Panikattacken im Paradies und ADHS – Verifiziert nimmt uns auf ihrem Debütalbum mit in ihre Gefühlswelt

Verifiziert (Alle Fotos im Artikel: Jonas Scharf)

Verifiziert gibt auf ihrem Debütalbum „adhs“ tiefe und authentische Einblicke in ihre Gefühlswelt. Mehr dazu in der ausführlichen Picky Review. 

Ob mit „Tschick“ vor der „Switch“, auf der „Höhenstraße“ Richtung Schwedenplatz oder „Schlaflos“ durch die Nacht. Einmal bei Verifiziert ins Auto eingestiegen, möchte man so schnell nicht wieder aussteigen und wissen, wo sie uns in ihren Songs als nächstes hinfährt. Für ihr erstes Soloalbum „adhs“ tauscht die Wiener Musikerin den „Golf 4“ gegen einen „Suzuki Swift“ ein und zeigt sich gewohnt gefühlvoll authentisch und melodisch verträumt, aber auch facettenreich in Textpassagen und Soundbild. Beim Hören bleibt oft die Zeit stehen oder rast mit Bleifuß auf dem Gas auf den nächsten „Crash“ zu. Was danach bleibt, ist die Frage, ob sie sich jetzt einen Goldzahn machen lässt und ob einem das auch stehen würde, aber vor allem das Gefühl, sich wieder einmal kurz verliebt zu haben.

Zahlreiche Festival Gigs im Sommer, beispielsweise auf dem Splash oder Frauenfeld, Support Auftritte für unter anderem Casper, Materia, und Provinz und außerdem ihre erste eigene Show “Veri and Friends” in Wien mit z.B. Eli Preiss, LGoony oder Paula Hartmann als namhafte Begleitung. Live ging es für Verifiziert in letzter Zeit steil bergauf, obwohl sie eigentlich nie live spielen wollte. Ihr erstes eigenes Album „adhs“ stellt für die Östereicherin nun auch den nächsten großen Schritt in ihrer musikalischen Entwicklung dar.

„Sad Vibes“ und romantisierte Beschreibungen alltäglicher Gegebenheiten prägen seit den ersten Releases 2019 das Stimmungsbild ihrer Musik. Schon auf der EP „Sonntag 17:00“ (2020) werden ehrliche Gefühle von tagträumerisch einladenden Instrumentals über die Tracks getragen. Vor allem seit Beginn der Zusammenarbeit mit Erotik Toy Records Member Florida Juicy, der wieder für einen Großteil der Produktion des neuen Albums verantwortlich ist, veränderte sich das Soundbild spürbar. Cloud Pop oder authentischer Pop nannten sie es selbst, was auch wirklich gut passt, denn die Beats wurden, beispielsweise auf dem Tape „40100“ (2021), zunehmend tanzbarer und eben poppiger. Was sich dabei nicht änderte ist, dass Verifiziert sich nie scheute, ihre Gefühlswelt offen und ungefiltert preiszugeben. Eindrücke und Erfahrungen verarbeitet sie auf ihren Songs und nutzt, wie so viele Künstler*innen, die Musik als Ventil.

“Wach auf, beide Beine taub / Meine Hände kribbeln immer noch, der Kopf ist viel zu laut“

Verifiziert – Nasse Straßen

Auf dem neuen Album zeigt sie sich auf ihre Art und Weise verletzlich, feiernd, verliebt, traurig und verkatert. Sie öffnet sich auf „adhs“ nochmal anders, hat die “panic attacks im Gepäck” und man erfährt eine neue, für mein Empfinden tiefergehende Seite von ihr. ADHS steht dabei thematisch nicht im Vordergrund der Platte. Jedoch hat sie den Titel bewusst gewählt, um auf ADHS, insbesondere bei erwachsenen Frauen, aufmerksam zu machen und mehr Sensibilität und Sichtbarkeit für das Thema zu schaffen. Mehr dazu kann man im Podcast „Danke, gut“ nachhören, wo sie unter anderem über die Diagnose und ihren Umgang damit spricht.

Im Album selbst beschreibt sie textlich vereinzelte Gefühlslagen und Stimmungen und geht dabei mehr ins Detail. Durch Zustandsbeschreibungen, wie in „Nasse Straßen“ sind ihre Emotionen und Gedanken für Hörer*innen gut nachvollziehbar und verständlich. Auf „adhs“ zeigt uns Verifiziert nicht nur ihre Gefühlswelt, sondern auch bekannte, sowie auch neue Orte. In den Songs bringt uns der „Suzuki Swift“ “von der Bühne ins Delirium” und mit Gedanken an den Crush und halbem Tank kurz in den Sommer nach „venedig“ oder Japan bzw. Tokio, wo die Videos zu den ersten zwei Singleauskopplungen „Crash“ und „Suzuki Swift“ gedreht wurden.

Gestaltung, Ideen, Konzept und Stilistik der verschiedenen visuellen Produktionen, an der Veri selbst meist maßgeblich beteiligt ist, macht hierbei die Kreativität und Professionalität der Künstlerin und der Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet, deutlich. Videos, wie das zu dem Song „Lady Boba“ spiegeln ein gewisses Lebensgefühl wider und es macht so viel Spaß zu schauen, dass man am liebsten selbst Teil des Videos sein möchte. Das zum Albumrelease erschienene Video zu „One Call away <3“ stellt nur ein weiteres Beispiel dafür dar:

Auf „adhs“ traut man sich, soundtechnisch mehr zu experimentieren und auszuprobieren. Mal geht es poppig tanzbar nach vorne, mal scheppert es technoesk aus den Boxen. Manchen Tracks verleiht allein ihre einzigartige Stimme, die oft in hoher Tonlage zu hören ist, akustisch mit Gitarre untermalt, den sowieso schon gefühlvollen Texten, eine herausstechende Kraft und mit manchen Songs fühlt man sich einfach wohl, weil sie an das „40100“ Release erinnern. Zwischen Zeilen und Vibes, bei denen der flaue Magen nicht vom „Kater“ kommen kann, wird in einigen die Leichtigkeit zurückgebracht, in die man gelegentlich abschweift und nicht weniger über banale Alltagseindrücke nachgedacht, z.B. im Skit über Goldschmuck für den Zahn.

Die Featuregäste Kid Kapri und Longus Mongus stammen, wie so oft aus dem engeren Umfeld, nehmen nicht zu viel Raum ein, bringen etwas Frische auf die Platte und runden das Ganze schön ab. Produziert wurde nicht alles vom bereits erwähnten Bremer Florida Juicy, sondern unter anderem Alex the Flipper, die Drunken Masters, „food for thought“ oder auch Skyfarmer dürfen sich dafür ihre Credits abholen. Dieses 15 Tracks schwere Debüt ist auf gar keinen Fall ein Album, welches nur einmal gehört und dann wieder weggelegt werden kann. Verifiziert ist schon lange kein Geheimtipp mehr und genau das beweist sie auf „adhs“.

Auf der Platte reift ihr Sound. Gewohnt träumerisch beweist sie Bodenständigkeit, indem sie weiter ihr Ding durchzieht, macht, worauf sie Bock hat und sich ausprobiert. Es fehlt nicht an romantischer Verspieltheit oder großen Gedanken, an das, was mal war oder das, was noch sein könnte. Wir fahren ohne Ziel oder tanzen durch die Nacht. Wir haben Liebeskummer oder verlieben uns. Traurige Schönheit trifft auf dem Album auf eine Atmosphäre, die uns schweben lässt. Die Songs wirken zusammen stimmig und es ist alles irgendwie pur und ehrlich. Im Sommer fährt sie wieder von Festivalbühne zu Festivalbühne. Doch man kann gespannt sein, wohin uns Veri musikalisch als nächstes mitnimmt.

Das Debütalbum von Verifziert erschien am 3.3.2023 auf allen digitalen Plattformen, jetzt hier direkt reinhören: