Pavelo & Schnell (Foto: Mats Dylan)
Die Neue Neue Deutsche Welle fühlt sich inzwischen fast an wie ein Tsunami. Von allen Seiten hagelt es unruhige Drum-Machines und Synthie-Sounds. Was anfangs eine so überschaubare Genre-Landschaft war, ist mittlerweile zu einem mitteldicht bewachsenen Wald geworden. In diesem Dschungel noch den Durchblick zu bewahren scheint immer schwerer. Immer wieder stolpert man allerdings über Artists mit einem distinktiven Sound, der komplex genug ist, um ganze Alben zu füllen – so auch Pavelo & Schnell, die dem Titel ihres Debütalbums „Volumen & Kraft“ alle Ehre machen.
Auf „Keine Zeit“, dem Intro des Albums, machen Pavelo & Schnell soundtechnisch keine halben Sachen. Sie trotzen Fade-Ins und legen mit einer prägnanten Kick den Grundstein für die Beat-Welt der Platte, die immer wieder durch atmosphärische Momente des Innehaltens gebrochen wird. Darüber legt sich auf „Keine Zeit“ die Vertonung einer ungemütlichen Raucherpause – „Keine Zeit“ für ausschweifende Gespräche. Stattdessen serviert das Duo leichtfertige Entschuldigungen auf der Suche nach Wärme.
Beginnende Manie
„Füchse“ ist geprägt von einem umtriebigen Beat, der sich mit dem Fortschreiten der Strophen immer weiter in Ekstase wummert. Fast schon manisch singt Boris Schnell darüber von Erinnerungen, die ihn einfach nicht loszulassen scheinen. Immer mit dabei und irgendwie doch auf der Flucht: die Füchse. Ein vermeintliches Sinnbild seiner Gedanken. Diese Ruhelosigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die folgenden Songs.
Auf „Irgendwann“ ergreifen Boris‘ Gedanken dann allerdings die Flucht – in die Zukunft, ins „Irgendwann“. Und jeder Overthinkende kann die Kraftlosigkeit und Erschöpfung nachvollziehen, mit der Schnell sagt:
„Immer nur irgendwann, als ob ich da noch kann“
Boris Schnell – Irgendwann
Gemeinsam mit TURBOGIANNI geht es auf „Hypnoviereck“ wieder in die Vergangenheit, die Kindheit um genau zu sein. Hypnotisiert vom Fernseher wird alles um die beiden herum irrelevant. Und je länger man dem Stream-of-Consciousness der beiden lauscht, desto mehr wirkt der Effekt, den das Bespaßungsgerät unserer Kindheit auf uns hat, wie ein Drogenrausch.
Und auf einmal ist da „König George Michael“
Weiter geht’s im vierten Gang, Vollgas und Abfahrt in die Nacht. Die Ästhetik des Songs ist entschieden düsterer als die der Vorigen. Mit dem Tunnelblick über die Landstraße, im Rückspiegel nur Hasen, sonst nichts. Und dann plötzlich der Entschluss: „Ich schalte zurück“. Gebrochen wird die nächtliche Episode von einer kurzen Einlage „Careless Whisper“. Irgendwie ist dieser Song all over the Place, alles auf einmal und genau das macht ihn so genial.
Angekommen auf der Party tritt langsam die drogeninduzierte Selbstüberschätzung ein. Auf „Kollision“[skurs] lässt Featuregast Hanne B trotzig verlauten:
„Du musst mir nicht helfen, ich kann es selbst“
Hanne B – Kollision
Und so macht sich der „[p]yroman[e]“ Verliebte weiter auf seinem Weg durch die Nacht. Sein Baby? Heißt Nikotin. Auf seinem Trip fast wahnhafter Steigerung scheint sein Mantra zu sein: „Ich zünde alles an“. Geborgenheit ausstrahlende Wärme geht von seiner Kippe aus. Dabei kämpft die verklärte Rosarote-Nikotin-Brille gegen Husten und Müdigkeit.
Halluzination oder Out-of-Body-Experience?
Was als mehr oder weniger normale Partynacht begann steigert sich immer weiter gen Wahnsinn. Auf „Fantasma“ münden Müdigkeit und Drogen in eine erschreckende Erkenntnis: „Da steht ein Geist auf der Treppe“. Ob es sich dabei um eine Halluzination oder doch eine drogeninduzierte Out-of-Body-Experience handelt, bleibt offen. Klar ist allerdings: Auch Pavelos Beats driften immer mehr ab. Synthetische Flächen vermischen sich, auf ekstatische Steigerung folgt fast beunruhigende Ruhe. Passend dazu folgt auf „Gold“ allerdings die Erkenntnis „Reden ist Silber aber Schweigen ist Gold“.
Der Morgen danach?
„Trübes Glas“ scheint das Ende des Rauschs zu signalisieren, ist aber nicht weniger ruhelos als seine Vorgänger. Zu Beginn malt Boris Schnell zwar ein in sich ruhendes Bild von Sonne, die sich durch dreckige Fenster kämpft. So weit, so gut – auch das Motto „Kleines Geld und große Wünsche“ lässt den Tag erst einmal wie einen klassischen Sonntag im Leben eines Studierenden wirken. Doch schnell beginnt eine orientierungslose Suche durch das Zimmer. Verklatscht und hilfelos, überall IKEA-Tüten im Weg und der Beat nimmt Fahrt auf. Jemand scheint ihn nicht loszulassen, denn am Ende des Songs steht die Einsicht:
„Du bist was den Raum erhellt“
Boris Schnell – Trübes Glas
Auf die Einsicht folgt Konfrontation: Gemeinsam mit Ikkimel wird auf „Amicelli“ abgerechnet. Zwei ratlos Suchende auf dem Weg in die Hilflosigkeit, die nur darauf zu warten scheinen, dass einer von beiden zuschlägt. Wobei verbale Kinnhaken ja bekanntermaßen die schmerzhaftesten sind.
Sein Ende nimmt die Episode, deren Teil wir auf „Volumen & Kraft“ werden, in vollumfassender Verzweiflung. Diese verfolgt Schnell nun auch bis in die Nacht hinein. Von Schlaflosigkeit geplagt prasselt der Beat auf ihn ein wie seine Gedanken. Von der Leere der Nacht untermalt, nehmen sie auf einmal alles ein – bis sie sich sortieren lassen und auf „Late Night Pick Up“ in einer Frage münden: „Soll ich jetzt doch zu dir fahren?“
Ein Schlusswort
„Volumen & Kraft“ fühlt sich an wie ein atemloser Ritt durch die Nacht. Zwischen Entschuldigungen, Kippen und Ratlosigkeit fließen Pavelo & Schnell über umtriebige Drum-Machines. Das Debütalbum des Duos scheint fast eine drogeninduzierte Episode, über die sich die Erkenntnisse luzider Momente legen. Und denselben Effekt hat auch die Musik des Duos selbst. Selten schafft es ein Album, eine Welt zu öffnen und Zuhörende nicht nur zuschauen, sondern Teil von ihr werden zu lassen. Wer „Volumen & Kraft“ hört, kann gar nicht anders, als sich den Instrumentals und Texten von Boris Schnell und Pavelo Promillo zu ergeben. Und das ist gut so.
Seit dem 17.02. kannst du hier selber in die Welt von Pavelo & Schnell eintauchen: