Antje Schomaker hat Hunger auf „SNACKS“

Antje Schomaker (Foto: Pablo Heimplatz)

Dienstagnachmittag in Hamburg und Köln. Antje Schomaker und ich sitzen an unseren Laptops, das Interview zu 12 Songs, mit 12 Fragen und mindestens 12 Antworten beginnt. Track by Track hangeln wir uns an den Songs von Antjes zweitem Album „SNACKS“ entlang, um in unserem Gespräch das zu verstehen, woran die Musikerin die letzten Monate gearbeitet hat. Im virtuellen Zoom-Raum herrscht lockere und auch ehrliche Stimmung. Nach einem kurzen Schnack starten wir mit dem Interview.

1: „Lost Indieboy“

picky Fe: „Mit „Lost Indieboy“ porträtierst du die Indieboys, die cool wirken, aber irgendwie doch sehr verloren sind. Der Song hat mich an meine Jugend und auch an Zeit, in der ich vor allem eine Band ganz doll angehimmelt habe, erinnert. Bei mir war das Tokio Hotel. Hattest oder hast du auch so eine Band oder Musiker*in?“

Antje: „Auf jeden Fall Harry Styles oder Holly Humberstone. Es gibt, glaube ich, immer so Phasen, in denen man bestimmte Künstler*innen anhimmelt. Ich bin noch nie beim Anblick eines Stars umgefallen oder habe geschrien, aber ich wünschte manchmal, ich hätte so was schon gehabt. So einen Kontrollverlust zu haben, stelle ich mir spannend vor. Was manche Menschen bei einem Fußballtor empfinden, durchleben andere bei ihrem Lieblingssong. Ich aber wie gesagt leider noch nicht — vielleicht irgendwann dann doch mal bei Harry Styles (lacht).“

2: „SNACKS“

picky Fe: „Der Song ist Namensgeber deines zweiten Albums. Wann oder wie hast du die Entscheidung getroffen, dass dein neues Werk so heißen soll? Und was ist dein persönlicher Lieblingssnack?“

Antje: „Mein Lieblingssnack variiert. Eine zeit lang waren es Sommerrollen, dann waren es zeitweise die nucao-Riegel. Oder diese sauren Schlangen. Von denen hatte ich eine Zeit lang immer eine Packung in meiner Handtasche. Es ist wirklich immer phasenweise. Und genauso ist auch mein Album. Man hat zum Beispiel Phasen, in denen man extrem verliebt ist, da kann man dann „Nie nach Paris“ rauf und runter hören. Oder eine Zeit, in der man einen Verlust erlitten hat oder Schmerz fühlt, wo man dann „Wenn ich mal Kinder hab“ oder „Sterne & So“ hören kann. Deswegen heißt mein Album auch so. Die Songs sind Snacks – wir sind alle heiße Snacks (lacht). Und so steht eben jeder Snack für eine andere Phase und eben auch einen anderen Song.“

3: „Nie nach Paris“

picky Fe: „Du hast eben „Nie nach Paris“ bereits kurz angesprochen. Im Song besingst du das Verliebtsein und Paris. In Anlehnung an die Stadt der Liebe habe ich folgende Entweder/Oder-Frage an dich: Du bist vor einiger Zeit von Hamburg nach Berlin (und später auch wieder zurück) gezogen. Was ist deine Stadt der Liebe, Berlin oder Hamburg?“

Antje: „Berlin würde ich als Affäre, Hamburg als Langzeitbeziehung bezeichnet. In Berlin bin ich gerne mal für ein Wochenende, wenn die Sonne scheint, aber in Hamburg halte ich auch den Regen aus. Hier wohnen einfach meine Menschen und es ist insgesamt viel mehr meine Stadt. Die drei Jahre in Berlin waren dennoch eine tolle Affäre, aber eben nur eine Lebensphase.“

4: „So Wie Du“

picky Fe: „Beim vierten Song auf der Platte ist mir vor allem aufgefallen, wie weich und samtig der Sound und die gesamte Produktion klingen. Dadurch gehen (zumindest für mich) Songtext und Klang Hand in Hand. War das eine bewusste Entscheidung?“

Antje (beginnt zu grinsen): „Voll cool, dass du das sagst! Tatsächlich haben wir das Stück nämlich komplett live im Studio eingespielt. Wie schön, dass man das anscheinend hört. Als ich den Track geschrieben habe, dachte ich an mich und meine rosa E-Gitarre und daran, wie ich ganz lässig die Akkorde zum Song spiele. Ich wollte die Berührungen und die Leidenschaft aus dem Text irgendwie auf sanfte Art und Weise auch im Sound unterbringen. Und natürlich beinhaltet das Stück auch viele Harmonien, was, wie ich finde, oft eine umarmende Wirkung hat. Ich liebe den Song wirklich sehr und lasse mich da gerne reinfallen.“

5: „Alles Neu“

picky Fe: „Kommen wir nun zum einzigen Cover, „Alles Neu“. Das Original stammt bekanntlich von Peter Fox. Eine schnelle Entweder/Oder Frage: Lieber Altes behalten oder (wie im Song von Peter Fox) neu starten?“

Antje: „Ich bin für Chancen und dann für den Neustart. Es kommt drauf an, also in einer langen Freundschaft sollte man über Probleme immer erst einmal sprechen. Aber sonst bin ich auch ganz doll für das Neustarten. Wenn etwas nicht gut tut die Dinge beenden und dann neu anfangen.“

6: „Zeit heilt einen Scheiß“

picky Fe: „Auf dem folgenden Stück besingst du toxische Beziehungen der Vergangenheit und deren Impact auf die Gegenwart. Glaubst du in Bezug auf den Songtitel tatsächlich nicht, dass Zeit Wunden heilen kann?“

Antje: „Ich glaube, dass manche Beziehungen so schlimm sind, dass wir ganz viel Arbeit benötigen, um das Geschehene zu verarbeiten. Und dass Menschen im Umfeld für die betroffene Person da sein können, ohne die Erfahrungen der Person zu mindern. Nach meiner Beziehung, wo ich zur Polizei gehen musste und mir therapeutische Hilfe sowie die Unterstützung des Weißen Rings holen musste, weil mein Ex-Freund mich gestalkt hat, waren Floskeln wie „Vielleicht wollte er dir was beibringen“, „Die Zeit heilt alle Wunden“ und „Alles wird gut“ überhaupt nicht hilfreich. Ich brauchte die Wut, um mich davon abzugrenzen und das Geschehene zu verarbeiten. Oft sprechen dir Menschen in solchen Situationen deine Gefühle ab, so nach dem Motto: „Vielleicht musst du einfach nur Grenzen setzen.“ Aber Grenzen zu setzen lernst du vor allem in einer gesunden Beziehung und nicht in einer, in der ein „Nein“ nicht akzeptiert wird. Deswegen war dieser Song eher eine Art Mittelfinger an die guten Ratschläge, die man manchmal einfach nicht hören möchte. Ich bin ein großer Freund davon, nachzufragen, was mein Gegenüber gerade braucht. Möchtest du einen Ratschlag oder nur jemanden, der*die zuhört? Und oftmals reicht es einfach zuzuhören. Denn die Ratschläge aus der Zeit, in der ich den Song geschrieben habe waren teilweise wirklich zum Kotzen (lacht). Also: Ich glaube schon, dass Zeit Wunden heilt oder dass der Schmerz weniger wird. Ich glaube aber ebenso, dass man besagte Ratschläge nicht braucht.“

7: „Wenn ich mal Kinder hab“

picky Fe: „Für „Wenn ich mal Kinder hab“ hast du mit der Musikerin und Produzentin Novaa zusammengearbeitet. Wie kam es zu dieser Kooperation?“

Antje: „Ich bin großer Fan von Novaa und wollte schon länger mit ihr zusammenarbeiten. Und dann haben wir uns im Studio verabredet und wollten einfach mal schauen, was so passiert. Tatsächlich habe ich viele Songs mit verschiedenen Produzent*innen geschrieben, um einfach mal was auszuprobieren. Denn als Songwriter*in mit Gitarre und den eigenen Produktionsskills ist man manchmal schon etwas eingeschränkt. Da einen Safe Space zu kreieren, in dem man zulassen kann, sich verletzlich zu machen ist nicht immer so leicht. Nicht bei jede*r Produzent*in kann es geschehen, dass ich mich thematisch so fallen lassen kann. Bei Novaa habe ich mich allerdings direkt sehr wohl gefühlt, sie ist ein unfassbar toller Mensch. Sie hat dann diese Akkorde gespielt und ich habe innerhalb von 15 Minuten den Text über meine Mutter geschrieben, die ich vor fünf Jahren fast verloren hätte. Ich konnte bei Novaa meine Gefühle rauslassen, darüber sprechen, weinen und dann war der Song fertig. Und das schafft man glaube ich nicht mit vielen Menschen. Wir haben uns verabredet, um zu schauen, was passiert und dann ist total magisch dieser Song entstanden, worüber ich sehr happy bin.“

8: „Irgendwohin“

picky Fe: „Die Nummer hat, wie ich finde, zwei wesentliche Bausteine: Die Songline „Destiny is calling me“ aus dem Song „Mr. Brightside“ von The Killers und das Bild einer Sommernacht, die niemals enden soll. Um beide Ebenen in einer Frage zu vereinen: Was war dein bisheriger Sommerhit 2023?“

Antje (überlegt und spitzelt parallel am Handy in ihren Spotify-Account): „Ich höre super gerne „saudade“ von David Bay. Bay ist ein Hamburger Produzent und Mitglied bei Pool. Das ist auf jeden Fall einer meiner persönlichen Sommerhits. Und sonst höre ich auch richtig gerne „FOMO“ von badchieff. Ist jetzt kein Hit, aber für mich ganz persönlich irgendwie schon.

„Irgendwohin“ ist übrigens für Emily Roberts und featuring Eva Briegel von Juli. Ich bin sehr glücklich darüber, bei dem Song mit Eva, einem Idol aus meiner Jugend, zusammengearbeitet zu haben.“

9: „Huckepack“

picky Fe: „Super, dass du es ansprichst. Denn genau über das Thema Feature wollte ich im Zuge des Songs „Huckepack“ mit dir sprechen, da dieser Track für mich als Hörerin die Kraft von zwischenmenschlichen Beziehungen, Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung symbolisiert. Wie hast du mögliche Feature für dein zweites Studio-Werk ausgesucht?“

Antje: „Ich hatte nie den Moment, wo ich dachte „Ich will unbedingt ein Feature“. Ich würde nie einfach einen Song machen, nur damit man ein Feature mit Person X hat. Bei „Irgendwohin“ kam das tatsächlich durch meine A&R Feline, die ich schon ganz lange kenne. Sie war mein 1000. Facebook-Fan (grinst stolz). Feline meinte zu mir, dass bei dem Song eine weitere Stimme super passen würde. Und so habe ich einfach Eva von Juli angeschrieben, wir haben uns getroffen, ich habe ihr den Song gezeigt und sie hat zugesagt. Es war nicht geplant, aber ein absolutes Match. Als ich die finale Vocalspur dann gehört habe, habe ich erst mal geweint.“

10: „Denk nicht an Dich“

picky Fe: „Im zehnten Song geht es um das Gefühl, sich selbst darin zu verlieren einer anderen Person gefallen zu wollen, oder?“

Antje: „Wenn ich jemanden toll finde, bin ich immer gut darin, die Person zu ignorieren. Falls ich also auf jemanden stehe, merkt man es daran, dass ich gar nicht mit dieser Person interagiere und mich gefühlt auf der anderen Seite des Raumes befinde. So nach dem Motto „Ne, macht mir gar nichts aus, dass du hier bist.“ Ich bin sehr gut im Selbstbelügen und sehr schlecht im Flirten. Genau so ist auch dieser Song entstanden, weil ich mir selbst eingeredet habe „Ist mir total egal, dass du mir nicht schreibst.“ Aber dennoch habe ich mich ständig dabei ertappt, wie ich auf mein Telefon geschaut habe.

Übrigens: Alle Namen, mit denen ich im C-Teil laut den Lyrics mal geknutscht habe sind korrekt (lacht). Und manche von denen haben mir auch schon freudig geschrieben oder mich auf die Songzeile angesprochen (lacht wieder).“

11: „Sterne & So“

picky Fe: „In „Sterne & So“ stehen die Sterne sinnbildlich für die vielen aufkommenden Fragen nach einer gescheiterten Beziehung. Wie kamst du auf diese Referenz? Nimm uns gerne einmal mit in die Entstehung des Songs.“

Antje: „Ich habe mich bei den Apps „The Pattern“ und „Co-Star“ angemeldet und dort das Datum meines Ex-Freundes und mir eingegeben. Dann standen dort 1:1 alle Probleme, die wir in unserer Beziehung hatten. Und ich konnte quasi alles online nachlesen. Es war irgendwie absurd. Daher fand ich die Astrologiegeschichte in dem Kontext ganz spannend. Ich empfand es als seltsame, verrückte Tatsache, dass es (insofern man an Sterne etc. glaubt) vorhergesagt hätte werden können, dass das zwischen meinem Ex und mir nicht passt. Ich würde danach natürlich nicht meine neue Beziehung aussuchen wollen, aber ich hatte an diesem Tag einfach eine zufällige Situation, die ein guter Aufhänger für das Thema war.“

12: „Nicht wirklich ganz“

picky Fe: „Das letzte Werk deiner Platte thematisiert das Nicht-genug-Kriegen. Fällt es dir persönlich schwer, dich auf eine Sache zu konzentrieren und ganz bei dieser zu bleiben?“

Antje: „Ja, der Song ist für mich eine Art Erinnerung, mich auf mich selbst zu besinnen. Ich denke oft, dass ich alles alleine schaffen muss und nichts abgeben möchte. Mit dem Song „Huckepack“ thematisiere ich zum Beispiel das Burn-out, das ich letztes Jahr hatte. Ich erzähle, wie die Menschen um mich herum mich aufgefangen haben und das auch wollten und ich gleichsam auch zulassen musste, mich auffangen zu lassen. Und gleichsam möchte ich es auch mehr zulassen, Dinge zu verpassen. So wie „Huckepack“ soll auch „Nicht wirklich ganz“ organisch klingen.

„Nicht wirklich ganz“ ist kein Song für eine Single, aber genau deshalb musste er zumindest mit auf das Album. Mir fehlen im Deutschpop die Songs, die ein minutenlanges Intro (wie „Sterne & So“) haben oder experimentell klingen. Und damit wollte ich ein wenig brechen. „Nicht wirklich ganz“ ist immer die Zugabe bei meinen Konzerten und soll mich daran erinnern, bei mir zu bleiben und Albumsongs zu schreiben, um die Künstlerin zu sein, die ich sein will.“

„SNACKS“ für die Ohren in Form von Antje Schomakers neuem Werk gibt es hier:


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