Die Magie im Miteinander: Mel D über “Young Bones”, Zuhausegefühle und den Willen nach einer anderen Welt

Mel D (Alle Bilder im Beitrag: Noémi Ottilia Szabo)

Worte voller Schwere, ein Klang, der leichtfüßig bleibt: Mel D weiß um die dystopischen Zeiten, in denen wir leben, und weigert sich sie hinzunehmen. Wie wichtig ist Gemeinschaft und was haben Hexen damit zu tun? PICKY hat die Schweizer Künstlerin getroffen, um alldem ein Stück näher zu kommen und Antworten zwischen den Zeilen ihres Debütalbums “Young Bones” zu finden.

Im vergangenen Juni traf sich ein Großteil unseres Teams in Köln, um das erste Evenflow Festival zu begleiten. Wir ließen uns zwischen den Bühnen hin- und hertreiben, lagen im Gras in der Nachmittagssonne. Die Tage waren schon so warm, dass ich mich erinnere, froh über jeden Auftritt gewesen zu sein, welcher in der Dunkelheit und Kühle des einen Innenbereiches stattfand. Einen davon spielte Mel D – keiner von uns kannte die Künstlerin, die zu diesem Zeitpunkt noch kaum Musik unter jenem Namen veröffentlicht hatte. Doch als sie am Ende durch das Publikum wanderte und mit ihm a cappella immer und immer wieder sanft “Please bring the witches back” sang, passierte etwas. Es war wie ein kleiner Hoffnungsschimmer, ein kollektives Gefühl, das zu sagen schien: Wir stecken hier alle gemeinsam drin und wir sehnen uns nach ein bisschen Zauber.

Monate später sitze ich mit Mel in einem Café, als sie während ihrer ersten eigenen Tour in Berlin vorbeischaut, und spreche über diesen Moment. Sie erzählt von jenem Song, der ihr Set abschloss, welcher naheliegenderweise den Titel “Bring The Witches Back” trägt. Aus einer Lethargie gegenüber gesellschaftlichen Zuständen heraus soll er eben das sein – ein Funke Hoffnung, ein Lichtblick zwischen viel Schwarzmalerei. “Es ist wichtig, dass wir fähig sind, uns die Welt anders vorzustellen als sie gerade ist, damit man Veränderung auch angehen kann. Letztens hat mich jemand gefragt, ob Musik die Welt verändert und ich habe vielleicht etwas zu schnell ja gesagt – aber es ist ein Raum, in dem Ideen geteilt werden und Menschen zusammenkommen.” Die Hexen stehen hier nicht nur für den Wunsch nach Magie, sondern auch für die reale Kraft von FLINTA*-Personen, die für Veränderung kämpfen, wie Mel ausführt.

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“Bring The Witches Back” liegt wie das Herzstück inmitten des Debütalbums. “Young Bones” blickt nach vorn, in Richtung besserer Tage, sowie zurück in Kindheit und den Prozess des Aufwachsens. Dass Kunst einen Weg eröffnen kann, bestimmte Dinge zu reflektieren, das weiß die Musikerin nur zu gut. “Meistens schreibe ich dann Songs, wenn ich etwas nicht einfach so in Worte fassen kann, wenn ich sehr bei mir am Suchen bin. Das Album versucht zu verstehen, warum wir wie werden und das auch als etwas nie Abgeschlossenes zu sehen.” Braucht es also Abstand, um ein Thema musikalisch zu verarbeiten? Mel meint: Mal ja, mal nein. Im Fall von “Not Crazy” befand sie sich eigentlich mit ihrem guten Freund und Künstler Dino Brandão im Studio, um einen ganz anderen, traurigen Song aufzunehmen, doch erfüllt von Wut durch eine sexistische Erfahrung am Abend zuvor war ihr das nicht möglich. Als Dino vorschlug, stattdessen diese Energie in ein Lied fließen zu lassen, schrieb sich der Text plötzlich fast wie von selbst.

Es ist eine Sache, Kreativität als Outlet für Gefühle und Erfahrungen zu nutzen – aber was passiert, wenn eine breitere Masse dabei zuhört? “Natürlich hatte ich Respekt davor, aber ich habe auch gemerkt, dass es gar nicht so wichtig ist, was meine Geschichte dahinter ist. Ich erkläre selten meine Songs, um nicht das Potential wegzunehmen, was in ihnen steckt. Es wird sonst zur Performance, zu einer klaren Erzählung, die man wie beim Fernsehgucken nachverfolgt.” Eine Offenheit, ein Raum zum Projizieren interessiert Mel viel mehr. “Mich berührt es immer am meisten, wenn ich innerhalb von Musik meine Erfahrungen wiederfinde, mich verstanden fühle.” Manche Zeilen innerhalb des Albums lesen sich wohl wie romantische Liebeserklärungen, sollte man gerade einen Bauch voller Schmetterlinge haben, dabei gibt es eigentlich nur einen klassischen Lovesong auf “Young Bones”. Wir verraten an dieser Stelle frecherweise auch nicht welcher, um Mels Punkt zu unterstreichen.

Auf Bühnen zu stehen ist der Schweizerin übrigens alles andere als fremd, aus der Live-Besetzung von Faber ist sie mittlerweile nicht mehr wegzudenken. “Ich hatte das große Glück in Bands zu spielen, zu denen sehr viele Leute kamen, weil die schon berühmt waren – und ich war dann halt auch da”, erzählt sie und muss lachen. Auf der eigenen Tour existiert natürlich ein anderer Druck. “Jetzt denkt man sich davor ‘Oh shit, hoffentlich kommen überhaupt Menschen. Warum denn sollte sich auf einmal irgendwer in Freiburg am Breisgau das anschauen wollen?’ Wenn sie dann aber kommen, ist es umso schöner.” An dieser Stelle tue ich kund, wie sehr ich mich freue, dass es gerade auch positive Beispiele von kleineren Künstler*innen gibt, für die das Spielen aller Konzerte aufgeht. Momentan müssen immer wieder Tourstops abgesagt werden, wenn Ticketverkäufe zu niedrig sind, um Anfahrt, Venue, faire Bezahlungen aller Mitarbeitenden absichern zu können. Mel weiß um die Verantwortung, die das mit sich bringt. “Es bin ja nicht nur ich, das wäre ja viel einfacher zu handeln. Aber all diesen Menschen, die auf und hinter der Bühne mit dabei sind, denen möchte man auch etwas bieten.

Wir kommen zurück zum Album, zum Song “Slowly Growing”. Er thematisiert den Impuls, sich aus dem Gefüge des Ortes, an dem man aufwächst, lösen zu wollen – nur um zu merken, wie schwer es ist, einen Platz in der Welt zu finden. Kehrt man dann zu jenem Zuhause zurück, sieht man sich auf einmal damit konfrontiert, auch dort nicht mehr auf dieselbe Weise hinzugehören. “Mit 19 bin ich von den Bergen, wo ich groß geworden bin, nach Zürich gezogen. Der Kontrast war natürlich groß. Jetzt, wenn ich dorthin zurückgehe, entsteht das Gefühl, immer noch die Rolle zu haben, die man dort davor hatte.” Der Alltag als Musikerin verändert Mels Suche nach Zugehörigkeit nun weiter. Das ständige Unterwegssein wirkt auf sie, als würde man einem Zuhause stets hinterherrennen. “Du bist monatelang weg, kommst danach in die WG, in der du mit den engsten Freundinnen wohnst, und Welten treffen aufeinander, weil es so viel zu verarbeiten gibt. Es braucht erstmal einen Findungsprozess – und dann geht es direkt wieder auf Tour, wo du dich auch auf eine Art zuhause fühlst. Schlussendlich besuchst du deine Familie, die das Leben, was du führst, sowieso gar nicht versteht… Das Ganze ist sehr komplex!”

„Put my childhood in boxes and boxes over boxes in a basement where I forget that when I’m coming home I still don’t know where do I belong“

Mel D – Slowly Growing

Ein Glück, dass es Musik gibt, in der man das alles verarbeiten und in schöne Sounds verpacken kann. Mels Lieder gehen in die Tiefe, an Stellen, die schmerzhaft sein können, und doch strahlen sie stets Wärme aus. Da steckt eine Verspieltheit in den Gitarren, ein Augenzwinkern in der blendenden Mittagssonne. “Selbst wenn viele meiner Songs schwierige Themen behandeln, ist mir wichtig, diese Schwere gerade während eines Konzertes auch wieder wegzunehmen und Platz zu lassen für lustige, leichtere Dinge”, führt sie aus. Es gibt eine Gleichzeitigkeit dieser Aspekte, die auf “Young Bones” direkt spürbar wird. Im letzten Song des Albums namens “Where Do You Look When It Hurts?” hüllt die Melodie die Worte wie in Watte, sanft spricht sie von einer Leere, einem Gefühl des Ausgebranntseins. Und wohin guckt sie jetzt, wenn es wehtut? “Ich lerne überhaupt erst das Hinschauen. Die Welt bewegt sich so schnell, die Ablenkung ist immer da und dann wirklich hinzuschauen ist das Schwierigste. Ich habe diesen Song gemacht, auch um die Frage an mich zu stellen.” Das Songschreiben scheint ein Weg zu sein, um sich darin zu üben, nicht den Blick abzuwenden.

Ich wünsche mir einfach sehr, dass alle ein bisschen mehr auf sich und die Welt aufpassen. Sie kann sich verändern, wenn man kollektiv etwas dafür tut.” Mit diesen Worten beendet Mel das Gespräch. Damit scheint sie zusammengefasst zu haben, wofür ihr Debütalbum zu plädieren scheint – man ist nicht allein mit der Schwere, man hat das Privileg und auch die Verantwortung gemeinsam dagegenzuwirken. Da ist er wieder, der Hoffnungsschimmer. An diesem Tisch, an dem wir gerade sitzen und später auf der Bühne, auf der Mel stehen wird. Der Schimmer leuchtet noch heller, als sie sich auch hier schlussendlich durch die Menge bewegt und der Wunsch nach der Rückkehr der Hexen mit jeder Stimme ein Stück lauter wird.

Mel Ds Debütalbum „Young Bones“ erschien am 5.9.2025 und hier könnt ihr direkt hineinhören:

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