
Miese Mau (Alle Bilder im Beitrag: Dominik Friess)
Zwischen Alltagslethargie, New-Wave-Gitarren und Erwachsenwerden hat Miese Mau vor ein paar Jahren den richtigen Nerv getroffen. Nun ist nach einem Moment Ruhe sowie wenigen Singles seine zweite Platte „Blumenstrauß“ erschienen, die sich als Reflexion dieser Zeit versteht. Wir haben uns mit dem in Berlin ansässigen Künstler kurz vor der Releaseparty getroffen, um über die Entwicklung zwischen den Alben, Stadtflucht und den Fast-Fashion-Gedanken in der Musik sprechen.
Eine Hand ragt aus dem Wasser und hält eine Ansammlung von Blüten in das trübe Abendlicht. Manche davon haben sich schon weit geöffnet, hell und blühend, andere bleiben zierlich oder lassen gar den Kopf etwas hängen. Zusammen werden sie jedoch zu etwas Ganzem, einem stimmigen Bild, das sich gegenseitig bedingt – insofern spricht das Albumcover von „Blumenstrauß“ für das, was uns darin erwartet. Miese Mau beschert uns mit zehn Songs, die unweigerlich miteinander verschlungen sind und uns in alle Ecken seiner Gefühlswelt mitnehmen, gerade die düsteren. Doch da lebt stets eine Wärme in seinem Sound, selbst wenn er von kalten Händen singt.
Eine Wärme, oder besser gesagt Hitze, herrscht auch am Tag der Releaseparty in den Straßen Berlins. Da bietet der Garten des ÆDEN Clubs ein wenig Zuflucht und wir verziehen uns für das Interview in den schattigsten Winkel. Auf die Frage hin ob die Anspannung noch überwiegt, reagiert Miese Mau relativ gelassen. Am vorherigen Abend habe er schon mit seinen Liebsten in das Album hineingefeiert und dabei fiel schon eine große Last ab. Doch im Anbetracht des Konzertes fühlt er sich natürlich etwas aufgeregt, mit auf der Bühne werden auch alle beteiligten Feature-Gäste stehen – und das sind bei „Blumenstrauß“ gar nicht mal so wenige. Wie anders war da der Schreibprozess? Gewöhnunsgbedürftig, aber schön. „Es war auch meine Vision, dass viele Leute mitarbeiten. Ich wollte im Endeffekt etwas haben, was total facettenreich ist und das kommt natürlich nochmal mehr durch, wenn unterschiedliche Gäste darauf sind.“
Die größere Menge an anderen Stimmen ist aber nicht die einzige Veränderung im Vergleich zum Debüt „Verbrecher“. Gerade textlich und athmosphärisch wirkt „Blumenstrauß“ melancholischer, liegt schwerer im Magen und wir fragen uns wie er die Entwicklung dazwischen empfand. „Das erste Album hab ich geschrieben, kurz nachdem ich nach Berlin gezogen bin. Das waren meine ersten beiden Jahre hier und da war ich viel mit mir selbst beschäftigt. Dadurch habe ich ein paar krasse Erkenntnisse gewonnen – darum geht es dann auf dem zweiten Album, eher die Retroperspektive.“ Beispielsweise thematisiert der Song „Nelken“ seine Geburtsstadt Stralsund, erzählt Miese Mau, darin reflektiert er über seinen Bezug zu diesem Ort, den er bis dahin bloß unterbewusst wahrnahm. „Erde“ wiederum zeige sich als Flucht vor Stadt, Struktur und Konvention sowie der Wille zurück zu sich selbst zu finden.
Was genau aber meint er mit diesen Strukturen und Konventionen? Wo in diesen Begriffen liegt der Aspekt, vor dem er fliehen will? „Ich geh‘ viel arbeiten, neben der Musik, und mein Beruf hat gar nichts damit zu tun. Das bildet einen ganz großen Strukturteil, bei dem man komplett im 9-to-5 gefangen bleibt, was auch total die Inspiration killt. Wenn man zehn Stunden am Tag weg ist und nur zwei Stunden für sich hat, bleibt davon einfach nicht so viel für Musik übrig.“, teilt er ehrlich. Und der Druck von Konvention findet sich gerade im Großstadtalltag wieder: „In Berlin hat man schnell das Gefühl, dass viele Leute etwas von sich halten – auch gerechtfertigt, da jede*r geile Sachen am Laufen hat, was auch sehr schön sein kann – aber manchmal fühlt sich das für mich wie ein kompletter Overload an.“
Diese Gefühl und viele andere verpackt Miese Mau gern in Metaphern, versetzt sich in die Rolle des nassen Hundes. Das sei bei ihm mehr ein ästhetisches Mittel und weniger um sich vor Vulnerabilität zu schützen. „Durch solche Sinnbilder erhoffe ich mir, dass die Leute gleich ein Bild vor Augen haben und sich dadurch dann vielleicht einfühlen können. Auch eine gewisse Distanz zu dem Werk finde ich immer gut. Wenn man zu 98% versteht, was gemeint war, und die letzten 2 Prozent ungeklärt sind, dann bleibt der Deutungsspielraum offen.“, so erzählt er uns. Die Sonne strahlt immer noch erbarmungslos, das Wasser in unseren Flaschen schwindet stetig. Wir beginnen über einen Post zu sprechen, den Miese Mau letztes Jahr hochlud, worin er den Druck des konstanten Outputs in der Musikindustrie und den Fast-Fashion Gedanken dahinter thematisiert.