politisch zu sein. Als eine Person mit Migrationshintergrund sei ihre Identität „so oder so politisiert.“ Doch angesichts der aktuellen Entwicklungen in Deutschland, seien nicht mehr nur einzelne Communitys gefährdet, nein, die Demokratie sei gefährdet. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlen sich nicht nur direkt Betroffene unsicher, sondern auch Menschen, die sich bisher in einer privilegierten Position wähnten. Dadurch sehe man auf jeden Fall eine Veränderung in der Musikszene, meint VAVUNETTHA. Und seien wir mal ehrlich: Wer profitiert von rechter Politik außer alte weiße cis-Männer? Wir sind uns einig. 

Die letzten Monate fühlte sie sich, als würde sie in einer Dystopie leben, „ich weiß, das ist nicht Tribute von Panem.“ Sie nennt es Dystopie, ich Fiebertraum, wir lachen. Was sie noch hoffnungsvoll bleiben lässt, seien junge Menschen, die aktiv sind und nicht müde werden – es sei noch nicht alles verloren. 

Der Tag, an dem die CDU im Bundestag erstmals offen mit der AfD kooperierte und damit eine klare politische Grenze überschritt, war auch für VAVUNETTHA „ganz ganz schlimm“, erzählt sie mir. Um ihre Gedanken und Gefühle zu verarbeiten, griff sie zur Musik. „Erzähl mir nichts von Brandmauer, schwarze Nächte, rotes Blut, Schweigen ist Gold“, singt sie in ihrem gleichnamigen Song „Brandmauer“, der genau in dieser Zeit entstand. Zwei Tage vor der Wahl erschien der Track.

Mit der Line „Deutschland, du strahlst so hell, denn wir gehen auf in Flammen“ kreiert VAVUNETTHA ein unfassbar starkes Bild. Als wir über die Metaphorik dahinter sprechen, erzählt sie mir von der inneren Zerrissenheit, die sie und ihre Migra-Friends ständig begleitet. „Weil egal, wie viel du arbeitest und wie gut dein Lebenslauf aussieht, es reicht halt einfach nicht, weil ich das hier, wie ich aussehe, nicht für manche Leute ausblenden kann.“ 

Neben den brutal ehrlichen Lyrics erzeugt die Mischung aus eingängiger Pop-Melodie und kraftvollen Hip-Hop-Beats ein Gefühl von Zusammenhalt. VAVUNETTHA will mit ihrer Musik niemanden bekehren oder belehren – sie macht sie für diejenigen, die sich in ihr wiederfinden. Sie erschafft einen Safe Space, in dem sich Betroffene gesehen und gehört fühlen. Mit ihrer Musik Widerstand gegen vorherrschende Strukturen zu leisten, seit etwas, was sie schon immer machen wollte. „Aber ich hatte immer Angst davor“, schildert sie. „Es war jetzt nie so, dass ich dachte, so okay ab heute positioniere ich mich klar politisch in meiner Musik, sondern das war ein Prozess.“ 

Ohne Rapper wie Apsilon hätte sie diesen Schritt vielleicht niemals gewagt. „Zu hören, dass andere Menschen in meinem Alter die Musik machen, diese Themen behandeln, das hat mich dann auch nochmal gepusht, weil ich gesehen habe so: Doch wir dürfen unruhig sein und wir dürfen auch laut sein und Dinge auch mal extrem ausdrücken, damit überhaupt hingehört wird.“ Es fallen noch die Namen Ebow und Nura. Diese Artists gelinge es, Dinge auszudrücken, „wie man es selber gerade nicht kann“. Das habe sie sehr inspiriert. 

Aber was können wir tun, wenn uns nicht nur die Worte fehlen, sondern auch die Hoffnung, dass sich die Welt nicht mehr gefühlt unaufhaltsam in die falsche Richtung bewegt? „Veränderung an sich ist möglich, auch wenn sich das gerade so anfühlt, als würde sich alles nach rechts verschieben“, trifft es VAVUNETTHA auf den Punkt. Wenn eine Veränderung in diese Richtung möglich ist, dann liegt es auch in unserer Macht, sie in die entgegengesetzte Richtung zu lenken.

„Wenn die Leute, die aktuell noch keine Konsequenzen davon tragen […], sich nicht mehr äußern, dann wird es viel gefährlicher.“

Marlo Grosshardt

Foto: Viktoria Rechlin

Der letzte Wahlkampf war aufgrund der vorgezogenen Wahl zwar deutlich kürzer als sonst, aber dafür umso intensiver. Politiker*innen konnten gar nicht aufhören, sich in einseitigen Migrationsdebatten gegenseitig zu überbieten. Taten wie in Magdeburg, Aschaffenburg und Mannheim schürten die Ängste der Menschen. Aber anstatt auf die Umstände der mutmaßlichen Täter zu schauen, wurde ihre Herkunft zur Zielscheibe, mit der man alles erklären wollte. Die Menschlichkeit ging verloren. Schnell entwickelte sich unser Gespräch in diese Richtung. 

Denn Marlo Grosshardt und ich sind uns einig: Einige Parteien haben die Narrative der AfD nicht klar abgelehnt. Ganz im Gegenteil: sie haben sie zum Teil einfach übernommen. Die vermeintliche Strategie, Themen der AfD aufzugreifen, um ihnen die Reichweite zu nehmen und gleichzeitig für Entschärfung zu sorgen, habe „offensichtlich schon die letzten Jahre nicht funktioniert“, konstatiert Marlo. Man rücke so immer weiter davon weg, die Partei als Problem darzustellen, sie trete dann eher als Lösungsanbieter auf. 

Passend dazu singt Marlo in einem seiner neuen Songs: „Ich will uns lauthals traben seh’n, lass uns Geschichte schreiben geh’n. Denn ich hab‘ grad große Angst vor den Faschos hier im Land. Wir werden widersteh’n“. Zehn Tage vor der Wahl war Relase. Der Wahlkampf hat auch in ihm etwas ausgelöst: Gefühle, die er am besten durch Musik ausdrücken und verarbeiten kann. Der Track „Geschichte schreiben“, aus dem die vorherigen Zeilen stammen, wurde zum Titelsong, der ihn und seine Band auf vielen Demos begleitete. Entstanden ist er in jener Woche, in der die CDU ihren radikalen Kurswechsel in der Asyl- und Migrationspolitik durchbringen wollte und dafür auch eine Zusammenarbeit mit der AfD in Kauf nahm. Der Track solle zum einen die Menschen stärken, die bereits laut sind und zum anderen diejenigen erreichen, die noch zögern, schildert mir Marlo.

Wer auch nur kurz in den Song reinhört, spürt sofort, dass der Song ein Gefühl von Zusammenhalt schafft – wir sind nicht alleine, wir sind viele und wir sind laut. Wir sprechen über die gesellschaftliche Spaltung, denn es wirkt, als würde auch ihn das nicht unberührt lassen. „Wir stehen kaum mehr beieinander, sondern uns eher auf den Füßen stehen“, heißt es in dem Song. Um dieser „sehr gefährlichen“ Spaltung entgegenzuwirken, haben er und seine Band „ein paar Sachen zugesagt, die wir eigentlich nicht zu sagen wollten, weil wir das Gefühl hatten, dass irgendwie dadurch die Reichweite der Lieder in andere Gebiete reingespielt wird, wo man vielleicht irgendwie Leute noch überzeugen kann. […] Ich glaube nicht, dass wir weit abgedriftet sind, sondern dass die Rechten weit abgedriftet sind, man sie irgendwie so ein bisschen zurückholen muss.“

Wir sprechen darüber, ob auch die Indie-Bubble dafür Verantwortung tragen sollte. Seinen Kolleg*innen in der Musikszene will er „so ein bisschen Entwarnung geben“, denn „am Ende wird ja von dir, wenn du jetzt in eine Talkshow eingeladen wirst, nicht erwartet, dass du der Experte bist.“ Das Bedürfnis, sich politisch zu äußern, begleitet den Sänger schon etwas länger. Mit Sänger Farber hat der 14-jährige Marlo eine Inspiration dafür gefunden, erzählt er mir.  

Doch selbst Marlo, der es schafft, seine politische Frustration in eine Form des Widerstands zu verwandeln, kommt an seine Grenzen. Er teilt das Gefühl, als würde sich nichts ändern, sondern noch viel schlimmer werden. Im gleichen Moment zitiert er eine Person, von der er wohl selbst nie gedacht hätte, sie einmal zu zitieren. „Whatever it takes“, sagte Friederich Merz, als es um die Hunderte Milliarden Euro Schulden ging und Marlo, als es an der Zeit war, mutig zu sein. Auch für die Menschen, die jetzt schon in Gefahr sind. Eine Woche nach unserem Interview hat er das Lied „Das hätte ich nie gedacht“ herausgebracht. Ein weiterer Song, der es schafft, aus der politischen Perspektivlosigkeit einen Prozess der Reflexion anzustoßen. 

Auch Marlo hat noch etwas, was er am Ende unseres Gesprächs gerne mit uns allen teilen möchte: „Wenn die Leute, die aktuell noch keine Konsequenzen davon tragen, […] sich nicht mehr äußern, dann wird es viel gefährlicher für die marginalisierten Gruppen. Da muss man einfach auch weiterhin laut und mutig sein und versuchen, was zu bewirken.“ Also worauf warten wir noch? 

„Wir können sehr laut sein und wir lassen uns auch nicht den Mund verbieten, nur weil wir jünger sind.“

Jakob Ude

Foto: 23HOURS GmbH

Er bezeichnet sich grundsätzlich nicht als politischen Künstler. Auf Insta und TikTok hat er dem Gefühl der politischen Depression hin und wieder mit Poesie an Ausdruck verliehen. In seiner Musik blieb das aus – bis jetzt. Die Musik sei sein Ventil für all seine Emotionen – und die seien eben auch mal politisch, vor allem in letzter Zeit, erzählt der Newcomer Jakob Ude.

Kurz gesagt empfand er den Wahlkampf als „eklig“ und unfassbar anstrengend. Zweiteres sei aber zum Teil auch selbst verschuldet gewesen: „Ich bin so jemand, der dann auch wirklich ungelogen zehnmal am Tag auf diese Seiten geht und sich die Umfrage anschaut.“ Wir müssen beide lachen.

„Sind zwar keine Hasen, aber immer auf dem Sprung, sind doch keine Nazis – aber, kein aber.“, singt Jakob in seiner neuesten Single „Keine Wissenschaft“, die er zwei Tage vor der Bundestagswahl released hat. Eigentlich war der Anlass des Songs aber ein ganz anderer, die zweite Line gibt schon einen Hinweis. Es gibt eine Sache, die Jakob wohl so gar nicht kann „und das ist Tanzen“. „Meine Freunde ziehen mich alle damit auf.“, gibt er zu. Während der Songwriting-Session habe ihn dann aber etwas ganz anderes beschäftigt „und dann habe ich gesagt, nee, also ich will jetzt mal mindestens eine politische Zeile da reinnehmen, weil ich glaube, es ist total wichtig, Messages zu setzen. Und ich glaube, dass man immer noch Leute erreichen wird, die vielleicht unentschlossen sind oder die noch irgendwie noch nicht so klaren Standpunkte haben.“ Diese ganze Scheindemokratie empfindet er als „unfassbar anstrengend“. Die Line „Sind doch keine Nazis – aber, kein aber“ soll genau das auf den Punkt bringen. Denn sobald da ein „aber“ kommt, „hat sich das eigentlich erübrigt“. 

Aber aus „nur einer Line“ wurden dann viele Lines, die durchaus politisch interpretierbar sind. „Löcher in der Hose und dann ständig dieser Lärm, eure Standardtänze, nein, die wollten wir nie lernen.“, die „Löcher in der Hose“ seien eine kleine Hommage an die Ärzte, eine Band, die Jakob in der Kindheit sehr geprägt hat. Beim Hören des Songs wirkt es so, als fühle sich Jakob als Teil einer Generation, die sich klar gegen alte Muster stellt und ein normiertes Verhalten ablehnt. Als ich mein Gefühl mit ihm teile, entgegnet er mir lächelnd mit „Sehr cool, das freut mich!“, und teilt seine Gedanken dazu: „Wir können sehr laut sein, und wir lassen uns auch nicht den Mund verbieten, nur weil wir jünger sind […] wir sollten stark sein und unser eigenes Ding machen und uns nicht da reinreden lassen.“

Nicht nur seine eigene Musik sei politisch geworden, generell habe er das Gefühl, dass sich immer mehr Künstler*innen trauen, eine klare Haltung zu zeigen. Die Hemmschwelle sei gesunken. „Ich habe aber auch das Gefühl, dass sich die Gesellschaft in den letzten zehn Jahren sehr politisiert hat. Das sieht man auch an den Wahlbeteiligungen. Und ja, entsprechend ist es in der Musikszene auch angekommen, gerade bei jungen Menschen.“ Unpolitisch zu sein, sei eigentlich gar nicht mehr möglich, ergänzt er noch. Und Musik ist doch das, was uns noch zusammenhält, werfe ich ein – „Voll!“, antwortet mir Jakob. 

Auch ihn frage ich, wie er mit der Schwere des Ohnmachtsgefühl umgehe. Klar, es gebe Dinge, auf die wir nun mal keinen Einfluss haben. Aber „wir sind alle fähig mit den Menschen zu reden, Menschen zu überzeugen, auf die gute Seite zu kommen und ihnen mit Argumenten, mit Zeit, mit Zuneigung, mit Liebe zu begegnen. Entsprechend, glaube ich, können wir alle, wenn wir die Kraft dazu haben, was bewegen. Und wenn wir die Kraft mal nicht dazu haben, dann sollten wir uns vielleicht mal mit den Menschen umgeben, die schon auf unserer Seite sind. Es gibt nämlich ganz viele. Und da kann man sich ganz viel Kraft und Liebe holen.“ Eine Sache müsse man sich immer wieder klar machen: „Wir sind nicht alleine […] Knapp 80 Prozent haben nicht die AfD gewählt immer noch knapp 40 Prozent haben progressiv gewählt.“

Klar, Musik allein kann den Rechtsruck in Deutschland nicht aufhalten – aber sie kann Menschen bewegen. Musik war schon immer ein Ausdruck des Zeitgeists, der auch mal ordentlich polarisieren darf. Oder es zu Zeiten wie diesen sogar muss. Das ist auch in der deutschen Indie-Szene angekommen. Denn Veränderung passiert nicht im Stillen, sie beginnt da, wo Menschen laut sind. Danke SOFFIE, PFOERTNER, VAVUNETTHA, Marlo Grosshardt und Jakob Ude für die inspirierenden Gespräche.

Was denkt ihr? Sollten sich Indie-Musiker*innen in Zeiten wie diesen positionieren? Wir sind gespannt auf eure Gedanken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert