Vergangenen Freitag veröffentlichte Search Yiu sein Album „SY“. Auf der Platte lädt uns der in Berlin lebende Musiker auf ein Spa-Wochenende durch die Tiefen seiner Psyche ein. Von dem Kampf gegen die Depression bis hin zum Antritt des Heilungsprozesses ein wichtiges Album, wie picky Sofia findet. Hier lest ihr das Interview.
Search Yiu, bürgerlich Sören Hochberg, der bisher primär im Kosmos von Hip-Hop-Medien stattfand, tauchte in der Vergangenheit auch immer wieder auf dem Radar einiger Indie-Foren und Magazine auf. So wie jetzt bei uns! Kein Wunder: Das soziale Umfeld Hochbergs rund um Musikerkolleg*innen und Freund*innen wie Mia Morgan, Drangsal und Max Rieger haben sicherlich in gewisser Hinsicht das Soundbild des Musikers mit beeinflusst. Schließlich lebte dieser über einen längeren Zeitraum hinweg mit Max Gruber in einer WG zusammen, welcher auf den Songs Weg von hier und Werden wie du auch auf dieser Platte im Songwriting mitgewirkt hat. Auch Philipp Hülsenbeck der Band Sizarr, die sich 2018 auflöste, hatte beim früheren Songwriting immer wieder mal seine Finger im Spiel. Über seinen Bruder habe Search Yiu im Alter von 18 Jahren die Tür für Alternative-Indie geöffnet bekommen, wie er 2016 in einem Videoportrait gegenüber dem DIFFUS Magazin berichtete. Diese Prägung macht sich neben weiteren musikalischen Einflüssen von RnB über Rap bis hin zu Pop auch auf der neuen Platte bemerkbar.
Hi Search! Wie geht es dir gerade so? Wie fühlt es sich an, dass das Album jetzt jeder hören kann? Ist ja schließlich auch schon Zeit vergangen, seitdem du das Projekt an die große weite Welt abgegeben hast.
Mir gehts gerade an sich gut. Ich schlaf allerdings schlecht und wenig, was daran liegt, dass ich sehr aufgeregt bin und voll in der Promophase stecke. Viele Interviews und so, aber beschweren will ich mich nicht. Ich bin froh darum, dass sich so viele Leute fürs Album interessieren.
Du veröffentlichst das Album ja wieder ohne Label in Eigenregie. Was für persönliche Vorteile oder auch Nachteile ziehst du da für dich heraus?
Es ist vor allem in der Hinsicht stressig, dass ich zum ersten Mal einen physischen Release mache. Da musste ich mich erst mal rein finden. Die Druckdateien müssen für CDs richtig on point sein, was ich anfangs bisschen unterschätzt habe. Da musste sehr viel koordiniert werden und es war ein riesiges Hin und Her, bis dann alles gestimmt hat.
(überlegt)
Generell ist es wesentlich viel mehr Arbeit. Ich mach ja Management- und Labelarbeit alleine, aber mir machts auch Spaß. Und wenn ich irgendwo mal nicht weiter weiß, hab ich zum Glück Leute, die ich fragen kann.
Hat das Album dadurch, dass es das erste physische ist, für dich einen höheren Stellenwert?
Voll! Zum einen deswegen und zum anderen, weil ich das erste Mal eine Promoagentur habe, die mich unterstützt. Dadurch fühlt sich das alles irgendwie größer ans als zuvor.
Zum Schreibprozess: In vergangenen Interviews hast du immer mal wieder betont, wie gerne du mit Freunden an Song schreibst. Hat dich – ich will das C-Wort eigentlich nicht sagen, aber ich befürchte, wir kommen da nicht drumherum – die Corona-Pandemie dahingehend eingeschränkt?
Der Großteil des Albums ist, bevor man überhaupt von Corona wusste, entstanden. Diese Songs habe ich mit meinem Produzenten Luka zusammen geschrieben. Während der Pandemie kamen nur noch drei Songs dazu. In kleineren Sessions mit Drangsal zum Beispiel haben wir es aber trotz Pandemie hinbekommen, zusammen kreativ zu sein, sodass es für alle safe war und sich gut und organisch angefühlt hat.
Ist es bei dir denn so gewesen, dass diese besondere Situation deine Kreativität angeregt hat oder macht dir das im Schreiben nichts aus, weil du ohnehin persönliche Geschichten erzählst, die es auch unabhängig von der Pandemie bleiben werden?
Ich erinnere mich daran, dass ich im ersten Lockdown gefühlt innerhalb einer Woche ne EP geschrieben habe. Zu dem Zeitpunkt dachte ich aber auch, dass das Album schon komplett fertig sei, hab aber dann letztendlich drei Songs von der Platte gekickt und durch die neu geschriebene Songs ersetzt. Im ersten Lockdown hatte ich auf jeden Fall einen richtig kreativen Schub, gerade eher nicht so.
Darfst du verraten, welche Songs das waren, die durch deinen kreativen Schub noch auf dem Album gelandet sind?
Die letzten Songs der Platte haben wir November 2020 gemacht. Davon sind dann Lange Her und On – Off noch aufs Album gekommen. Verliebt kam aber auch sehr spät dazu.
Cool, dass du eben schon Luka angesprochen hast. Ihr arbeitet ja schon länger zusammen. Ich als Hörerin hatte insbesondere bei diesem Album das Gefühl, dass ihr hervorragend zusammenpasst. So ein Search Yiu-Beat hat immer etwas ganz Eigenes, wie ich finde. Diese hypnotische und träumerische Soundwelt, die ihr euch da erschaffen habt, ist total einzigartig. Magst du uns mal einen Einblick geben, wie ihr zusammenarbeitet und warum das so gut funktioniert?
In erster Linie denke ich, dass wir so gut zusammen funktionieren, weil wir sehr gut befreundet sind! Im Gegensatz zu den Projekten vorher habe ich bei diesem Album auch relativ viel selbst produziert. Ich habe oft etwas angefangen und Luka hat es dann verfeinert. Oft sah es aber auch so aus: Luka saß am Laptop und ich habe dann meinen Senf dazu gegeben (lacht). Wir kommen immer sehr gut auf einen gemeinsamen Nenner. Wir haben zwar nicht den selben Musikgeschmack, aber dadurch, dass wir privat unterschiedliche Sachen konsumieren, kommen immer frische Impulse rein.
Gibt es dann auch mal Streit um einen Beat?
Ich glaube, Luka und ich werden niemals streiten, was das angeht (lacht).
Krass, ich dachte im Studio wird auch mal ordentlich gezofft.
Nee, gar nicht. Wir sind beide voll ruhige Menschen. Wir lösen Meinungsverschiedenheiten immer auf eine sehr harmonische Art und Weise.
Würdest du eigentlich meiner Behauptung, dass die Texte im Vergleich zum vorherigen Album pointierter und ausgereifter sind, zustimmen?
Auf jeden Fall! Das war auch mein Ziel für die Platte. Es freut mich, wenn man das meinem Songwriting anmerkt.
Darüber hinaus hab ich dich immer als einen Künstler wahrgenommen, der sich nie an irgendwelche Genregrenzen gehalten hat. Wenn man wollte, könnte man dich nicht in eine Schublade quetschen. Auch auf SY hast du mit Weg von hier deine Pophymne und beweist im gleichen Atemzug auf Leer, wie gut du auf einem düsteren Trap-Beat funktionierst. Ist dieses facettenreiche Auftreten eine bewusste Entscheidung deinerseits, um einer möglichen musikalischen Stigmatisierung entgegenzuwirken oder deinem diversen künstlerischen Umfeld geschuldet?
Ich denke Letzteres. Ich selbst konsumiere beispielsweise privat hauptsächlich Rap. Aber eine bewusste Entscheidung war das nie. Ich freu mich, wenn man mich nicht in eine Schublade packen kann. Aber ich kann dir nicht genau sagen, warum ich klinge, wie ich jetzt klinge. Das war ein langer Prozess, bis ich meinen eigenen Sound gefunden habe. Ich hab sogar beinahe das Gefühl, das passiert manchmal einfach so. Sicherlich haben dabei trotzdem Einflüsse von außen eine Rolle gespielt.
Das ist irgendwie immer eine sehr platte Frage, aber weil eben deine Songs so persönlich sind, würde mich voll interessieren, welcher deiner Tracks auf dem neuen Album dir am meisten am Herzen liegt?
Tatsächlich wurde ich jetzt schon öfter nach meinem persönlichen Favoriten auf der Platte gefragt. Aber ich glaube, es ist ein Unterschied, ob man nach dem Lieblingssong oder nach dem Song, der mir am meisten bedeutet, fragt. Und wenn du jetzt wissen willst, welcher mir am meisten am Herzen liegt, dann ist das auf jeden Fall Still. Das ist auch der persönlichste Track auf dem Album.
„Mal schauen, was sich denn noch so ergibt / Mit 23 kurz vor einem Suizid / Oft bin ich still, doch innerlich zerreißt’s mich / Doch ich bleib fleißig, ich schaff es über 30 / Zeig mir keine Fotos, keine Nostalgie / Nichts ist für immer und alles weiß man nie
Mein Herz steht still , doch die Welt dreht sich weiter / Werd ich verrückt, lässt sie mich vielleicht zurück“
Search Yiu – Still
Das übergreifende Thema, mit dem du dich auf der Platte beschäftigst, ist Mental Health. Ich hab mich im Vorfeld gefragt, ob es für dich einen Unterschied macht das Thema in deiner Musik zu verarbeiten oder darüber in deinem Podcast mit Mia Morgan zu sprechen?
In der Musik ist es für mich direkter, weil ich alleine mit mir selbst bin. Das, was in meinem Kopf gerade vor sich geht, kann ich direkt rauslassen, ohne eine Podcastaufzeichnung vorzubereiten oder so. Wenn mich etwas beschäftigt, schreibe ich es direkt nieder und mach irgendwelche Instrumentals dazu. Gerade der instrumentale Aspekt eröffnet noch mal eine weitere Dimension, die man wenn man nur spricht oder schreibt nicht hat. Das hebt das Ganze auf eine krassere Ebene an Emotionen.
In meiner Wahrnehmung sind Depression und Mentale Gesundheit auch in der Musik noch Tabu-Themen oder zumindest Themenfelder, die in der Öffentlichkeit die schockierte „Hat er das gerade wirklich gesagt?!“-Reaktion hervorrufen. Wie siehst du das?
Ich hab das Gefühl US-Rap und RnB sind da schon weiter. Hier ist das Thema irgendwie noch nicht so ganz in der Musik angekommen, aber es wird auf jeden Fall mehr. Haftbefehl rappt beispielsweise ja auch über Depression, das finde ich gut und wichtig. Man sollte über alles reden können und dürfen.
Gibt es denn Künstler*innen die dich inspiriert oder dazu bewegt haben, auch offen mit dem Thema in deiner Musik umzugehen? Oder kam das irgendwann von alleine? Da gehört ja schließlich auch eine ordentliche Portion Mut dazu, offen mit seiner Borderline-Diagnose umzugehen.
Es hat auf jeden Fall gedauert, bis ich darüber sprechen konnte. Aber spezielle Artists, die mich in der Hinsicht beeinflusst haben, wüsste ich jetzt nicht.
Find ich voll interessant, dass das aus dir selbst heraus kam. Ich dachte so klischeemäßig, du hättest zum Beispiel Frank Ocean gehört und das hätte dich dann darin bestärkt, offen mit intimen Themen umgehen zu wollen.
Jetzt wo du’s sagst, hat Frank Ocean mich schon beeinflusst, was die Direktheit in Songs angeht. Der ist auch einer meiner favourite Artists. Und Sufjan Stevens! Er erzählt zwar oft fiktive Stories in seinen Songs, aber hat dabei immer eine sehr direkte Art. Auch ein bisschen kitschig. Aber schöner Kitsch!
„Wie es mir geht? Ich sag, ich hätt es überwunden / Doch immer wenn ich das sag, bin ich betrunken“
Search Yiu – Bye Bye
Parallel zu Mental Health ist auch Wellness bei dir ein albumübergreifendes Thema. Wie sieht Search Yius perfektes Spa-Wochenende aus?
Safe irgendwo in der Natur. Und auf jeden Fall Sauna! Ich finde dieses sogenannte „Sauna-High“ richtig nice.
Und was wär der nächste Merch oder das nächste Produkt, wenn du dein SY-Beauty-Business nach der Creme noch weiter ausbaust?
Auf Beautymasken hätte ich auf jeden Fall Bock. Ein Parfüm war im Albumkontext auch mal mit meinem Virtual-Design-Bro Jonas Liebermann, der auch meine Artworks macht, im Gespräch.
Wonach würde primär SY-Parfüm riechen?
Süße Gerüche (lacht).
Ich muss zugeben, ich hab gehofft, du würdest Bademäntel sagen. So eine Bademantelkollektion wäre auf jeden Fall heftig.
Hab ich tatsächlich auch mal überlegt, aber die für so ein Albumbundle produzieren zu lassen, war mir dann zu teuer.
Fairer Punkt. Du ziehst diese Wellness-Ästhetik ja auch sehr konsequent in den Graphics durch. Ich denke da zum Beispiel an das Musikvideo zu Spaß. Was findest du an der Thematik so catchy?
Ich finde Wellness ganz wichtig. Man kümmert sich um sein Äußerliches, Körperliches und auch Inneres. Ich hab mich sehr lange damit schwergetan, mir zu erlauben, dass es mir gut geht. Ich musste lernen, dass ich es mir auch gut gehen lassen kann und darf. Das will ich jetzt mit dem Album weiter geben. Außerdem habe ich ein Album auch gerne in eine Art Schema beziehungsweise achte ich sehr darauf, dass sich ein roter Faden durch die Tracklist zieht. Ich find’s cool, wenn Artworks, Musikvideos und Merch aufeinander abgestimmt sind. Im Laufe der Albumproduktion habe ich dann festgestellt, dass ich dieses Themenfeld am passendsten finde und auch mich am besten repräsentiert.
Search Yiu und Wellness: It’s a match! Was wünschst du dir oder erhoffst du dir am meisten von der Platte?
Puuuh…
(macht eine Pause)
Dass die Leute es als Ganzes betrachten und durchhören. Aber allzu große Erwartungen hab ich nicht. Ich finde es cooler, einfach zu beobachten, was damit geschieht.
Wie bei jedem Pickymagazine-Interview, gibt es jetzt für dich einen Blank Space, wo du loswerden kannst, was dir noch aufm Herzen liegt:
Lasst es euch gut gehen!
Wer den Skit Treat Yourself gehört hat, weiß Bescheid. Danke für das Gespräch und deine Zeit. Ich wünsche dir für das Album alles erdenklich Gute.
Dankeschön!
Pflaster gegen hartes Pflaster?
Search Yiu liefert mit SY eine Platte ab, die mit vermeidlichen Genregrenzen bricht und den Zeitgeist mitten in der Brust trifft. Mentale Gesundheit stellt sich als zentrales und übergreifendes Thema in den Vordergrund. Wie bereits in der Vergangenheit oder auch zuletzt im Mental Mall Podcast lässt uns Sören Hochberg auf seinem neusten Werk an qualvollen zwischenmenschlichen Erfahrungen wie in Spaß teilhaben, die einen Stich im Herzen hinterlassen können. Das Storytelling ist schonungslos ehrlich und direkt. Die träumerische und hypnotische Soundwelt hingegen bildet eine Ambivalenz zum Lyrischen und lässt stetig einen Hoffnungsschimmer durchblitzen.
Während Kunst für viele einen Fluchtweg aus der bedrückenden Realität darstellt, ist sie für Search Yiu ein Ventil, um jene zu verarbeiten. Ich muss offen zu geben: An einigen Stellen hat SY beim Hören den wunden Punkt getroffen. Dafür war das Album an anderen Stellen umso bekräftigender und spricht dem Hörenden Mut zu. Ein bisschen so, wie wenn man ein Pflaster abzieht. Das tut kurz weh, klar. Aber viel wichtiger als das: danach kann die Wunde noch besser abheilen. Ein Album, das man beim Hören in jeder Pore des Körpers spüren kann. An dieser Stelle würde ich mich Search Yiu mit meinen letzten Worten gerne anschließen wollen: Lasst es euch gut gehen.